Der Einsatz der Exekutive gegen den Autohersteller VW wurde nun beendet.

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Die Prozesslawine gegen Volkswagen wegen Abgasmanipulation rollt und rollt. Hunderttausende Fahrer haben wegen der im September 2015 aufgeflogenen Abschaltvorrichtung geklagt, zudem laufen strafrechtliche Ermittlungen in mehreren Ländern sowie Verfahren geschädigter Anleger. So ganz klar ist auch mehr als vier Jahre nach Bekanntwerden von Dieselgate nicht, wer welche Ansprüche durchsetzen kann. Zu unterschiedlich sind die bisherigen Gerichtsentscheidungen.

Allein deutsche Zivilgerichte haben laut VW-Angaben bereits 38.000 Urteile gefällt. In Österreich laufen ebenfalls mehrere Verfahren. Der hierzulande wohl prominenteste Fall wurde nun erledigt. Die Republik Österreich hat einen Weihnachtsfrieden mit Volkswagen geschlossen. Der Staat ist ein Großkunde des weltgrößten Autobauers, vor allem die Polizei verwendet zahlreiche Modelle aus der VW-Familie. Das Gros der Fahrzeuge wurde geleast, ein Teil auch gekauft. Im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums waren 2100 Autos von der Manipulation betroffen.

Kolba sieht "ungeheuerlichen Skandal"

Der Verbraucherschutzverein (VSV) kritisierte den "Geheimvergleich" für Schadenersatz am Samstag in einer Aussendung. "Das ist ein ungeheuerlicher Skandal: Die Republik schaut, dass sie ihre Schäfchen ins Trockene bringt und lässt die hunderttausenden österreichischen VW-Kunden umfassend im Regen stehen," sagt Peter Kolba, Obmann des VSV.

Der VSV habe deshalb das Verkehrsministerium (BMVIT) wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft angezeigt. Das Verkehrsministerium habe bisher nichts unternommen, um normale Autokäufer zu einer Entschädigung zu verhelfen. In eine Anfragebeantwortung habe das BMVIT hingegen unlängst mitgeteilt, dass man keine Kenntnis davon habe, dass die Abgasreinigung von VW getürkt worden wäre.

Politik zurückhaltend

Die Republik hatte sich nach einer mehrjährigen Schrecksekunde 2018 – wie auch viele private und betriebliche VW-Halter – dazu durchgerungen, gegen den deutschen Konzern vorzugehen. Wobei hinter vorgehaltener Hand erzählt wird, dass der Staat den Schritt eher widerwillig gesetzt habe, befürchte die Politik doch negative Auswirkungen für heimische Autozulieferer, wenn Wien Wolfsburg zu forsch an den Karren fahre.

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Peschorn spricht von angemessener Entschädigung.
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Doch letztlich gelang es der Finanzprokuratur, dem Anwalt der Republik, die politischen Widerstände einigermaßen zu überwinden. Sie klagte nicht direkt auf Schadenersatz für die Wertminderung der Fahrzeuge, sondern schloss sich als Privatbeteiligte den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen Volkswagen an.

"Arglistige Täuschung"

Die Wertminderung des betroffenen Fuhrparks wurde mit mindestens 2,6 Millionen Euro angegeben und sei durch arglistige Täuschung verursacht worden, hieß es in der Eingabe. Wegen der Manipulation der Abgaswerte sei der Kaufpreis überhöht gewesen beziehungsweise seien zu hohe Leasingraten bezahlt worden. Der bestehende Mangel sei überdies durch die VW-Software-Updates nicht behoben worden, meinte die Finanzprokuratur.

Geld schon auf dem Konto

Das hat offenbar einen gewissen Eindruck hinterlassen, denn mit der nun vereinbarten außergerichtlichen Lösung leiste VW eine "angemessene Entschädigung", wie Innenminister Wolfgang Peschorn sagt. Er kennt den Fall recht gut, war er doch vor seinem Einstieg in die Übergangsregierung Präsident der Finanzprokuratur. Über die Höhe der Zahlung, die schon auf dem Konto eingelangt sei, will sich Peschorn nicht äußern und beruft sich auf mit VW vereinbartes Stillschweigen. In Volkswagen-Kreisen ist von einem Betrag etwas unter dem Streitwert die Rede. Offiziell war von dem Konzern vorerst keine Stellungnahme zu erhalten.

Abgeschleppt werden mussten VW-Autos der Polizei nicht, Wertminderung wurde aber sehr wohl geltend gemacht.
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Peschorn betont, dass der Vergleich auf Basis eines von der Republik beauftragten gerichtlich beeideten Sachverständigen erfolgt sei. Der Minister räumt freilich ein, dass ihm viel an einer "vernünftigen Vorgangsweise" gelegen sei. Er spielt damit offenbar auf die tausenden unerledigten Gerichtsprozesse und widersprüchlichen Ausgänge an. Denn vier Jahre nach Auffliegen des Skandals gibt es nach wie vor kein letztinstanzliches Urteil. Die Musterklage von 450.000 VW-Fahrern am Gerichtsstand Braunschweig hat Ende September begonnen.

Viele Kläger

Auch in Österreich laufen einige Verfahren. Laut Verbraucherschützern existieren 16 Sammelklagen für 10.000 heimische VW-Käufer, 7500 Autohalter werden durch Cobin Claims vertreten. 2500 Personen klagten individuell.

Aufsichtsratschef Pötsch übt Selbstkritik

VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch hat unterdessen eingestanden, dass VW eine große Mitschuld am schlechten Ruf des Diesels trägt. "Die Autoindustrie, insbesondere wir hier in Wolfsburg, haben zweifellos unseren Beitrag geleistet zur Beschädigung des Diesel", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" am Samstag. Bei der Manipulation von VW-Motoren handle es sich um den "größtmöglichen Schadensfall".

Das Kaufverhalten der Kunden habe die Dieselaffäre allerdings nicht beeinflusst. "Wenn man die reine Entwicklung der Stückzahlen anschaut, sieht man: Der Einbruch der Verkaufszahlen für den Diesel entstand durch die Diskussion über Fahrverbote, nicht durch den Dieselskandal", sagte Pötsch. (Andreas Schnauder, 27.12.2019)