Der berühmteste Medizinstudent der neueren Literatur ist eine Erfindung Thomas Bernhards. Er darf heute als wichtiges Theaterexportgut der Republik Östereich angesehen werden. Als Famulant reist er in den Gebirgsort Weng. Dort soll er auf Geheiß seines vorgesetzten Chirurgen dessen Bruder, einen übergeschnappten Kunstmaler, aus nächster Nähe beobachten.

Die Rede ist von Bernhards Romandebüt "Frost" (1963). Die Erzählerfigur hat an Jahren zugelegt und an Statur gewonnen. Der Famulant geistert seit zehn Jahre als Figur aus Fleisch und Blut (Andreas Patton) durch europäische Kulturtempel. Der Frost-Monolog ist eine Dramatisierungsleistung von Regisseurin Sabine Mitterecker und ihres "theaters.punkt". Patton schritt einst, in hellem Anzugtuch und in knirschenden Lederschuhen, durch die Korridore des Wiener Mumok. Wer wollte, konnte sich schon 2009 den exzentrischen Gedankenbahnen des Monologisierenden anschließen.

Natur in Auflösung

Heute darf man noch immer teilhaben an der Verwandlung des Famulanten in die Kunstfigur des Malers. Der sich als unfähig erweist, für die Verbrechen der NS-Zeit gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Der daher alle Insuffizienzen der Natur – als einer in "Auflösung" begriffenen – ankreiden muss. Patton zeigt den Untergang des Malers Strauch als manischen Tanz um das Fettnäpfchen, das die österreichische Nachkriegsgesellschaft bewusst ausließ, um mit sich selbst nicht ins Unreine zu kommen.

Doppelfigur als Famulant und Maler: Andreas Patton als Mittelpunkt der "Frost"-Produktion.
Foto: Theaterpunkt

Dieser Tage betrat Patton den Globe-artigen Bühnenraum des Shakespeare-Theaters in Danzig. Wie ein Feldherr betrachtete der Alpenflaneur die hölzernen Tribünen des 2014 – unter dem Protektorat von Prinz Charles eröffneten – Schmuckkästchens, das am Rand der Danziger Rechtstadt steht. Und Patton durchmisst den Raum kühn. Oder er irrt wie Hamlets Gespenst durch die Gänge und betritt eine der Galerien: "Alles ist nur mehr gefrorene Luft!" Zwei junge Übersetzer sprechen den polnischen Bernhard-Text in die Headsets der Zuschauer. Die, überall im Saal verteilt, vor allem dann zusammenzucken, wenn der Maler Strauch katholische Gebete in deren Gegenteil verkehrt.

Der Bund hilft mit

Ein Triumph, von den Danzigern weidlich akklamiert. 30.000 Euro Projektförderung war der Stadt Wien dieser Exportartikel einst wert; durch Zuschüsse des Bundes kletterte die Summe auf stark überschaubare 45.000 Euro. Heute wären "Frost"-Gastspiele wie dasjenige in Danzig ohne Unterstützung durch Bundesinstitutionen unmöglich.

Dabei steht der kniffligste Abstecher erst morgen, Samstag, an. Da gastiert Mittereckers kleiner "Frost"-Tross im Albanischen Nationaltheater in Tirana. Dort hat der Kampf um die Erhaltung des Kulturtankers Züge eines Kulturkampfes angenommen. Ein Sondergesetz ermöglicht den staatlichen Behörden die Veräußerung der Immobilie an einen dänischen Investor. Der Vorgang erscheint juridisch dubios, kann aber mangels eines Verfassungsgerichts nicht ausjudiziert werden.

Eine "Allianz zum Schutz des Theaters" hat sich gebildet. Solidaritätsadressen trudeln täglich ein und stammen von Elfriede Jelinek und anderen. Mitterecker hat 2018 in Tirana eine Inszenierung von Schwabs "Die Präsidentinnen" mit albanischen Schauspielerinnen erarbeitet. "Frost" läuft jetzt als Solidaritätsgastspiel. Die Zivilgesellschaft in Albaniens Hauptstadt ist dankbar für jede Form der Zuwendung.

Der Clou: Edi Rama, der stark kritisierte Ministerpräsident Albaniens, ist ein ambitionierter Kunstmaler. Mitterecker unterdrückt ein Lachen. "Das macht symbolisch schon etwas her, wenn unser Maler Strauch durch das Nationaltheater flanieren wird, um in der Präsidenten-Loge Halt zu machen!" (Ronald Pohl, 20.12.2019)