Nach Puschkin: Adrian Timpau und Tamuna Gochashvili durchmessen unermessliche Gefühlstiefen.

Foto: Karlheinz Fessl

Die russische Literatur kennt das Leben von seiner widersprüchlichsten Seite. Unter den prominentesten Romanfiguren grassiert der Überdruss, obwohl es ihnen an Geist und Geld nicht mangelt. Das probateste Hausmittel gegen Ödnis und schleichende Langeweile heißt Liebe. Bei Eugen Onegin, diesem Faulenzer der begabtesten Art, hilft allerdings nicht einmal mehr das herzenswarme Sentiment der Unschuld vom Lande, die auf den Namen Tatjana hört. So kalt Onegin bleibt, so heiß wird das Publikum von Peter Iljitsch Tschaikowskis Vertonung des Puschkin-Stoffs berührt.

Ohne Zaunpfahlwinke

Es soll schon Regisseure gegeben haben, die Onegins Gefühlskälte auf der Bühne durch einen Dauerschneefall zu vermitteln versuchten. In der ungemein treffsicheren Klagenfurter Neuinszenierung der Oper durch den mittlerweile 86-jährigen Altmeister Dieter Giesing bleiben Zaunpfahlwinke mit Schneehäubchen freilich aus.

Da ist das vergessene Sakko, die leere Hülle, die Tatjana in der berühmten Liebesbriefszene immerzu herzt. Da ist, eine aufwandlose und dennoch großartige Umsetzung, Eugen Onegins demonstrative Abwendung vom Gegner beim Duell: So egal sind ihm Leben und Tod, dass es das Zielen nicht wert ist.

Aber eigentlich ist das Gartenhäuschen im Birkenhain, das Dorffest unter dem Glühlampen-Baldachin oder das Palais des Fürsten Gremin von betonter Einfachheit, ja Selbstverständlichkeit. Und da trifft sich die Regie ideal mit der von Jader Bignamini geradezu selbstlos in den Vordergrund gerückten Absicht Tschaikowskis, der Lebenswirklichkeit und dem eigenen Alltag auf den Fersen zu bleiben.

Glücksstern

Oft sind es ja Zufälle aus Ideen, Anfragen und Absagen, die bestimmte Besetzungen zur Folge haben. Was immer es hier war, stimmlich steht diese Produktion unter einem Glücksstern. Das ist zunächst der Georgierin Tamuna Gochashvili zu danken, die – obwohl bereits mit einem Engagement an der Staatsoper nobilitiert – in Klagenfurt zum ersten Mal im Leben auf der Bühne steht. Und wie! Stimmlich wie darstellerisch vollzieht sie alle Gefühlsschwankungen der keimenden Liebe, um im Finale als Fürstin mit beklemmender Ehrlichkeit die Vernunftlösung vorzuziehen.

Und dann kommt dauernd noch etwas dazu: hier Pavel Petrovs tenoral strahlender Lenski, da Adrian Timpaus in aller biografischen Ziellosigkeit manchmal plötzlich doch gefühlvoller Onegin oder Taras Berezhanskys phänomenal sonorer Lobpreis auf Tatjana. Ein Weihnachtsgeschenk. (Michael Cerha, 26.12.2019)