Kaiser Franz Joseph I. (1830–1916), von Heinrich Waßmuth 1915 in Öl porträtiert: Die Geschenke werden von den Untertanen dankend angenommen, so lange diese nichts dafür tun müssen.

Foto: Edgar Knaack/Sammlung Bundesmobilienverwaltungo

Weihnachten steht vor der Tür, und die Zahl der Gratulanten, die vor dem Bundeskanzleramt am Wiener Ballhausplatz Schlange stehen, wächst ins schier Uferlose. Tatsächlich ist es Bundespräsident Alexander van der Bellen gelungen, mit der Einsetzung einer Beamtenregierung die von ihm apostrophierte "Schönheit" unserer Verfassung besonders eindrucksvoll unter Beweis zu stellen. Österreich bedarf keiner Politik. Es hat ja seine Beamten, die die reibungslose Erledigung der dringendsten Regierungsgeschäfte für alle gewährleisten.

Streitbarkeit, die man den Kombattanten im Feld des Politischen unterstellt, wird in unserem friedlichen Land seit jeher als unangenehm empfunden. Wer anpackt, ist im Zweifel der in Wien und Umgebung übel Beleumundete. Politik? Sät Zwietracht unter die rot bemützten Punschtrinker.

Insofern ist der Punschtrinker auch der neo-biedermeierliche Wiedergänger des Jakobiners. Der Bürgersinn entfaltet sich am wirkungsvollsten zu Feierabend. Die Formulierung von politischen Anliegen, notabene solchen, die sich nur auf Kosten anderer verwirklichen lassen, hätte man sich – schon aus Gründen der Bequemlichkeit – lieber erspart. Es ist nicht das Argument, das zählt. Wer streitet, hat von vornherein Unrecht.

Motiv der Bescheidenheit

In Österreich ist es wichtiger, sich mit dem zufrieden zu geben, was von oben kommt. Wie eine weihnachtliche Schlittenspur führt das Motiv einer Bescheidenheit, die Selbstgenuss mit Gutmütigkeit verwechselt, gemeines Desinteresse hingegen mit Gemütlichkeit, herauf bis in die neueste Neuzeit.

Der Weihnachtsmann bildet nicht nur wegen seines Bartwuchses das getreuliche Abbild von Franz Joseph I. Was er und sein imperiales Gegenüber bewirken, passiert insgeheim. Auch Santa Claus bringt seine guten Gaben zu nachtschlafender Stunde. Das eifrige Aktenunterfertigen war bekanntlich die frühmorgendliche Spezialdisziplin eines Kaisers, der als Symbol für eine Macht einstand, die er selbst nicht so sehr ausübte, sondern lieber sinnfällig verkörperte. Das Ästhetische des Kabinetts Bierlein ist dessen Ohnmacht. Es handelt sich bei dieser aber um eine Schwäche, die allseits herbeigewünscht wird.

Hervorragende Fachleute

Insofern hat es kaum je einen stärkeren Bundeskanzler gegeben. Indem die aktuellen Ministerinnen und Minister – allesamt hervorragende Fachleute! – als Beamte handeln, darf die österreichische Politik seit vergangenen Sommer vorgezogene Weihnachtsferien genießen. Dass diese ausgerechnet knapp nach Weihnachten zu Ende gehen sollen, eben dann, wenn Türkis und Grün sich auf die Grundzüge einer gemeinsamen Politik verständigt haben, sichert Bierlein und Co. schon jetzt die ihnen gebührende Sympathie. In dieser vermengen sich Anteil- und Abschiednehmen. In nichts unterscheiden sich die beiden mehr voneinander.

Wie Hermann Broch vor rund 70 Jahren überzeugend dartat, besteht die österreichische Staatssubstanz in etwas Unnennbarem, Schönem. Dieses soll den Wechselfällen der Zeit nach Möglichkeit enthoben bleiben. Von der Substanz zehrt man insgeheim. Doch an sie rührt niemand ungestraft, es sei denn, man verbrämt sie mit Firlefanz und Dekor.

Deshalb drehten sich "ästhetische" Debatten in Wien einst um die Frage, ob das Anbringen von Ornamenten ethisch gerechtfertigt sei. Ästhetik und Ethik bildeten verschiedene Ansichten ein- und derselben Sache. Heute möchte man gleich von beiden besser nicht behelligt werden.

Insofern symbolisiert ausgerechnet das Weihnachtsgeschäft das eigentümlich Substanzlose von Politik und Kommerz. Der Weihnachtsmann war in unseren Breiten ohnehin niemals heimisch. Als gesichtsloser Dienstleister stapft er heutzutage durch die Shoppingmalls unseres Vertrauens. Er sorgt für das Zustandekommen der einzigen Frohbotschaft, die in der neoliberalen Spätmoderne noch zählt: den Steigerungsindex des Handels. (Ronald Pohl, 24.12.2019)