Jetzt ehrlich – wer hätte ein paar Tage vor Weihnachten 2018 gedacht, dass das neue Jahr mit derart fulminanten Unterhaltungswerten aufwarten würde, wie es dann geschehen sollte? Ohne jeden Anflug von Frivolität haben sich die Österreicherinnen und Österreicher zwölf Monate ruhigen Durchregierens der besten Koalition aller Zeiten erwartet – eine ausreichende Mehrheit hatte sie dazu, und wie Kurz und Strache in rhetorischen Zungenküssen schwelgten, schienen solche Erwartungen keineswegs überzogen. Ein migrantenreines Österreich war keine Schimäre mehr, die totale Überwachung à la Kickl, die Kombination von Bundestrojaner und Verdachtschöpfern zu Pferde, versprach endlich den Wandel des Landes in die besagte Insel der Seligen.

Die Leuchtturmprojekte des Kanzlers von der Kassenreform bis zur indexierten Familienbeihilfe in eiserner Koalitionsdisziplin wasserdicht durchgezogen, dem Zwölfstundentag endlich wieder zu seinem historischen Recht verholfen – hätte man sich vom Bundespräsidenten aus patriotischem Anlass eine richtungsweisende Sentenz erwartet, dann hätte sie nur stolz lauten können: Ja, so sind wir!

Höchstrichterliche Frechheit

An der SPÖ lag es leider nicht, dass alles ganz anders gekommen ist und das Staatsoberhaupt dem Ausland bedingt wahrheitswidrig die moralische Gewinnwarnung zurufen musste: So sind wir nicht! Da wusste er noch gar nicht, wie falsch er damit erst in der zweiten Jahreshälfte liegen sollte, sahen sich doch die Wählerinnen und Wähler vor der Zeit gezwungen, ihre Entscheidung von 2017 zu reflektieren. Das taten sie, indem sie ihre oppositionellen Hoffnungen von der SPÖ auf die Grünen verlegten, an den verschwitzten Protagonisten des Ibiza-Videos ihre Begnadung für das Schöne ausließen und den Mann, der für dessen Erhebung zum Vizekanzler verantwortlich war, reichlich belohnten. Vermutlich für seine Menschenkenntnis, wegen großartiger Arbeit kann es nicht gewesen sein. Woran die Verfassungsrichter, gemein angerufen, später korrigierend erinnern sollten.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Vor Opposition von dieser Seite war man zwar gewarnt, glaubte aber, sie in einer Mischung aus Hybris und Vertrauen in die Message-Control ignorieren zu können. Das Ausmaß höchstrichterlicher Frechheit fasste ÖVP-Klubobmann August Wöginger in dem Satz zusammen: "Wir können die Entscheidung absolut nicht nachvollziehen, sie widerspricht vollkommen unseren politischen Überzeugungen." Man kann das verstehen. Wie soll Sebastian Kurz seine Reformen durchziehen, wenn seine politischen Überzeugungen an der Verfassung ihre Grenzen finden müssen?

So fragen sich am Ende dieses Jahres viele, was wohl das kommende mit dem nächsten Regierungsanlauf des Sebastian Kurz bringt. Leichter als mit den Freiheitlichen wird er es nie haben, und wenn die Grünen glauben, sie können sich wie Verfassungsrichter aufführen, muss blaue Unzurechnungsfähigkeit kein ständiger Ausschließungsgrund sein. Schließlich hat Norbert Hofer einiges zu bieten. Nicht nur den Pakt für ein Nulldefizit. Schon der Historikerbericht der FPÖ könnte dem Jahr 2020 einen Glanz verleihen, der den von 2019 überstrahlt. (Günter Traxler, 20.12.2019)