Noch wird in Österreich viel in Geschäften eingekauft. Doch der Onlinehandel wird mächtig aufholen, ist der deutsche Handelsexperte Joachim Will überzeugt. Das werde vor allem in kleinen und mittelgroßen Städten Folgen haben.

STANDARD: Weihnachten und der Jahreswechsel bescheren dem Handel eine Hochsaison. In Österreich wird großteils stationär eingekauft. Ticken die Uhren hier anders?

Will: Ja, der Onlinehandel ist im Vergleich zu Deutschland noch nicht so ausgebaut. Aber der Weg wird in Österreich ähnlich verlaufen – wenn auch verzögert. In den nächsten Jahren wird der Onlinehandel noch mächtig aufholen.

STANDARD: Warum sind Sie sich dessen so sicher?

Will: Österreich ist überwiegend ländlich strukturiert – mit wenigen Großstädten, die Zahl der mittelgroßen Städte mit mehr als 20.000 Einwohnern ist überschaubar. Was ist der Vorteil des Onlineshoppings? Ich biete jedem im ländlichen Raum Zugang zu einem Warenangebot auf Weltstadtniveau. Wien hat inklusive Vösendorf und Umgebung kein vergleichbares Angebot wie das Internet. Nicht einmal New York hat das. Sie bekommen alles im Internet. Und Sie kriegen es immer günstiger.

Die Österreicher erledigen ihre Einkäufe immer noch sehr gern in Geschäften. Sie haben aber auch mit besonders vielen Shoppingflächen besonders viele Möglichkeiten.
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STANDARD: Das dürfte Stadt- wie Landbewohner interessieren.

Will: Die Marktanteile des Internets sind besonders in ländlichen Räumen hoch. Wo Menschen weite Strecken zurücklegen müssen, um zu attraktiven Einkaufsdestinationen zu kommen, ist die Neigung, im Internet zu kaufen, viel höher, als wenn ich in Wien wohne und auf die Kärntner Straße gehen kann und bei der Gelegenheit gleich ins Kaffeehaus. Der stationäre Handel in großen und größeren Städten wird weit weniger vom Internet tangiert.

STANDARD: Drohen kleinere Städte zu veröden?

Will: Den Städten muss es gelingen, Destinationen zu gestalten, wo man neben dem Einkauf vieles andere erledigen kann. Denn es geht – und das ist völlig neu – am Ende nicht mehr um die Ware.

STANDARD: Worum dann?

Will: Dass Händler attraktive Ware anbieten, ist die Grundvoraussetzung. Städte müssen aber mehr bieten. Gastronomie, Urbanität, sodass die Leute Lust haben zu bummeln. Eine attraktive Stadt braucht aber auch Handel. Die Rolle ändert sich. Die Versorgungsfunktion tritt zurück. Es gibt andere Vertriebsformen, die das vielleicht sogar besser können.

STANDARD: Welche Branchen werden das spüren?

Will: Den Kurzfristbedarf im Lebensmittel- und Drogeriehandel werden wir auch künftig stationär abdecken. Wegen Bekleidung, Schuhen, Elektrowaren brauche ich nicht in die Stadt.

STANDARD: Zuletzt gingen vor allem viele Modeflächen verloren.

Will: Mode ist das Kernangebot der meisten Shoppingcenter. Deswegen kommen sie auch so unter Druck. In Deutschland hat Online im Modebereich heute einen Marktanteil von 26 Prozent. Das ist enorm und steigt weiter. Das trifft die Innenstädte, aber insbesondere die Shoppingcenter.

Im Modehandel hinterlässt die Onlinekonkurrenz schon länger tiefe Spuren. Das wirkt sich auch auf die Shopping-Center aus.
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STANDARD: Welche besonders?

Will: Es gibt eine Reihe von Centern mit Defiziten. Manche kann man revitalisieren, bei anderen hat sich der Handel erledigt. Auch in Österreich gibt es die eine oder andere Leiche. Das Uno-Shoppingcenter in Leonding mit 50.000 Quadratmeter Fläche ist unter die Räder gekommen. Da wird bei manchen hoher Investitionsbedarf kommen, und die Banken sind außerordentlich zurückhaltend, was Investitionen in Shoppingcenter anbelangt.

STANDARD: Da werden wohl Mieten nachverhandelt.

Will: Unsere Mieterbefragung in Deutschland und Österreich hat gezeigt, dass 20 bis 25 Prozent der Mieter Mietreduktionen von über 20 Prozent erreicht haben. Die Eigentümer müssen Wertberichtigungen vornehmen. Das geht ans Eingemachte.

