Kann die Kunst etwas gegen den Klimawandel tun?

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Es hat sich harmlos mit beschaulichen Zeitschriften mit Titeln wie Landlust angekündigt. Nicht nur sie boomten in den vergangenen Jahren: Auch die Gartenregale im Buchhandel sind voll, und man erfährt aus den Bestsellerlisten von der archaischen Faszination des Waldes. Da überrascht es nicht, dass das Ökologiethema heuer für einen nicht kleinen Teil der Bevölkerung sogar wahlentscheidend wurde und die Grünen vielleicht sogar erstmals in die Regierung führt. Der Friedensnobelpreis für Greta Thunberg scheint bloß eine Frage der Zeit.

Auch vor dem Kulturbetrieb macht der Trend zum richtigen Leben in Einklang mit Mutter Natur nicht halt. In der Literatur verzichten immer mehr Verlage auf Plastikfolien zum Einpacken. Musikfestivals animieren ihre Gäste zum Müllsparen und pflanzen für jeden, der sein Zelt wieder mitnimmt und nicht schrottet, einen Baum. Museen wiederum sollen ihre Beleuchtung auf energiesparende LEDs umstellen. Künstler unterschreiben Umweltschutzaufrufe an Politiker, protestieren gegen Sponsorgelder von Mineralölfirmen, schleppen als Hinweis auf die Erderwärmung Eisberge nach Europa oder bekochen ihre Mannschaft oder in Ausstellungen das Publikum bio und vegan. Grün fühlt sich gut an. Man jettet dennoch gern zur Biennale und feiert auf Sammleryachten vor Venedig.

Hat #MeToo die Welt gerechter gemacht?

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Ganz Hollywood wusste davon – und hat dennoch geschwiegen. Der mächtige Produzent Harvey Weinstein nötigte und missbrauchte über Jahre hinweg zahlreiche Schauspielerinnen. Als sein Verhalten im Oktober 2017 aufflog, ging ein Hashtag um die Welt. Allein am ersten Tag wurde #MeToo auf Twitter 200.000-mal verwendet. Immer mehr Opfer berichteten, was ihnen in der Familie, im Freundeskreis oder in der Arbeitswelt widerfahren ist.

Die Kulturszene war dabei überproportional häufig vertreten. Ob Kevin Spacey oder Dustin Hoffman, Terry Richardson oder Mario Testino, Gustav Kuhn oder Plácido Domingo: Sie gerieten ins öffentliche Zwielicht, verloren Aufträge und Jobs oder wurden abberufen – unabhängig davon, ob ihre Schuld bewiesen war oder nicht. Bald war von Hexenjagd und Aushebelung des Rechtsstaats die Rede. Hat #MeToo die Welt dennoch gerechter gemacht? Diese Frage wird man erst in einigen Jahren beantworten können – wenn die Gerichte ihre Arbeit abgeschlossen haben. Sicher ist aber: #MeToo hat die Sensibilität für Missbrauch erhöht, viele der Opfer trauten sich ihre Stimmen zu erheben, die Solidarität zwischen Frauen (und auch Männern) wurde bestärkt. Und das ist keine kleine Sache.

Hat Streaming eine neue Ära eingeläutet?

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Ja. Nicht nur in Bereichen, die der klassische Kulturbegriff abdeckt, war Streaming maßgeblich – man denke an Gaming-Plattformen wie Twitch, auf denen man anderen via Livestream beim Spielen zusehen kann. Trotzdem wird man das Phänomen am ehesten mit Musik und Film verbinden.

Dem Kino erwuchs durch Amazon und Netflix Konkurrenz, die im Distributionsbereich marktbestimmend wurden. Seit einigen Jahren auch als Produzenten aktiv, werden sie über kurz oder lang die bisher gültigen Verwertungszeiten zum Fallen bringen. Trotz aller Wehklagen, die Filme wie The Irishman begleiten, denen man die große Leinwand wünscht, wird man die Uhren nicht mehr zurückdrehen können. Für die jüngste Generation ist Streaming die wichtigste Abspielpraxis. Film wird nicht länger exklusiv mit Kino verbunden sein, sondern zu Content, mit dem man diverse Flächen bespielt.

