Wien – An der Stickerei auf der Schürze ist es zu erkennen: Der Spar-Supermarkt in Lanzenkirchen im südlichen Niederösterreich ist kein normaler Supermarkt. Herkömmlich ist das Warenangebot des Geschäftes, die Angestellten sind es nicht. "Ihr Einkauf – Meine Chance" prangt auf der weinroten Schürze der Verkäuferin an der Wursttheke. Auch an der Kassa sind feine Unterschiede erkennbar. Die Kassiererin ist freundlich, und es geht weniger stressig zu als üblicherweise an Supermarktkassen, wo die Fachkräfte mit dem Scannen der Waren meist flinker sind als der Kunde beim Einschlichten in den Einkaufswagen.

Im kleinen, hochmodernen Spar-Markt in diesem typischen Straßendorf bei Wiener Neustadt scheinen auch die Kunden gelassener zu sein. Würden sie anderswo ungeduldig nach einer zweiten Kassa rufen, wenn zwei Personen vor ihnen die Ware auf das Band legen, reagieren sie hier auf die ihrerseits nervös werdende Mitarbeiterin äußerst geduldig.

Ein Strichcode, der nicht funktioniert, Sonderrabatte aus dem Prospekt in Abzug bringen, dazwischen Obst und Gemüse abwiegen und Rabattaufkleber suchen – die Arbeit an der Registrierkassa kann herausfordern. Die Mittfünfzigerin meistert sie bravourös, findet zwischendurch sogar beruhigende Worte für eine ältere Dame, die ebenfalls nervös wird, weil sie beim Einräumen der Waren in ihre Einkaufstasche nicht schnell genug ist.

Wiedereinsteiger und Langzeitarbeitslose

Erst anhand des Kassabons erschließt sich, dass dieser Nahversorger keine "normale" Spar-Filiale ist. Perspektive Handel GmbH steht auf der Quittung. Dieser Nahversorger wird, wie fünf weitere in Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und Kärnten, von der Caritas betrieben. Beschäftigt sind Wiedereinsteigerinnen mit Migrationshintergrund, ältere Arbeitssuchende und Langzeitarbeitslose sowie Jugendliche mit Startschwierigkeiten am Arbeitsmarkt oder Personen mit psychischen Erkrankungen, erklärt der Geschäftsführer der Perspektive Handel Caritas GmbH, Wolfgang Scheidl.

Sie werden längstens sechs Monate lang ausgebildet – "aufqualifiziert" im Fachjargon –, damit sie dann auf dem regulären Arbeitsmarkt Fuß fassen können, bevorzugt bei Spar.

Bis zu 25 Mitarbeiter sind pro Ausbildungsstandort beschäftigt, die Lohn- und Ausbildungskosten trägt das Arbeitsmarktservice (AMS) des jeweiligen Bundeslandes. Als gemeinnützige Organisation muss die Perspektive Caritas – wie andere Projektpartner auch – nur zehn (statt 20) Prozent Mehrwertsteuer abführen, ergänzt Spar-Österreich-Sprecherin Nicole Berkmann.

Der Preisvorteil ermöglicht den Betrieb von Standorten, die für die Handelskette unrentabel wären. Spar wiederum erhält sich so ein dichteres Filialnetz. Profitieren sollen, so das Ziel der AMS-Fördermaßnahme, beide: die oft als "behindert" oder unvermittelbar abgestempelten Mitarbeiterinnen, die zu Fachkräften in Bereichen wie Feinkost, Obst und Gemüse und Kassa ausgebildet werden, und Spar, der im Idealfall qualifiziertes Personal bekommt, gerade in strukturschwachen Regionen.

Die Spar-Filiale in der Wiener Quellenstraße beschäftigt Menschen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben.
Foto: Hendrich

Der Erfolg gibt dem 2007 im oberösterreichischen St. Florian für Jugendliche mit körperlichen und psychischen Defiziten initiierten Projekt recht: Die Vermittlungsquote liegt laut Perspektive-Chef Scheidl bei 60 Prozent.

Über zwei Drittel der während des Trainings im Job zusätzlich von Sozialarbeitern und Coaches Betreuten seien nach einem Jahr noch bei Spar angestellt – obwohl der Arbeitsmarkt im vergangenen Jahrzehnt härter geworden sei. "Die Leute, die heute zu uns kommen, haben meist eine viel längere Vormerkdauer beim AMS als früher." Der Betreuungsaufwand sei deutlich höher.

Der Aufwand lohnt, die sogenannte Frühfluktuation sei stark rückläufig, die Ausgebildeten schmissen einen Job nach einer Ausbildung im "Sozialmarkt" nicht so rasch hin wie früher. "Der Spar in Ebenfurth ist der einzige Spar, in dem ich mir eine hohe Mitarbeiterinnen-Fluktuation wünsche", sagt der Spar-Geschäftsführer für Wien, Niederösterreich und Nordburgenland, Alois Huber, über den zweiten "Lebensmittelmarkt mit Mehrwert" in Niederösterreich. "Wer hier aufhört, findet mit hoher Wahrscheinlichkeit einen zukunftssicheren Job."

Zielvorgabe in Reichweite

Beim AMS gilt als Erfolg, wenn die Klientinnen drei Monate nach Abschluss der Förderaktion noch im ersten Arbeitsmarkt sind, sagt eine AMS-Sprecherin. Die Erfolgsquote im Spar-Markt in Ebenfurth im Rumpfjahr 2018 (ab April) liege bei 32,4 Prozent. 2019 ist noch nicht ausgewertet. Die Zielvorgabe für sozialökonomische Betriebe von 45 Prozent scheint realistisch. Die Verweildauer im geförderten Job liege teils unter sechs Monaten, die Betroffenen finden also vor Ablauf des Transitarbeitsplatzes einen Job im ersten Arbeitsmarkt.

Neue Standorte scheinen aufgrund der Kürzungen im AMS-Budget derzeit nicht wahrscheinlich. "Das hängt von sehr vielen Faktoren ab", sagt der Perspektive-Chef, "vor allem öffentliche Verkehrsmittel müssen da sein." Die meisten Auszubildenden, seien auf Bus und Bahn angewiesen. Um sechs Uhr früh, wenn die Feinkostverkäuferin mit der Vorbereitung im Geschäft beginnen muss, fahren kaum Schulbusse. Außerdem brauche es Einzelhändler, deren Geschäfte übernommen werden können.

Drei Säulen

In Wien, wo die Caritas im zehnten Bezirk zwei Perspektive-Märkte mit Spar betreibt, fehle es an Einzelhändlern, nicht an Öffis, schildert Scheidl, der die Eigenwirtschaftsquote mit 80 Prozent angibt. In Kärnten wiederum gebe es in Spittal an der Drau dringenden Bedarf sowohl an Nahversorgern als auch an Handelsangestellten, das öffentliche Verkehrsangebot sei aber eine Herausforderung.

Ein zweiter Markt im südlichsten Bundesland wäre allerdings wünschenswert, weil dadurch Synergien mit dem Spar-Markt in Villach genützt werden könnten, etwa bei vorübergehenden Personalengpässen. "Jedes Projekt steht auf drei Säulen", sagt Scheidl, "Ausbildung, Nahversorger und Kommunikation." Letzteres etwa mit Cafés, in denen gratis Kaffee ausgeschenkt wird, um Kontakt mit der Bevölkerung im Ort zu ermöglichen. Hier wird der Einkauf zur Chance. (Luise Ungerboeck, 21.12.2019)