Auf dem Silvesterpfad: Besonders "Piraten" sind gefährlich, weil sie nahe am Boden explodieren und insbesondere Kinderohren schaden.

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Fast jeder kennt dieses Gefühl nach einem Diskothekenbesuch: Wer nach extrem lauter Beschallung schließlich ins Bett und damit zur Ruhe kommt, hört eine Art Summton, bei manchen fühlt sich das Ohr auch irgendwie taub an. "Dieses Ohrenrauschen ist das sichere Zeichen dafür, dass es zu laut war", sagt der Tiroler Akustiker Hannes Oberdanner und erklärt auch gleich, was genau physiologisch passiert. Schallpegelspitzen über 130 Dezibel tun Menschen und Tieren nicht gut. Er empfiehlt jenen, die nicht auf die Silvesterknallerei verzichten wollen, dringend einen Gehörschutz, er selbst wird während des Feuerwerks sogar einen Kapselgehörschutz tragen.

Kurz und laut

Wer solche Warnungen übertrieben findet, kennt die möglichen Langzeitfolgen nicht. Oberdanner hat sich intensiv mit unterschiedlichen Lärmquellen und ihren Auswirkungen beschäftigt. Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass plötzliche kurze Knaller wesentlich schädlicher als zum Beispiel eine permanent mittellaute Umgebung sind. Für die lärmmäßige Langzeitbelastung hat der Körper nämlich Selbstschutzmaßnahmen parat. Treffen die lauten Schallwellen kontinuierlich durch die Ohrenmuschel über den inneren Gehörgang aufs Trommelfell, wird ein kleiner Muskel beim Gehörknöchelchen, dem Steigbügel, aktiviert. Dieses Zusammenziehen hat dämpfende Wirkung. Doch bei lauten Knallern ist zu wenig Zeit, der Schutz bleibt aus.

Ob jemand sehr geräuschempfindlich ist, hängt von zwei Faktoren ab. "Die Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen ist genetisch unterschiedlich", sagt Wolfgang Gstöttner, Vorstand der Abteilung für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten der Med-Uni Wien, der immer wieder Menschen mit Knalltraumata in der Klinik behandelt. "Wir verabreichen hochdosiertes Kortison, um die Schäden an den wichtigen Haarzellen im äußeren und inneren Innenohr nach einer extremen Lärmexposition zu vermeiden", erklärt er. Hannes Oberdanner ergänzt, dass die Empfindlichkeit auch von der Anatomie des Ohrs abhängt. "Mittel- und Innenohr sind bei jedem etwas anders gebaut", und davon hänge der Dämpfungsgrad des Gehörs ab. Babys seien deshalb oft sehr lärmempfindlich, weil ihre Ohren noch nicht ausgewachsen sind und der Gehörgang noch relativ klein ist.

Die Haarzellen im Innenohr

Die Schallwellen treffen dann quasi anders verstärkt als bei Erwachsenen auf das Innenohr, konkret auf die dortigen Haarzellen, die die Schallwellen aufnehmen und sie in Signale für unser Gehirn umwandeln können. Ein Knalltrauma kann diese wichtigen Haarzellen langfristig schädigen. "Diese Haarzellen können sich bei Menschen nicht regenerieren", erklärt Gstöttner und fügt hinzu, dass es bei Vögeln anders ist. Eine Chance zur Reparatur besteht, wenn diese Haarzellen bloß irritiert sind. Dann schickt der Körper eigene Enzyme mit Reparaturfunktion. Und das ist der Grund, warum das taube Gefühl in den Ohren nach einem Discobesuch auch wieder verschwindet. Deshalb erscheint den meisten dieser Schock fürs Gehör auch nicht besonders besorgniserregend.

"Es gibt aktuelle Untersuchungen von Kollegen, dass Hörschädigungen in jungen Jahren sich nicht nur akkumulieren, sondern sich mit den Jahren sogar multiplizieren", sagt Oberdanner, der zugibt, dass die Datenlage dazu allerdings noch recht dünn ist. HNO-Arzt Gstöttner bringt Knalltraumata in keine direkte Verbindung mit Altersschwerhörigkeit.

Der Akustiker Oberdanner, seiner Ausbildung nach Physiker, hat das Problem noch einmal aus Sicht der Schallwellen untersucht und dabei den Vorgang betrachtet, wie diese Luftschwingungen (also Schall) zu Informationen werden, die das menschliche Gehirn aufnehmen und interpretieren kann.

Unwesen der "Piraten"

Eine Schlüsselrolle spielen die Haarzellen im inneren und äußeren Bereich des Innenohrs. Die inneren Fasern leiten Signale vom Innenohr zum Gehirn, die äußeren erhalten Signale vom Gehirn. Die äußeren Haarzellen können leise Geräusche unter 40 Dezibel verstärken und laute Geräusche abschwächen. Bei einer Silvesterknallerei kann dieses gut aufeinander eingespielte System stark überfordert werden. Im schlimmsten Fall kann auch ein Tinnitus entstehen.

Allerdings: "Vielen tun Hörschädigungen nicht einmal weh", sagt Oberdanner. Das sei gut und schlecht. Gut, weil keine unmittelbaren Schmerzen entstehen, und schlecht, weil man dadurch weniger gut auf dieses so wichtige Sinnesorgan achtgibt. Die sogenannten "Piraten", die unmittelbar auf der Straße gezündet werden, seien besonders gefährlich, vor allem für Kinder, warnt der Akustiker und empfiehlt dringend, die Warnhinweise auf den Packungen zu beachten. Ein sehr geringer Abstand zum Gehör kann sich als besonders schädlich erweisen.

Schlecht für die Lungen

Wer die Silvesterknallerei meidet, erweist also zumindest seinen Ohren einen guten Dienst. Abgesehen davon freuen sich auch die Lungen. Wie Walter Gössler vom Institut für Chemie der Universität Graz in einer jüngst publizierten Arbeit nachweist, erzeugen Feuerwerkskörper einen sogenannten Ultrafeinstaub, also Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 0,1 Mikrometer, die sich in den kleinsten Lungenverästelungen festsetzen können.

Die Farben der Raketen werden durch Metalle wie Aluminium, Kupfer, Strontium, Barium und Wismut erzeugt. Davon sind dann zusätzlich zum Feinstaub Mikropartikel in der Luft. Diese hohen Werte können ebenfalls negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben, betont der Chemiker. Vielleicht kann der Jahreswechsel auch ohne Knallerei schön sein, es ist eine persönliche Entscheidung. (Karin Pollack, 31.12.2019)