Anwalt Helmut Graupner und Alex Jürgen (von links) mit den ersten Dokumenten, die einen Eintrag als drittes Geschlecht aufweisen. "Inter", wie Jürgen es will steht nicht drauf.

Foto: APA/helmut graupner

Wien – Um im Interesse sexueller Minderheiten Veränderungen zu erzielen, muss man in Österreich den langen rechtlichen Weg gehen. Von den Schritten zur Entkriminalisierung von schwulem Sex bis zur Ehe für alle; vom Ende des Zwangs für transsexuelle Menschen, sich vor einem standesamtlichen Wechsel des Geschlechts operieren zu lassen bis zur Eintragung eines dritten Geschlechts: All das wurde, meist mit dem Wiener Anwalt Helmut Graupner als Klägervertreter, auf dem Rechtsweg erreicht.

Manchmal sogar, obwohl die Sache bereits von einem Höchstgericht geklärt wurde – der Entscheid aber nicht umgesetzt wird.

Graupner will Amtsmissbrauch anzeigen

An diesem Punkt steht Graupner nun erneut. So sich nichts an der beharrlichen Verweigerung des Standesamtes Steyr ändere, den Geschlechtseintrag der intersexuellen Person Alex Jürgen auf "inter" zu ändern, werde er "Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft" erheben, sagte er zum STANDARD. Dann sei der Respekt vor Höchstgerichtssprüchen offenbar nicht anders zu erreichen.

Graupners Klient Alex Jürgen will als "Herm" angesprochen werden – von Hermaphrodit –, ist 43 Jahre alt und lebt in Oberösterreich. Aufgrund uneindeutiger physischer Geschlechtsmerkmale bei der Geburt wurden Versuche unternommen, das Kind auf "weiblich" oder "männlich" zu trimmen.

"Einfach so bleiben, wie mensch ist"

Ab der Pubertät folgte eine Vielzahl an Operationen und Hormongaben. "Die Option, einfach so zu bleiben, wie mensch ist, wird meist nicht angeboten", heißt es in einem Informationspapier der Plattform Intersex Österreich Vimö.

Seit nunmehr zehn Jahren lebt Jürgen als intersexuelle Person – und beantragte 2016 beim Standesamt Steyr die Geschlechtseintragsänderung. Das Standesamt lehnte ab, das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich bestätigte das Nein.

Durchs Höchstgericht legalisiert

Der von Graupner daraufhin angerufene Verfassungsgerichtshof gab Jürgen im Juni 2018 hingegen recht und damit allen Menschen in einer vergleichbaren Situation. So wurde in Österreich das dritte Geschlecht legalisiert, wie weltweit derzeit in 19 Staaten.

Nach dem Höchstgerichtserkenntnis schienen sich die Dinge zuerst in Jürgens Sinn zu entwickeln. Der Eintrag "inter" in der Geburtsurkunde sei zu gewähren, wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich das Standesamt Steyr im Juli 2018 an.

Doch dann trat das Innenministerium, dem Personenstandsangelegenheiten auf Bundesebene unterstehen, auf den Plan – und hier im Besonderen der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ).

Kein "inter" in der Software

Kickl legte gegen den Landesverwaltungsgerichtsentscheid Revision beim Verwaltungsgerichtshof ein. Diese wurde erwartungsgemäß zwar abgelehnt – doch das ließ das Innenministerium nicht auf sich beruhen. Es wies das Standesamt Steyr an, Jürgen die Eintragung "inter" zu verweigern, da diese Kategorie in der Ministeriumssoftware nicht vorgesehen sei. Stattdessen sei als Geschlecht "divers" festzulegen. Aus dem Innenministerium kam bis Redaktionsschluss auf Anfrage keine Stellungnahme.

"Inter", "divers"? – wo liegt der Unterschied? "‚Divers‘ ist für Jürgen persönlich keine Option", sagt Graupner. Rechtlich weit schwerer wiege jedoch, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis explizit jede Eintragung als akzeptabel bezeichnet hat, die mit einem Bezug zur sozialen Realität versehen und nicht frei erfunden ist.

Kickls Weisung gilt nach wie vor

Grundlage der rigiden Haltung im Innenministerium ist eine Weisung Kickls an die Standesämter von Dezember 2018, die nach wie vor gilt. Sie lässt als einzige Eintragungsoption den Begriff "divers" zu, und auch das nur "auf Basis eines einschlägigen medizinischen Gutachtens" durch eigens zu konstituierende "interdisziplinäre und multiprofessionelle medizinische Expertengruppen", sogenannte Boards.

Das Problem dabei: Besagte Boards existieren auch ein Jahr nach Kickls Weisung nicht. Was von den Standesämtern als Gutachten akzeptiert wird und was nicht, liegt im Dunkeln.

Laut Tobias Humer von der Intersex-Plattform Vimö, führt das zu einer "inakzeptablen Situation". Anders als Jürgen, dem als beim Verfassungsgerichtshof siegreicher Person eine Eintragung auf alle Fälle zu gewähren war, fielen die meisten intersexuellen Personen derzeit um ihr Recht ganz um, sagt er. (Irene Brickner, 23.12.2019)