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Von einem ungetrüffelten Truthahn könne man nur den Bürzel essen, behauptete Grimod de la Reynière. Das ist endgültig widerlegt.

Foto: Getty Images / Carlina Teteris

Eigentlich brät so ein Vogel ja von allein. Nur zu trocken darf man ihn nicht werden lassen. Aber diese Gefahr lässt sich minimieren, wenn man das gute Tier vorher in einer Salzlake pökelt. Das ist nicht das Einzige, was wir bei unseren Thanksgiving-Studien über ein Federvieh gelernt haben, das halb Amerika mit Vorliebe auch zu Weihnachten verspeist.

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Die beste Geschichte über den Truthahn liefert wieder einmal Alexandre Dumas – in seinem Großen Wörterbuch der Kochkunst, hier in einer Kurzfassung: Grimod de la Reynière, ein berühmter Feinschmecker, steigt in einem Dorfgasthaus ab, in dem es jedoch laut Wirt nichts mehr zu essen gibt. Da sieht er in der Küche sieben Truthähne braten – die aber, so wird ihm beschieden, schon von einem einzelnen Gast bestellt wurden. Bei dem will er nun vorsprechen, in der Hoffnung, doch nicht hungrig schlafen gehen zu müssen. Der Gast stellt sich als sein eigener Sohn heraus und erklärt die Sache so: Der Monsieur Papa selbst habe ihm doch beigebracht, dass man von einem ungetrüffelten Truthahn nur den Bürzel essen könne!

Ungefähr so stehen wir also zur kulinarischen Satisfaktionsfähigkeit des Truthahns. Monsieur le Marquis de Cussy lässt den trüffelgefüllten Truthahn erst einmal drei Tage abhängen, schmeißt vor dem Braten jedoch diese Trüffeln weg und ersetzt sie durch frische. So wild treiben wir es nicht. Aber die Filmemacherin Eve Heller – in den USA aufgewachsen, in Österreich, der Heimat ihres Vaters, lebend und Truthahn-Chefberaterin der Autorin – besorgte gleich einmal das Austernfülle-Rezept ihrer Kindheit. Offenbar sah auch die Heller-Family Veredelungsbedarf.

Testlauf für Weihnachten

Unser Viecherl – auf dem knapp fünf Kilogramm schweren Brocken pickte das etwas beleidigende Etikett "Mini-Pute" – gingen wir aber ganz klassisch bürgerlich an. Der Termin war in Thanksgiving-Nähe, aber gedacht war die Kocherei als Testlauf für Ihr Weihnachts-Grande-Pièce. Diätologisch unbedenklicher als das um die Jahreszeit doch schon sehr fette Gansl, das ja auch so ein küchentechnischer Problembär ist. Um das Ende vorwegzunehmen: Die Bekehrung der Truthahnzweifler, Autorin selbst eingeschlossen, hat stattgefunden, alte Truthahntraumata sind überwunden.

Unaufwendig ist die Sache aber nicht: Da ist zuerst einmal die Frage nach dem Pökeln, dem Einlegen in Salzlake. Geht aber auch trocken. "To brine" nennt man das. Hierzulande hört man kaum etwas davon, wobei unser Kulinarikautor Tobias Müller vor ein paar Jahren einmal ein so "gepimptes" Brathuhn vorgekocht hat. In den USA gehört Brining heutzutage zum Truthahn-Handwerk, aber das war auch nicht immer so, wie man bei J. Kenji Lopéz-Alt in The Food Lab nachlesen kann (ein Buch, das ich bei jeder größeren Fleischbraterei konsultiere, bei einer amerikanischen zumal). Er verweist auf die beim Thanksgiving-Essen früher unausweichliche Diskussion, wer denn daran schuld sei, dass der Turkey wieder einmal zu trocken geraten sei – und dass man dieses Problem jetzt durch Brining gelöst habe.

Aber! Aber, schreibt der junge Meister, er selbst macht es nicht! Denn seiner Meinung nach hilft das Salzlakenbad der Fleischsaftigkeit zwar auf die Sprünge – nimmt aber gleichzeitig Geschmack weg. Kurze Überlegung: Was ist mir wichtiger? Ich brine!

