"The Witcher" war eigentlich ein Überraschungshit, wie ihn niemand der Beteiligten erwarten konnte: Nicht das polnische Spielestudio CD Projekt Red, das hinter der Spielereihe steckt, und erst recht nicht der Autor der zugrundeliegenden Buchreihe, Andrzej Sapkowski, der Jahre später sogar Nachzahlungen von dem Entwickler verlangte. Ursprünglich hatte er die Lizenz für seine Geschichte für umgerechnet gerade einmal 8.000 Euro verkauft.

Heute genießt "The Witcher" eine Popularität, wie es kaum ein anderes Game tut. In dem Spiel steuert man den Hexer Geralt, einen Mutanten, der durch seine speziellen Fähigkeiten besonders dafür geeignet ist, Monster zu jagen. Von Gamern geliebt, von Kritikern gelobt und von Rollenspiel-Fans umjubelt, verkauft sich vor allem der dritte Teil des Spiels, der 2015 erschienen ist, bis heute immer noch grandios. Im Juni dieses Jahres wurde bekannt, dass er bereits von 20 Millionen Spielern erworben wurde.

Potenzielle Goldgrube

Für Beobachter, darunter auch Netflix, dürfte sofort klar gewesen sein: Geralt und Co sind eine potenzielle Goldgrube. Und gerade nach dem Ende von "Game of Thrones", einem der größten Serienerfolge aller Zeiten, ist es wenig verwunderlich, dass der Streaminganbieter gerne seine eigene Fantasy-Kultproduktion hätte, die schließlich auch hohe Abozahlen garantiert. Mit Henry Cavill an der Spitze soll das nun zur Realität werden.

Henry Cavill ist der Hexer Geralt.
Foto: Netflix

Vorab sei angemerkt: "The Witcher", die Netflix-Serie, ist keine Adaption der Spielreihe. Diese ist nämlich selbst eigentlich eine Fortsetzung von Sapkowskis Büchern – und genau die peilt Serienmacherin Lauren Schmidt Hissrich mit der Adaption an. Grob geschätzt – DER STANDARD konnte vorab fünf von acht Folgen ansehen – werden die ersten beiden Bücher (insgesamt sind es sieben) verfilmt. Dabei handelt es sich um Kurzgeschichtensammlungen, die die Vorgeschichte der drei wichtigsten Protagonisten erzählen: Die Rede ist vom zuvor erwähnten Hexer Geralt, der jungen Prinzessin Ciri und der Magierin Yennefer von Vengerberg.

Sprunghafter Geralt

Geralts Geschichte springt von einem Standort zum nächsten – in der ersten Folge befasst er sich noch mit einem Streit einer jungen Ex-Prinzessin und einem Zauberer in der Hafenstadt Blaviken, in der zweiten jagt er dann einem angeblichen Teufel hinterher, später muss er eine Stadt vor einem Monster bewahren, das zuvor einen anderen Hexer umgebracht hatte. Die einzigen Konstanten der Geschichte sind Geralt und sein Kumpan Jaskier, ein Barde, der die Handlungen des berühmt-berüchtigten Hexers besingt.

Hier gilt es zunächst zu loben, dass die Serie auf übermäßige Darstellungen von sexueller Gewalt, wie es bei dem Konkurrenten "Game of Thrones" gang und gäbe war, verzichtet. Auch sexualisiert "The Witcher" seine weiblichen Charaktere im Vergleich zu den Männern nicht auffällig betonter. Aber: Obwohl die übergreifende Geschichte – zumindest in den ersten fünf Folgen – eine relativ treue Umsetzung der Buchvorlage darstellt, stellt sich trotzdem die Frage, ob es eine gute Idee war, gerade Geralts Geschichten, die die Persönlichkeit der Charaktere kaum voranbringen, auf diese Art und Weise zu erzählen.

Keine Chronologie

Die ständigen Sprünge führen dazu, dass ein großer Teil der Dialoge erst einmal die jeweilige Situation, in der sich der Hexer aktuell befindet, beleuchten muss – ganz zu schweigen von den ständigen Zeitensprüngen, denn chronologisch ist die Erzählung auch nicht.