STANDARD: Österreich hat vier Millionen Quadratmeter Shoppingfläche inklusive 180.000 Parkplätzen, doppelt so viel wie vor zwei Jahrzehnten, europaweit ein Spitzenwert. Werden wir Geisterstädte wie in den USA sehen?

Will: Nein. Nicht in dieser Form und schon gar nicht in dieser Größe. In den USA gibt es sehr wenige historische Städte. Aber der Markt wird sich sortieren. Der Marktanteil der Shoppingcenter ist in Österreich vergleichsweise hoch. Die Ladengestaltung, auch bei einzelnen Läden, ist besser als in vielen anderen Ländern. Beispielgebend ist der Lebensmittelhandel. M-Preis hat ein Faible für gute Architektur, Spar mit den neuen Eurospars, die Billas oder Hofer haben innovative Konzepte, die in Deutschland mit fünfjähriger Verzögerung kommen.

Der Rummel auf den Weihnachtsmärkten hält die einen aus den Städten fern, bringt andere dafür erst so richtig in Stimmung.
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STANDARD: Der Shoppingcenter-Boom ist auch in Österreich vorbei. Das letzte große Einkaufszentrum in Gerasdorf wurde 2012 eröffnet. Es erstreckt sich über 70.000 Quadratmeter. Heute gehen manche Center mit nicht einmal 10.000 Quadratmetern durch.

Will: Gerasdorf war damals ein Riesenprojekt. Es hat die Erwartungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Performance bis heute nicht erfüllt. Es ist kein notleidendes Center, aber man hat gedacht, ein Center in dieser Fläche, so nahe an Wien, würde ganz anders laufen. Gerasdorf hat sicherlich dem Center Nord ziemlich zugesetzt und einiges an Umsatz weggenommen, aber zum Beispiel das Donauzentrum hat kaum etwas gespürt. The Mall Wien Mitte hingegen, ein Center, das in jüngerer Zeit revitalisiert worden ist, läuft super.

STANDARD: Das liegt wohl nicht zuletzt am Standort.

Will: Das ist so. Das merken die Mieter an den Umsätzen, und es läuft dort enorm. Aber was die Center in Österreich grundsätzlich betrifft: Es gibt mit den sogenannten Town-Centern neue Konzepte im Shoppingcenter-Bereich, wie zum Beispiel den Garnmarkt in Götzis in Vorarlberg – er ist nicht überdacht, aber wie ein Shoppingcenter organisiert. Das läuft auch. Es gibt dort auch Schulungseinrichtungen und Büchereien, und es geht viel weiter als ein klassisches Shoppingcenter-Konzept.

Offensichtlich ist das auch bei den Witterungsbedingungen in Vorarlberg eine gute Idee. Vor Jahren gab es noch Diskussionen in den Städten, ob man da nicht die Fußgängerzonen überdachen muss, um gegen die Shoppingcenter wettbewerbsfähig zu sein. In so eine Richtung denkt heute niemand mehr. Dieses Town-Center-Konzept habe ich bislang in Deutschland und in anderen europäischen Ländern nicht gesehen.

Die Shopping City Süd wird immer eine der Großeinkaufsdestinationen eines wesentlichen Teils der Wiener sein, sagt Will. Das sei ein gelernter Standort, fest im Kopf der Verbraucher verankert.
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STANDARD: Warum funktionieren Beispiel wie die architektonisch durchaus interessanten Gasometer nicht?

Will: Die Lage ist für ein solches Center nicht gut, und zum Zweiten ist die Konzeption keine wirklich gelungene Shoppingcenter-Konzeption. Da trifft der alte Spruch zu: "Form follows function." Hier hat man die Architektur in den Fokus gestellt. Das ist wie an verschiedenen anderen Standorten halt schiefgegangen.

STANDARD: Fast die Hälfte der heimischen Shoppingflächen liegt in der Peripherie, knapp ein Viertel im innerstädtischen Bereich. Wir debattieren über aussterbende Innenstädte, geändertes Mobilitätsverhalten. Wird das Folgen haben?

Will: Ohne Zweifel. Es wird eine Reihe von Städten geben, die diese Herausforderungen gut meistern, andere nicht. In den Großstädten sind eher Nebenlagen in Gefahr. Dass in Wien die Mariahilfer, die Kärntner Straße oder der Graben veröden, glaubt niemand. Aber Nebenlagen wie Meidling geraten auch in Wien unter Druck. In Kleinstädten wird es sich sehr stark auf reine Nahversorgung reduzieren. In den Mittelstädten wird es viele Verlierer geben. Was Shopping und Parkplätze betrifft, so ist zu viel Fläche im Markt. Ein Teil davon wird künftig wohl nicht mehr gebraucht. (Regina Bruckner, 23.12.2019)