Ein ziemlich großes Vogelbad

Allerdings habe ich das Wasser mit einer comme-il-faut-selbstgemachten, entsprechend gesalzenen Gemüsesuppe ersetzt (s. Rezept unten). 16 Stunden lang durfte mein Vogel schwimmen, in zirka fünf Liter Flüssigkeit. Meine Konstruktion war ziemlich genial: Ich habe ein "brining bag" gekauft, ein großes, verschließbares reißfestes, lebensmittelsicheres Plastiksackerl. In eine Kühltasche habe ich unten die gefrorenen Kühlpatronen gelegt, darauf den Sack mit Pute im Bade, und darauf wieder Patronen, die ich nach der Hälfte der Zeit mit frischen aus dem Eis ersetzt habe. Spart Kühlschrankplatz, hat bestens gehalten.

Wenn das Tier viel größer ist, braucht man angesichts des akkumulierten Gewichts, Vogel plus Flüssigkeit, wahrscheinlich eine Hebehilfe. Bei unserem zarten Truthähnchen ging es noch allein. Etwas unterschätzt habe ich jedoch die Zeit, die es braucht, um ihn nach dem Bade wirklich mustergültig innen und außen abzutrocknen und die Haut an der Brust und den Beinen vorsichtig zu lösen, um ihn nicht nur außen, sondern auch innen mit einer Butter-Kräuter-Mischung einzuschmieren. Gestopft habe ich ihn mit in größere Spalten geschnittenen Äpfeln, Orangen und Zwiebeln, außerdem wurde er im Bräter auf Karotten, quasi als Gitter fungierend, gebettet.

Er kommt ins sehr heiße Rohr (Lopéz-Alt sagt 500 Grad Fahrenheit, das sind 260 Grad Celsius, 250 tun’s auch), das aber sofort heruntergedreht wird, bei mir auf 160 Grad. Gute drei Stunden haben wir – inzwischen waren die Kommensalen und Kommensalinnen eingetroffen – ihn gebraten und ohne Bratenthermometer auf dem Punkt erwischt. Das Vieh war wirklich gut, auch der Saft, den wir mit einer starken Hendl-plus-Truthahn-Hals-etc.-Suppe etwas verlängert und eingekocht haben. Einbrenn, auf gut Englisch "roux", wie sie auch der Meister Kenji macht, ist wirklich nicht nötig.

Die Philosophie der Beilagen

Da die Gasterei nun einmal zu Thanksgiving stattfand, mussten auch die traditionellen Zuspeisen sein. So wurde unter anderem die Cranberry-Sauce selbst gemacht, mit diesen riesigen Cranberrys, die, unter uns, eigentlich nach nicht viel schmecken, da helfen auch der Orangensaft und die Zimtstange beim Einkochen nicht. Die Preiselbeeren der Firma Staud sind meiner Meinung nach um Häuser besser. Aber beim Essen wurde mir beschieden, die Cranberry-Sauce war genau so, wie sie sein soll. Na ja.

Ziemlich üblich ist es auch, das Stuffing, die Fülle, extra zu braten, wobei einen die Begründung ins Grübeln bringt: Die aus dem Truthahn austretenden Säfte dringen ja in die im Bauchraum platzierte Fülle ein! Und das ist heutzutage igitt, wenn nicht gar gefährlich. Mit einem komplizierten Prozedere wird deshalb in "modernen" Rezepten die Fülle außerhalb gegart und erst in den Vogel gestopft, wenn der schon fast fertig ist. Na, da lassen wir sie doch gleich draußen und servieren sie sozusagen als Knödel für Faule in einer Rein.

So richtig traditionell soll Sage-Sausage-Stuffing sein, Salbeiwurstfülle, und mit frischem Salbei und guten Salsicce hat das auch hervorragend geklappt. Nicht nötig war meiner Meinung nach die Tortur mit dem Weißbrot, das ich selbst in Stücke – die eben etwas größer sind als unsere Semmelbröckerl – geschnitten und ewig lange im Rohr getrocknet habe.

