Es ist ein Freitag, 15:36 Uhr, Regen: Menschen in braunen Mänteln, unauffällig dunklen Schiebermützen und angeschmutzter Arbeitskleidung durchstreifen die Gassen. Einige von ihnen treten ein in einen Schein aus goldgelb schimmerndem Licht, welches aus den Türschwellen der Tavernen strömt. Ein Lachen erschallt durch die Fensterläden, das Wasser füllt die Gassen. Von den Backsteinhäusern fallen Regentropfen aus den Rinnen, vom Hafen weht ein kalter Wind durch die Innenstadt und angedockte Segelboote taumeln in den Wogen auf und ab.

Was sich anhört wie eine Szene aus dem Altengland der 1930er-Jahre, ist heute nicht anders. Nur 56 Kilometer voneinander entfernt befinden sich zwei Städte, die älter und futuristischer, traditioneller und moderner, gleicher und unterschiedlicher nicht sein könnten: Liverpool und Manchester, Metropolen mit einer historischen Rivalität.

Ewige Konkurrenz

Beide Städte haben zwei Gesichter: auf einer Seite die Industriearbeiterklasse der Fabriken, auf der anderen die technologischen Innovationen der Forschung. Mit Umland zählen beide Städte zusammen 5,6 Millionen Einwohner, eines der höchst besiedelten Gebiete des Vereinigten Königreichs. Beide befinden sich in stetiger wirtschaftlicher Konkurrenz mit dem südlicheren London. Liverpool erschuf die Beatles, Manchester Oasis. Manchester United und Liverpool Football Club zählen zu den erfolgreichsten Fußballklubs der Welt. Zwischen den beiden Städten wurde die weltweit erste städtische Dampflok-Zugverbindung errichtet, um Güter schneller vom Liverpooler Hafen zu den Produktionsstätten in Manchester befördern zu können. Liverpool erlangte Wohlstand durch den internationalen Sklaven- und Warenhandel auf dem Seeweg, während Manchester durch seine erfolgreiche Textilindustrie in der Baumwollspinnerei wuchs.

Trotz all diesen gemeinsamen Errungenschaften sind Aussagen wie die von Gerry aus Liverpool nicht selten: "Manchester has one thing over Liverpool – rain."

Feiern in der Mathew Street, Liverpool.
Foto: Lukas Zeiler

Von der Wirtschaft zum Fußball

Zwischen den beiden Städten brodelt eine tiefgehende Rivalität, die ihren Ursprung im Jahre 1887 hat. Aufgrund der geografischen Lage hatte Manchester keinen Zugang zur See und musste sich an den Liverpooler Hafen wenden, um internationale Güter zur Produktion in die Stadt importieren und exportieren zu können. Dabei mussten sie Spesen bezahlen, die die Stadt Liverpool im Gegenzug einforderte.  Die Händler Manchesters ließen deshalb in einem sechsjährigen Bauvorhaben, welches damals insgesamt 15 Millionen Pfund kostete, einen Schiffskanal graben, der den vom Meer kommenden Transportschiffen direkten Zugang zur Stadt ermöglichen sollte. Die Politiker Liverpools protestierten vehement und für die Mancunians halbierten sich die Transportkosten von Baumwolle und Textilien fast über Nacht. Mit neidigen Augen beobachteten die Unternehmen in Liverpool, wie Manchester den Status der mächtigsten Industriestadt der Welt erlangte. Der Grundstein für eine schlechte Beziehung war gelegt.

Diese manifestierte sich auch im Sport. Manchester United Football Club wurde 1878 unter dem Namen "Newton Heath" gegründet, während der Liverpool Football Club 1892 das Licht der Welt erblickte. Ein Jahr später standen sich beide Teams zum ersten Mal gegenüber. Der LFC gewann die Partie 2:0 und stieg auf Kosten von Newton Heath in die erste Liga auf. Was folgte war ein stetiges hin und her: Liverpool FC und Manchester United lieferten sich jahrzehntelang einen Schlagabtausch an Trophäen und Preisen. Der ehemalige Manchester-United-Trainer Alex Ferguson sagte in einem Interview von 2011: "My greatest challenge was knocking Liverpool right off their f****** perch, and you can print that." 