Ja, das "Witcher"-Universum hat eine große, spannende Welt mit einer Geschichte, die es sich anzusehen lohnt. Aber für einen Neuling stellt sich spätestens nach wenigen Folgen die Frage, wieso er überhaupt dem durch Gespräche vermittelten Leid eines weiteren neuen Charakters seine Aufmerksamkeit schenken soll, wenn Geralt in der nächsten Folge sowieso aus unerfindlichen Gründen an einem anderen Ort sein wird.

Aufgesetzte Dialoge

Ebenso negativ aufgefallen sind so manche Dialoge, die so aufgesetzt wirken, dass sie Zuschauer wohl oder übel ein klein wenig zusammenzucken lassen. Die Darstellung von Geralt liefert dem Begriff "edgy" ein Fallbeispiel, wie man es normalerweise nur im Wörterbuch findet – und das nicht im guten Sinne.

Das beginnt bei wütenden Aufforderungen wie "Sprich normal!" und endet mit der absoluten Humorlosigkeit des Protagonisten, die weder in den Büchern noch in den Spielen so ausgeprägt ist. Auch lassen die CGI-Effekte für eine Netflix-Flaggschiffproduktion eher zu wünschen übrig. Wenn Geralt durch eine magische Illusion eines Tores schreitet, sieht das weniger wie ein magischer Trick und eher wie eine schlampige Postproduktion aus.

Der Trailer von Netflix zu "The Witcher".
Netflix

Parallel dazu wird die Geschichte der Magierin Yennefer erzählt, die zunächst mit einer schweren Behinderung lebt – so ist die Magierin mit verformter Wirbelsäure und Unterkiefer geboren. Das hat in ihrem Leben für viel Hohn gesorgt – und einem Vater, der sie verstößt. Die Serie begleitet die Magierin bei ihrer Ausbildung. Dabei verzichtet Netflix auf die Buchvorlage, die Yennefers Vorgeschichte nur kurz anspricht, aber nicht im Detail erzählt. Allerdings ist es auch in diesem Fall aufgrund oberflächlicher Dialoge und fehlender Tiefe der vorkommenden Charaktere schwierig, Sympathie aufzubauen.

Ciri auf der Flucht

Etwas überzeugender ist die Geschichte der jungen Prinzessin Ciri, deren Königreich von Truppen des Kaiserreichs Nilfgaard erobert wird. Die junge Protagonistin befindet sich auf der Flucht, und bald wird auch klar, wieso die feindlichen Soldaten sie so vehement suchen, aber, anders als bei dem Rest der Bevölkerung, nicht umbringen: Ciri verfügt über besondere Kräfte, die allerdings nicht näher spezifiziert, aber offenbar durch ihre – manchmal absolut willkürlichen – Schreie aktiviert werden. Eine sonderbare Entscheidung, die weder im Buch noch Spiel so dargestellt wird.

Während auch hier das Voranschreiten der Geschichte ein wenig unbeholfen wirkt, erweist es sich als gute Idee, Ciris Flucht über die gesamte erste Staffel zu erzählen. Wobei das für ein wenig Verwirrung sorgen kann: Geralt und Yennefers Geschichten umfassen nämlich viele, viele Jahre, Ciris hingegen vermutlich wenige Monate. Die zuvor erwähnten Zeitensprünge der Erzählungen dürften bei Zusehern, die sich erstmals mit der Welt beschäftigen, vor allem für Verwirrung und Frustration sorgen.

Insgesamt ist "The Witcher" vielleicht für Fans der Spielreihe oder der Bücher netter Stoff, um die Feiertage zu verbringen. Mehr bietet die Produktion aber auch nicht, denn aufgrund fehlender Tiefe, gehaltloser Dialoge und flach gezeichneter Charaktere erweist sich die Serie vor allem als eines: schrecklich mittelmäßig. (Muzayen Al-Youssef, 21.12.2019)

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