Jedenfalls wird ein halbes Kilo Salsiccia mit einer Zwiebel, drei Selleriestangen, zwei großen Knoblauchzehen (alles gehackt natürlich) in Butter angebraten, auch der frische gehackte Salbei gehört da schon hinein. Für diese Menge brauchen Sie einen großzügigen halben Liter starke Hühnersuppe. In einem Teil der (kalten) Suppe verrühren Sie zwei bis drei Eier und gehackte Petersilie, das kommt in die (erkaltete) Wurstmischung. Da hinein mischen Sie die Brotwürfel, etwa ein Dreiviertelkilo. So viel Suppe dazu lassen, wie es eben für die richtige Konsistenz braucht, in eine Kasserolle und im Rohr backen, bis es schön braun oben ist (etwa 40 Minuten). Bei Lopéz-Alt ist es innen richtiggehend schwabbelig (sieht man auf Youtube), bei uns war’s wie ein sehr weicher Knödel.

J. Kenji López-Alt

Erdäpfelpüree gehört auch dazu, ich kann auch nichts dafür. Das muss sein, also haben wir’s brav gemacht. Bei der Suche nach dem richtigen Gemüse bin ich hingegen auf ein "Andy Warhol lässt grüßen"-Kultrezept gestoßen: Campbell’s Green Bean Casserole. Die geht im Wesentlichen so: Man nehme eine Dose Campbell’s Fisolen, schütte darauf eine mit Milch und Soyasauce etwas aufgemotzte Dose Campbell’s Champignonsuppe und vermische alles mit einem Teil einer Packung von Campbell’s gerösteten Zwiebeln. Das packen Sie in eine Kasserolle, streuen noch einmal von den köstlichen Fertigzwieberln drauf und ab ins Rohr zum Überbacken!

Ich habe alle Bestandteile, vor allem natürlich die Champignonsauce, frisch gemacht und die Zwiebeln durch Pancetta ersetzt (aber dann doch auch noch Zwiebeln in Butterschmalz geröstet, zur freien Entnahme bei Tisch). Meine Fisolen waren sauteure Keniabohnen – ist ja nicht die Saison – und sind mir fast zu al dente geraten. War gut gemeint, Kapitel abgeschlossen. Das nächste Mal: Fisolen, wenn schon, extra, Champignons, wenn schon, extra. Und weil’s in der Familie Heller so üblich war, haben wir auch noch Blaukraut gehabt, das wenigstens beim Verdauen hilft: mehr noch als die als "side dish" orthodoxe Pumpkin-Pie – wobei auch die nur orthodox zu sein scheint, wenn sie aus der Konserve kommt.

Mein Lieblingsartikel zum Thema Turkey war jener in der New York Times mit dem Titel Don’t Mess With the Dressing! Don’t Tinker With the Turkey!, in dem die Autorin Jennifer Weiner ihre Erfahrung mit der Verbesserung der Familientraditionsrezepte, unter anderem der Green Bean Casserole, beschreibt: Der "kleine" Bruder Joe verlangt angesichts der frischen Fisolen und dem anderen Pipapo ultimativ von der ebenfalls anwesenden Mutter, dass sie ihm den "richtigen" Fisolenauflauf mache. Übrigens sieht man am Titel des Artikels, dass manche "Dressing" zum "Stuffing" sagen, von Lopéz-Alt werden sie deshalb "you oddballs out there" gerufen.

Ein Thanksgiving-Essen hat so zu sein, wie es in der Kindheit war, mag es noch so kulinarisch zweifelhaft sein. Identitätsstiftend ist auch die Cranberry-Sauce aus der Konserve: "It plops out of the can, has those pretty ridges, and can be sliced up ...", schreibt Lopéz-Alt über das Gelee, das mit den von der Dose eingedrückten "hübschen" Rillen aus derselben schlüpft und offenbar so hart ist, dass es aufgeschnitten werden kann. Als hätte er Angst, jemanden zu beleidigen, wählt er folgenden Untertitel für sein Rezept: "I understand the appeal of canned jellied cranberry sauce." Ja eh.

Madison Darbyshire schreibt in der Financial Times, dass vor allem Amis in der Diaspora, auch wenn sie übers Jahr vernünftig kochen, vor Thanksgiving verzweifelt nach den diversen industrialisierten Zutaten zu suchen beginnen, darunter die fertige Stuffing-Mischung. Aber auch in den USA fällt der halbe Umsatz von Campbell’s Champignoncremesuppe in die Monate rund um Thanksgiving.

