Eigentlich ist Stephan Turnovszky studierter Chemiker. Doch sein Lebenselixier fand der 55-Jährige im Glauben. 2008 ernannte ihn Papst Benedikt XVI. zum Weihbischof von Wien. Dessen vorrangige Aufgabe in der Unterstützung des Diözesanbischofs besteht. Für seine "nicht ganz so spontane Art zu antworten" entschuldigt sich der Geistliche bereits im Vorfeld, "fürs Foto" bittet er noch um eine "repräsentativere Teetasse".

Foto: Andy Urban

STANDARD: Zum Abschluss der Amazonien-Synode in Rom hat eine Mehrheit der teilnehmenden Bischöfe überraschend die Öffnung des Zölibats für verheiratete Diakone gefordert. Ist die Enthaltsamkeit im Priestergewand endgültig Geschichte?

Turnovszky: Da gilt es zu differenzieren: Möchte man denn den Zölibat aus inhaltlichen Gründen abschaffen, oder geht es um eine Abhilfe in einem konkreten Fall der Not, um nicht Notfall zu sagen? In Amazonien ist der Anlass der, dass dort auf Riesenflächen sehr wenig Priester sind. Die größte Diözese in Amazonien ist dreimal so groß wie Österreich und hat nur 30 Priester. Daher ist es schwierig, von Amazonien auf Österreich zu schließen. Natürlich ist es aber auch legitim, aus inhaltlichen Gründen über den Pflichtzölibat nachzudenken, aber dann mit anderen Argumenten.

STANDARD: In Österreich ist es ja auch nicht so, dass die Dichte an Priestern besonders hoch ist. Da ist das Mühl- oder das Waldviertel durchaus mit der Amazonas-Region vergleichbar, oder?

Turnovszky: Der Vergleich hinkt immer noch: Priestermangel ist ein interessantes Wort, denn es drückt Relation aus: Mangel im Verhältnis wozu? Priestermangel in Österreich herrscht tatsächlich, wenn man die jetzige Priesterzahl mit einer aus der Vergangenheit vergleicht: Ja, wir haben weniger Priester als noch vor Jahrzehnten. Vergleicht man hingegen die Priesterdichte bei uns mit jener in anderen Teilen der Welt, dann haben wir eine der höchsten Priesterdichten – sowohl Priester pro Gläubige als auch Priester pro Quadratkilometer.

STANDARD: Aber fällt der Zölibat nun in absehbarer Zeit oder nicht?

Turnovszky: Ich rechne damit, dass Amazonien und Europa differenziert behandelt werden. Das ist auch richtig. Für Europa wünsche ich mir vor allem eine Vertiefung der Fragestellung, wozu genau wir Priester brauchen. Entscheidet man sich für verheiratete Priester, ohne dies zu beantworten, ist die Gefahr groß, dass man zwar geweihte bewährte Männer in den Gemeinden hat, aber das Wesentliche unverändert bleibt. Und das ist die Ausrichtung des priesterlichen Dienstes, für die wir eine Umkehr brauchen: Als ich Pfarrer war, haben mich oft Leute gefragt, wie sie mir helfen können. Das ist üblich und gut gemeint, und ich weiß das auch zu schätzen. Theologisch betrachtet ist die Fragestellung aber falsch. Der Priester müsste die Gläubigen fragen: "Wie kann ich euch Getauften und Gefirmten helfen, als Christen zu leben?"

STANDARD: Der neue Kärntner Bischof Josef Marketz etwa hat sich klar positioniert und kann sich die Abschaffung des Zölibats vorstellen.

Turnovszky: Er hat nicht gesagt, er will den Zölibat abschaffen, er hat gesagt, er hofft, dass es die Möglichkeit für verheiratete Priester geben wird. Von der Abschaffung redet niemand, den Zölibat wird es weiter immer geben. Die Frage ist, ob als Verpflichtung. Josef Marketz und ich liegen da nicht furchtbar weit auseinander.

STANDARD: Heißt, auch Sie wären für eine Lockerung?

Turnovszky: Prinzipielles spricht überhaupt nicht dagegen. Der Zölibat ist etwas Disponibles. Meine Anfrage ist: Verfestigt man damit nicht eine Haltung, die sich überlebt hat? Nämlich die Nahversorgung durch einen "hauptzuständigen Christen", den Priester.

