London – Selten wurde es im legendären "Ally Pally" so laut wie am späten Samstagabend. Als Fallon Sherrock ihren letzten Dart im Bullseye versenkte, kannten die vorwiegend britischen Fans kein Halten mehr. Nur einer war traurig: Mensur Suljovic. Der so hoffnungsvoll in seine zwölfte Weltmeisterschaft gestartete Österreicher gratulierte der Sensationsfrau, packte seine Darts zusammen und verschwand geknickt hinter der Bühne.

Gigantische Doppelquote

Der 47-Jährige warf nicht nur gegen eine entfesselt aufspielende Alleinerziehende aus Milton Keynes, er warf auch gegen 3000 Fans. Viele davon buhten und pfiffen den sonst so beliebten Suljovic bei entscheidenden Würfen aus, der haderte offensichtlich mit seinem Nervenflattern.

Entscheidend war Sherrocks gigantische Doppelquote: Elf von 16 Mal traf sie das zum "Ausmachen" eines Satzes benötigte schmale Doppelfeld, das ergibt eine Quote von 68,75 Prozent. Zum Vergleich: Im Vorjahresfinale lag die Quote von Weltmeister Michael van Gerwen bei 46,30 Prozent. Suljovic dagegen traf nur ein Drittel seiner möglichen Checkouts, so stand am Ende einer wechselhaften Partie eine 1:3-Niederlage.

Neuer Medienstar

Die 25-jährige Siegerin war einigermaßen entgeistert, sagte Sätze wie "Oh my God", "Wow, ich bin im siebten Himmel", "Ich weiß nicht, wie ich heute schlafen soll" und "Das ist der Wahnsinn". Dazwischen stand die Erkenntnis: "Wir Frauen können die Männer schlagen." Und zwar nicht irgendwelche, sondern die Nummer elf der Welt.

Sherrock wurde quasi über Nacht zu Englands neuem Medienstar, schon nach ihrem Auftaktsieg gegen Ted Evetts hatte die Friseurin einen Fernsehauftritt nach dem anderen absolviert. Viel Zeit zum Trainieren blieb ihr da nicht, also konzentrierte sie sich auf die Doppelfelder – offenbar ein Volltreffer.

Fallon Sherrock stellt Mensur Suljovic in den Schatten.
Foto: APA/AP/Paston

Die Überraschungsfrau scheint ihrer Strategie treu zu bleiben, am Sonntagmorgen nach dem Zweitrundentriumph saß sie beim Frühstücksfernsehen von BBC. Dank der Medientermine lernt die Dartswelt ihren neuen Liebling nun im Eiltempo kennen. Sherrock erzählt im Dauerlauf: wie sie nach der Geburt ihres mittlerweile fünfjährigen Sohnes Rory erkrankte; dass sie an Nierenproblemen leidet; dass sexistische Kommentare im Internet alltäglich wären. "Ich habe es allen Trollen gezeigt", sagte sie.

Preisgeldsegen

Auch finanziell lohnt sich das Weihnachtsmärchen für die Engländerin. Knapp 30.000 Euro Preisgeld sind ihr sicher, dafür hätte sie die Frauen-WM zwei Mal gewinnen müssen. Freilich kam auch die Frage, ob sie sich gar einen Finalsieg zutraue. "Warum nicht?", frage Sherrock zurück. "Ich habe zwei der besten Spieler der Welt geschlagen." Ihr nächster Gegner heißt am Freitagnachmittag Chris Dobey. Die Nummer 22 der Weltrangliste ist klarer Favorit – so wie es auch Suljovic war.

Die 25-jährige "Queen of the Palace" lässt sich feiern.
Foto: APA/AP/Paston

Der Wiener verlor zum zweiten Mal in Folge nach einem Freilos seine erste Partie, er wartet im Alexandra Palace weiter auf den ersten Viertelfinaleinzug. "The Gentle" ließ sich von der ungewohnten Situation sichtlich verunsichern und verliert 2020 seinen Platz in der lukrativen Premier League. Dass ihn das nicht stört, sagte er aber schon vor der WM: So bleibt mehr Zeit für die Familie – und zur Vorbereitung auf die Großereignisse. (schau, sid, APA)