Eine Zettelwirtschaft

Ein Relikt meines Truthahnfestes sind übrigens etliche lose Zettel, in denen ich die Rezepte für die von mir benötigte Menge mehrfach auf hierorts übliche Angaben umgerechnet habe: Das Hohlmaß "cup" ist uns, die wir die Waage gewohnt sind, doch recht fremd. "1/2 cup salt": Sorry, in meiner Küche gibt es keine amerikanisch-standardisierte "Tasse". Dann kommen die im Falle des Pökelns nicht unwichtigen Angaben von "quarts" und "gallons", und die Brotstücke fürs Stuffing werden in "inches" gemessen. Und die Fahrenheitangaben kommen einem zuerst höllisch heiß vor.

Ja, und dann brauchen Sie natürlich noch jemanden, der den Truthahn kunstgerecht tranchiert. In unserem Fall war das der Gatte von Eve Heller, der nicht nur als Filmemacher, sondern auch als Geflügelbrater berühmte Peter Tscherkassky, der mit unserer Leistung sehr zufrieden war. Und dann sitzt man und isst und trinkt und isst und trinkt– und dann wird man müde. Und damit sie eine Ausrede haben, sich nach dem Truthahnessen im Kollektiv vor die Glotze zu setzen und anderen Menschen bei der sportlichen Ertüchtigung zusehend ein bisschen einzunicken, haben die Amerikaner das Tryptophan erfunden.

Beziehungsweise die Behauptung, dass Truthahnfleisch besonders viel Tryptophan enthält, das, in so großen Dosen genossen, schläfrig macht. Ist nur ein Gschichtl, liebe Amis, aber ein netteres als jene Gschichtln, die euch euer Präsident so reindrückt. Euer Turkey hat genau so viel Tryptophan wie jedes andere Fleisch, überzeugt euch bei Dr. Google. Und passt lieber auf, dass ihr einen hormon- und antibiotikafreien erwischt.


So machen Sie Ihr Grande Pièce für Weihnachten

Zutaten:

Zum Pökeln: 150 bis 200 g Salz auf etwa fünf Liter Wasser oder Gemüsebrühe,
100 g brauner Zucker.
Zum Braten: Salz, Butter, Knoblauch, Petersilie, Thymian, Salbei, Rosmarin,
Karotten und eventuell Stangensellerie.
Für den Saft: Hühnersuppe,
Truthahnhals und -innereien.

Zubereitung:
Pökeln: Lösen Sie das Salz in etwa einem Liter Wasser oder Suppe auf, lassen sie es völlig abkühlen, Rest der Flüssigkeit, eventuell Eiswürfel, sowie den Truthahn in einen "brining bag" oder einen lebensmittelsicheren Kübel geben, gut durchmischen. Bei einem 5-Kilo-Truthahn haben 16 Stunden Brining gut gepasst.

Braten: Truthahn aus der Flüssigkeit nehmen, sorgfältig abtrocknen. Die Haut an der Brust und an den Haxen vorsichtig lösen, ohne sie zu beschädigen. Den Truthahn salzen (je nach Stärke der Salzlake), und mit der Butter-Kräuter-Knoblauch-Mischung (alles hacken und mit flüssiger Butter vermengen) gut einreiben, außen, aber auch unter der Haut.
Entweder auf einen Rost mit einer Tropftasse platzieren oder eine große Kasserolle mit ganzen Karotten und Selleriestangen auslegen und den Truthahn darauf betten. Rohr auf 250 Grad gut vorheizen, den Truthahn hineingeben und gleichzeitig auf 160 Grad herunterdrehen.
Mit Bratenthermometer kontrollieren. Bratdauer war bei einem knapp 5 Kilo schweren Truthahn gut drei Stunden.
Den Truthahn eingepackt 20 bis 30 Minuten ruhen lassen, den Saft mit der vorbereiteten Hühner-Truthahn-Suppe etwas strecken und einkochen.

(Gudrun Harrer, 21.12.2019)