Dass die Musikindustrie nach einigen komatösen Jahren wiederbelebt wurde, hat sie dem Streaming zu verdanken. Seit 2014 wächst der davor von illegalen Downloads gebeutelte Markt wieder. Die Bedeutung von physischen Verkäufen hat stark an Relevanz verloren, was auch die Form von Veröffentlichungen bestimmt. Weg vom Album, hin zu Singles, die auf Streamingplattformen wie Spotify zu Playlists kuratiert werden.

Hat die Neue Rechte eine Wende eingeleitet?

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Es muss, wer heute mit betont sorgenvoller Miene Gedanken der Neuen Rechten aufgreift, längst keine Schnürstiefel mehr tragen. Spätestens mit der unkontrollierten Grenzöffnung 2015 hatte die Sorge vor drohender Überfremdung auch von solchen Geistern Besitz ergriffen, die man sich gewöhnt hatte, als besonnen einzuschätzen.

Das zwischenzeitliche Heben bundesdeutscher Grenzbalken wurde zum Anlass für eine "behördlich lizenzierte Invasion" erklärt (vom Historiker Wolfgang Hetzer). Die Pflege staatsterritorialer Souveränität wurde zum Leib- und Magenthema einer Intelligenz, die man früher einmal – durchaus in Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Notwendigkeit – als "nationalkonservativ" eingestuft hätte.

So wie die Identitäre Bewegung ihre Umtriebe hinter einem Schleier von zivilen Umgangsformen versteckt, so wälzen die Vertreter der nächsten konservativen Revolution ihre Gedanken wie bittere Pillen. Diese würden an eine Gesellschaft verabreicht, die viel zu lange schon unter der Knute der Alt-68er steht. Wer einem Übel wirksam abhelfen will, der greift zu einer Medizin, die als unwohlschmeckend deklariert wird. Der scheußliche Geschmack soll eine besonders nachhaltige Genesung verbürgen.

Im Pool, in dem die trotzigen Neuen Rechten schwimmen, teilen Provokateure wie Peter Sloterdijk das Wasser mit geschmeidigen Schwimmzügen. Die "Flutung" mit "Flüchtlingswellen" wurde von ihm in den Rang einer unhintergehbaren Wahrheit erhoben. In der Tat muss die "Neue Mittelklasse" (Andreas Reckwitz) das Gefüge ihrer Privilegien auch gegen sozialen Druck von außen verteidigen. Der "kognitiv-kulturelle Kapitalismus" macht aus Kleinbürgern im Handumdrehen arme Schlucker, die als Dienstleister stagnieren.

Trägt Identitätspolitik zur sozialen Spaltung bei?

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Nach dem Erdbeben des Brexits und rechtspolitischen Triumphen wie jenem von Donald Trump ist Identitätspolitik zum Sündenbock erkoren worden. Liberale Denker wie der US-Politologe Mark Lilla führten das Schlamassel auf den linken Identitätsliberalismus zurück, der das auf Solidarität fußende Amerika der Nachkriegszeit spätestens nach Reagan in die Falle des Partikularismus getrieben hat: Politik für Marginalisierte statt fürs allgemeine Wohl.

Das Erklärungsmodell wird mit leicht verschobener Betonung auch gern für die Krise der Sozialdemokratie genutzt. Statt sich dem Kampf gegen soziale Ungleichheiten zu widmen, habe sich linke Politik mit dem Einsatz für Minderheiten immer mehr von ihrer Stammwählerschaft entfernt.

Dem kann man allerdings auch viel entgegenhalten, da der Begriff bewusst aufs Kulturelle verkürzt wurde, um als rhetorisches Mittel im Kampf für einen Universalismus zu dienen – und versteckt auch dafür, Diversität und Kosmopolitismus insgesamt zu kritisieren. Wenn rechte Identitätspolitik Abstammung, Nation und Ethnie hervorhebt, so das Argument, werden bei der linken Variante ebenjene Kategorien affirmiert, die die andere Seite ausschließt. Das würde die kulturellen Gegensätze nur weiter reproduzieren.

Der Soziologe Didier Eribon hält deswegen wenig vom Begriff der Identitätspolitik und beruft sich lieber auf das emanzipatorische Drängen, das diesem vorausgeht. Zu oft wird in der Debatte vergessen, dass das Eintreten für Frauenrechte oder jene von Homosexuellen und Schwarzen oder soziale Gleichstellung keine Frage einer Alternative ist – all das sind Freiheitsbewegungen. Der Ungeist der Zeit wäre dann, zu oft in Form von ausschließenden Gegensätzen zu denken. (21.12.2019)