"Wir gehen davon aus, dass konkrete Lösungsansätze der einzelnen Städte in gewissem Maß auch auf die anderen übertragbar sind."

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Er gilt als Kampfansage an die teilweise rechtsnationalen oder populistischen Regierungen der Visegrád-Länder, also Tschechiens, der Slowakei, Polens und Ungarns: der "Pakt freier Städte". Geschlossen haben ihn diese Woche die liberalen Bürgermeister der Hauptstädte Prag, Bratislava, Warschau und Budapest.

STANDARD: Hat der "Pakt freier Städte", den Sie mit Ihren Amtskollegen aus den anderen Visegrád-Hauptstädten gegründet haben, eher symbolische Bedeutung, oder geht es Ihnen auch um konkrete Zusammenarbeit?

Hřib: Beides. Zum einen handelt es sich um ein Bekenntnis zu gemeinsamen Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, Offenheit und Freiheit – jener Freiheit übrigens, die alle vier Städte erst im Jahr 1989 wiedererlangt haben. Neben dem historischen Kontext gibt es auch die geografische Nähe und nicht zuletzt natürlich gemeinsame Herausforderungen der Gegenwart.

STANDARD: Welche sind das?

Hřib: Etwa leistbares Wohnen, Klimawandel, Alterung der Gesellschaft oder Gentrifizierung. Eben weil wir vieles gemeinsam haben, gehen wir davon aus, dass konkrete Lösungsansätze der einzelnen Städte in gewissem Maß auch auf die anderen übertragbar sind. Es geht also auch um Erfahrungsaustausch, den wir zum Teil jetzt schon praktizieren – zum Beispiel beim Transfer von Know-how in der Stadtentwicklung. In Zukunft wollen wir aber auch andere Projekte planen, etwa im Bereich Jugendaustausch oder Festivals.

STANDARD: Sie haben sich auch für direkte Zuteilung von Fördermitteln aus Brüssel ausgesprochen. Wollen Sie damit die jeweils nationalen Ebenen umgehen?

Hřib: Ja, wir unterstützen mehr direkte Fördermittel an die Städte. In Tschechien haben wir ja beim Thema EU-Subventionen das Problem mit dem Interessenkonflikt von Premierminister Andrej Babiš. In Ungarn wiederum gibt es eine ähnliche Affäre rund um Verwandte des dortigen Premiers Viktor Orbán. Wir glauben, dass diese Probleme durch bessere Ausstattung der direkten Förderprogramme wenigstens zum Teil gelöst werden könnten.

STANDARD: Glauben Sie, dass Ihre Forderung Aussicht auf Erfolg hat?

Hřib: Solche Programme gibt es ja schon jetzt – zum Beispiel Horizon 2020, mit dem die EU Forschung und Innovation fördert. Uns geht es nur darum, dass deren Bedeutung künftig größer wird. Zudem sind direkte Förderungen häufig an die Bedingung geknüpft, dass mehrere ausländische Partner an einem Projekt zusammenarbeiten. Da bietet sich die Kooperation unserer Städte natürlich an. Aber klar: Der Großteil des Geldes wird auch weiterhin über die nationalen "Kuverts" verteilt werden.

STANDARD: Gerade in ländlichen Regionen fühlen sich viele Menschen abgehängt. Fürchten Sie nicht, dass die direkte Förderung der Städte den Stadt-Land-Gegensatz noch vergrößern könnte?

Hřib: Unser Vorschlag richtet sich gegen niemanden. Ich verstehe natürlich, dass die EU ärmere Regionen unterstützen will, das ist völlig in Ordnung. Aber es sollten auch die Städte unterstützt werden, denn sie sind die Zentren von Innovation und Forschung, die Motoren der ökonomischen Entwicklung. Da dürfen wir die Konkurrenzfähigkeit in der globalisierten Welt nicht verlieren.

STANDARD: In Prag gibt es immer wieder Proteste gegen Premier Andrej Babiš. Auch die Demonstranten werfen ihm Interessenkonflikte beim Bezug von EU-Geldern vor. Unterstützen Sie als Oberbürgermeister der Stadt und als Mitglied der Piratenpartei die Demonstrationen?

Hřib: Wenn 300.000 Menschen an einem Ort zusammenkommen, dann erfordert das natürlich bestimmte Maßnahmen. Ich selbst bin dann eher in der Rolle dessen, der für die Sicherheit vor Ort oder für das Funktionieren des Verkehrs verantwortlich ist. Die Proteste selbst sind mit keiner bestimmten Partei verbunden. Als Piraten glauben wir aber, dass die Menschen das Recht haben, ihre Meinung auch zwischen den Wahlen zum Ausdruck zu bringen, anstatt nur am Wahltag einen Zettel in die Urne zu werfen. Der Diskurs im öffentlichen Raum ist ein natürlicher Bestandteil der Demokratie – und wir hoffen, dass er uns noch lange erhalten bleibt. (Gerald Schubert, 20.12.2019)