Sebastian Kurz (li.) und die ÖVP wollen den Religionsunterricht erhalten und Ethik ab der 9. Schulstufe nur für "Religionsabmelder". Werner Kogler und die Grünen sind für ein Pflichtfach Ethik für alle Schülerinnen und Schüler. Nun ringen sie um einen koalitionsfähigen Kompromiss.

Foto: APA/Hochmuth

Bei den türkis-grünen Koalitionsverhandlungen gibt es rote Themen. Und dann gibt es rotrote, tiefrote, knallrote Streitthemen. Quasi chefrote. Das sind diametrale Parteipositionen, die die Untergruppen an K & K, also ÖVP-Chef Sebastian Kurz und Grünen-Chef Werner Kogler, weitergereicht haben, auf dass diese eine koalitionsförderliche Brücke zwischen den zwei Positionen bauen mögen. Der Ethikunterricht ist so eine knallrote Sache. Ethik ist also türkis-grüne Chefsache.

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Maximal großer Abstand

Der Abstand zwischen ÖVP und Grünen ist in der Frage maximal groß. Die Volkspartei hat nicht nur im Wahlprogramm 2019, sondern auch im Grundsatzprogramm von 2015 ein Bekenntnis zum konfessionellen Religionsunterricht verankert: "Kinder und Jugendliche, die den Religionsunterricht nicht besuchen, sollen verpflichtend an einem Ethikunterricht teilnehmen." Im Wahlkampf lautete eines der hundert türkisen Wahlversprechen: "Konfessionellen Religionsunterricht erhalten, Ethikunterricht für alle, die nicht das Fach Religion besuchen". Denn: "Gerade in einer liberalen Demokratie ist es wichtig, sich mit den Grundwerten zu beschäftigen, die Basis für diese Demokratie und das Zusammenleben sind."

Die Grünen waren immer für einen Ethikunterricht für alle Kinder, so auch im letzten Nationalratswahlkampf. Wer Grün wählte, unterstützte die Passage im Schulkapitel der Partei, in der "ein verbindlicher gemeinsamer Ethikunterricht für alle" gefordert wird.

Entsprechend schwer ist das Thema. Nicht zuletzt, so dringt es nach außen, weil ein Pflichtfach Ethik für alle Kinder von der ÖVP mitunter nachgerade zum unseligen Vorzeichen für den nahenden Untergang des christlichen Abendlands stilisiert werden soll.

Hohe Dringlichkeit

Vor allem hat das Thema Ethikunterricht schulpolitische Dringlichkeit. Denn mit dem auf Ibiza abhandengekommenen Koalitionspartner FPÖ hatte sich die ÖVP ja bereits auf ein Ethikunterrichtsmodell geeinigt. Demnach sollten ab Herbst 2020 jene Schülerinnen und Schüler in der neunten Schulstufe (beginnend in den AHS), die nicht in Religion gehen, Ethikunterricht besuchen müssen. Ministerratsbeschluss gibt es zwar, Gesetz aber nicht. Und ohne Gesetz kein neues Fach Ethik. Auch SPÖ und Neos fordern für alle Schüler ein Pflichtfach Ethik.

Was bedeutet das politische Interregnum für den angekündigten Ethikunterricht, will die SPÖ nun wissen und stellte eine parlamentarische Anfrage an Bildungsministerin Iris Rauskala. Diese hatte im STANDARD-Interview gesagt, sie gehe davon aus, dass die legistische Umsetzung "möglichst zeitnah" erfolge und parallel dazu die Lehrpläne erarbeitet werden. Nach der gesetzlichen Verankerung des Fachs könne die Begutachtung des Lehrplans erfolgen.

SPÖ will Antworten zum geplanten Ethikunterricht

Rauskalas Amtsvorvorgängerin und nunmehrige Bildungssprecherin der SPÖ, Sonja Hammerschmid, fragt jetzt, wie weit das Ministerium mit der Umsetzung der türkis-blauen Ethikvariante ist. Gibt es einen Gesetzesentwurf und überarbeitete Lehrpläne? Wie viele zusätzliche Lehrkräfte werden nötig sein, und welche Qualifikation müssen sie haben? Dürfen Religionslehrer auch Ethik lehren? Wäre ein Pflichtfach Ethik und ein freiwilliges Wahlfach Religion mit dem Konkordat vereinbar?

Hammerschmid fragt aber auch, welchen "Mehrwert" ein Fach Ethik hat, das sich nur an "Religionsabmelder", und das auch erst in der Sekundarstufe, richtet. Die SPÖ will jedenfalls Ethikunterricht für alle, "unabhängig vom religiösen Bekenntnis und auch für Zehn- bis 14-Jährige", sagte sie zum STANDARD. "Warum sollten junge Menschen, die etwa eine Lehre absolvieren, diese wichtigen Themen nicht vermittelt bekommen?" (Lisa Nimmervoll, 20.12.2019)