STANDARD: Tatsache ist, dass Diözesen Pfarren nicht mehr besetzen können. Nicht umsonst setzen alle auf Umstrukturierungen. Es fehlt doch das nötige Personal, oder?

Turnovszky: Wir haben nicht mehr die Anzahl an Priestern, um alle Stellen zu besetzen. Aber: Ist das das Maß aller Dinge? Müssen alle bestehenden Priesterstellen eins zu eins besetzt werden? Auch Paul Zulehner sagt: Achtung vor der Zölibatsfalle! Wir sollten nicht Priester nachschaffen, nur um das gewohnte System weiterzuführen. Das wäre zu kleruszentriert gedacht wie auf der ganzen Welt bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, in Österreich noch einmal verstärkt durch den Josephinismus. Damit wurden Priester allerorts zu Sakralverwaltungsbeamten. Das passt aber nicht zur Identität der Kirche.

STANDARD: Die Priester müssen lernen, dass die Gemeinden selbstbewusster auf treten. Die Gemeinden müssen lernen, dass der Priester nicht für alles zuständig ist?

Turnovszky: Ja. Es hat sich im Laufe der Zeit eine für beide Seiten bequeme Symbiose gebildet: Die Priester werden von den Menschen hofiert, und diese delegieren Heiligung an die Priester. Das führt zu einem anspruchslosen Christentum, das sich im Konsumieren religiöser Angebote erschöpft. Deshalb braucht es eine Veränderung, sodass das Volk Gottes im Glauben selbstständig aktiv wird und die Priester es dabei unterstützen. Das ist nicht einfach, aber wichtig.

STANDARD: Im Zuge der Diskussionen rund um die Diözese Gurk-Klagenfurt haben Sie angemerkt, "echte Heilung werde nur stattfinden, wo die Wahrheit ans Licht darf". Jetzt wird schon ein Jahr nach der Prüfung der Diözese auf den Endbericht gewartet, der in einer vatikanischen Schublade liegt. Hat man Sie nicht erhört?

Turnovszky: Ich kenne den Visitationsbericht auch nicht. Ich wünsche mir schon, dass man stärker miteinander ins Gespräch kommt und keine Angst hat, Dinge ans Licht zu bringen.

STANDARD: Aber de facto findet das nicht statt. Die Kirche prüft sich selbst, und keiner weiß, was da rauskam. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Bischof Alois Schwarz, und der bleibt einfach weiter in der Diözese St. Pölten im Amt. Das Gesamtbild ist doch eine Katastrophe, oder?

Turnovszky: Mich wundert die lange Dauer der Ermittlungen auch. Auf der anderen Seite hat man bis dato Bischof Schwarz nichts strafrechtlich Relevantes nachgewiesen. Ich würde mir Transparenz von allen Seiten her wünschen.

STANDARD: Es geht aber auch um Werte- und Moralfragen, nicht nur darum, ob die Korruptionsstaatsanwaltschaft etwas findet, oder?

Turnovszky: Inhaltlich traue ich mir kein Urteil zu. Dafür bin ich viel zu weit weg. Ich verstehe freilich Menschen, die sich wünschen, dass Bischof Schwarz sein Bedauern darüber ausdrückt, dass manches, was er getan hat, Verärgerung hervorgerufen hat. Das ist ja unbestritten.

STANDARD: Der Linzer Altbischof Maximilian Aichern hat Greta Thunberg als moderne Prophetin bezeichnet. Würden Sie das, in Ihrer Funktion als Jugendbischof, unterschreiben?

Turnovszky: Ja, das kann man schon sagen. Aber irgendwie tut sie mir auch leid, weil sie ein junges Mädchen ist und auch stark instrumentalisiert wird. Das meine ich gar nicht im bösartigen Sinn, sie wurde einfach zur Galionsfigur. Was sie losgetreten hat, ist unterstützenswert: gesteigerte Sensibilität gegenüber der Schöpfungsverantwortung. Ich war schon bei Freitagsdemos selbst mit dabei. Prophetin heißt ja, dass man Rückgrat hat und den Leuten Wahrheiten ins Gesicht sagt. Ich möchte nicht alles eins zu eins übernehmen, aber ihr Anstoß war gut.