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Mit der neuen Seilbahn sollen künftig bis zu 3.000 Menschen pro Stunde vom Westen Jerusalems bis an das Altstadttor nahe der Klagemauer (im Bild) gelangen. Doch das Projekt sorgt für lautstarke Kritik.

Foto: Reuters / Ammar Awad

Es staut sich einmal wieder auf den Straßen südlich der Jerusalemer Altstadt. Einige Autofahrer hupen, ein Touristenbus versucht, die enge Stelle zwischen geparkten Autos zu passieren. Der Israeli Shlomo Gaver kennt die Situation. Er weiß: Es nervt, vor allem an Feiertagen und zu Pilgerfesten.

Dass Israels Regierung nun ausgerechnet eine Seilbahn bauen will, um Touristen, Gläubige und Pilger zu den Heiligtümern und Sehenswürdigkeiten zu bringen, gefällt ihm allerdings gar nicht. "Das hier ist der Friedhof der Karaiten", sagt Shlomo Gaver und zeigt durch die Gitterstäbe des Eingangstors. Der große, schlanke Mann mit Brille ist Vorsitzender der karaitischen Gemeinde. Diese hat sich ab dem achten Jahrhundert vom rabbinischen Judentum abgegrenzt. Das heißt: Karaiten sind Juden, haben aber keine Rabbiner. Rabbinische Texte wie den Talmud lehnen sie ab. Sie folgen allein den Regeln der Thora.

Ausblick auf Beerdigungen

Die Gemeinde hat heute rund 40.000 Mitglieder. Hier auf dem jahrhundertealten Friedhof in Jerusalem werden bis heute ihre Toten begraben. Und über diese Gräber soll die neue Seilbahn führen. "Es ist doch verrückt, dass während des Begräbnisses, in einer solch schweren Stunde für die Angehörigen, Touristen über dem Friedhof gondeln", schimpft Gaver. "Das ist unvorstellbar."

Bis zu 3.000 Menschen pro Stunde sollen in den Gondeln vom Westen Jerusalems bis an das Altstadttor nahe der Klagemauer gelangen: 1,4 Kilometer weit in weniger als fünf Minuten. Die Seilbahn soll Besucher anlocken, vor allem aber Verkehrsprobleme rund um die Altstadt lösen. Komfortabel, ruhig, umweltfreundlich, so urteilt die Entwicklungsbehörde, die den Plan umsetzen soll. Im November hat das Baukabinett grünes Licht gegeben.

Viele Gegner

Die Karaiten sind nicht die Einzigen, die den Bau mit einer Petition beim Obersten Gerichtshof stoppen wollen. Eine Reihe israelischer Architekten, Städteplaner und Archäologen befürchtet, dass mit der Seilbahn und ihren meterhohen Betonpfosten das Weltkulturerbe Altstadt zu einer Art Disneyland verkommen könnte.

Ihr Argument: Das millionenteure, irreversible Bauprojekt ist von einer Übergangsregierung abgesegnet worden, die dazu gar nicht befugt sei. Außerdem sei das Projekte nicht nach den Standards des Verkehrsministeriums beurteilt worden. Experten kritisieren schon lange, dass die Seilbahn keine Staus auflösen, sondern diese nur in einen anderen Stadtteil verlagern würde. Obendrein hätten die Entwickler in Simulationen nicht deutlich gemacht, welche Folgen die Seilbahn auf die Skyline hätte. "Nie gab es ein Projekt, das für die Altstadt so schädlich ist wie diese Seilbahn", sagt Jonathan Misrachi, Vorsitzender der Architekten-NGO Emek Shaveh.

Er kritisiert auch die Verbindung des Projekts mit politischen Interessen: Die Endstation der Seilbahn soll in einem Touristenzentrum liegen, das noch gebaut wird, im Ostjerusalemer Stadtteil Silwan. Brisant daran: Betreiber ist die umstrittene Organisation El-Ad, die die jüdische Besiedlung des arabischen Ostjerusalem vorantreibt.

Im Ausland gäbe es Kritik

Fragt man die Karaiten, nennen sie religiöse Gründe: Ihrem Glauben nach ist es verboten, irgendetwas über einer Grabstätte zu errichten – sei es ein Dach oder eben eine Seilbahn. "Das würde die Toten entweihen und einer Grabschändung gleichkommen", erklärt Shlomo Gaver. "Würde heute eine Seilbahn über einen jüdischen Friedhof in Europa gebaut werden, würde das gesamte Judentum von Antisemitismus sprechen. Hier aber, im Staat Israel, interessiert es niemanden, wenn eine Seilbahn über einen karaitischen Friedhof führt."

Den Karaiten würde es schon reichen, würde sich die Route der Seilbahn ändern. Die Archäologen, Städteplaner und Architekten wollen hingegen das gesamte Projekt stoppen. Jonathan Misrachi hat noch nicht aufgegeben: "Wir haben noch eine Chance." (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 26.12.2019)