Stimmung in einem Pub während eines Liverpool FC Matches.
Foto: Lukas Zeiler

Bis aufs Blut

Die Rivalität im Fußball war zu Hooligan-Zeiten (1970er und 1980er) besonders stark ausgeprägt. Straßenkämpfe, Vandalismus und derbe Beschimpfungen gehörten zum Alltag. Am 6. Februar 1958 stürzte in München ein Charterflugzeug mit 44 Menschen an Board ab. 23 Menschen verloren dabei ihr Leben, unter anderem acht Spieler und drei weitere Mitglieder des Manchester United Football Clubs. Hooligans des LFC scherzten in geschmacklosen Fangesängen im Stadion über dieses Geschehen:

"Who’s that dying on the runway?
Who’s that dying in the snow?
It’s Matt Busby and his boys
Making such a f****** noise
Coz they can’t get
their aeroplane to go!"

Die Fans des Liverpool FC wurden am 15. April 1989 jedoch ebenfalls Zeugen eines fatalen Desasters. In einem Spiel gegen Nottingham Forest im Hillsborough Stadion von Sheffield wurden 96 Menschen aufgrund eines Fehlverhaltens der Polizei in den Stehrängen erdrückt. Kurz vor Anpfiff ließ der für das Match verantwortliche Polizeikommandant David Duckenfield die Absperrungstore beim Gate C öffnen. Die draußen wartenden Menschenmassen strömten deshalb in die komplett überfüllten Stehreihen, wodurch 96 Fans ihr Leben verloren.

KillianM2

Die Rivalität hat sich außerhalb des Sports beruhigt, lebt aber heute im Fußball noch weiter. Aufgrund erhöhter Polizeipräsenz bei Spielen ist diese aber auch weniger brutal als in den Achtzigern. Die Auseinandersetzung dient für beide Seiten als Mittel zur Identifikation und Identitätsschaffung und wird im Fußball von der Uefa als Vermarktungsstrategie verwendet. Besonders in England verschmilzt die Welt des Fußballs sehr oft mit der "Realität", aber nicht alle Fans verfallen diesem kranken Wahn: "I don't like Liverpool, I am far from the only United fan who feels that way. I have walked passed the memorial outside Hillsborough on many occasions as I live in South Yorkshire and have been to the stadium on many occasions. I don't dare sing songs about Hillsborough or Heysel. There is line that people should not cross and hope that someday sick chants about such disasters as Munich and Hillsborough will be a thing of the past."

Zusammen muss es auch gehen

Ob sich die Beziehung außerhalb des Fußballs zum Besseren entwickelt, ist schwer zu sagen. 2008 unterstützte die Stadt Manchester öffentlich Liverpool im Vorhaben, europäische Kulturhauptstadt zu werden, was auch gelang. Viele Menschen pendeln in die jeweils andere Stadt um zu arbeiten. Ein weiterer großer Faktor, der beide Städte eint, ist der Wettstreit mit der Zentralregierung in London um staatliche und privat finanzierte Investmentgelder. Diese bleiben oft im Süden hängen und erreichen Nordengland in wesentlich geringerem Ausmaß. Um dem entgegenzuwirken wurde 2015 das Projekt "Northern Powerhouse" ins Leben gerufen, welches eine Vision für eine "super-connected, globally-competitive northern economy with a flourishing private sector, a highly-skilled population, and world-renowned civic and business leadership" hat. Das Projekt umspannt eine Vielzahl an nördlichen Bezirken, unter anderem Greater Manchester und die Liverpool City Region.

"Whilst I'm no great lover of Liverpool, it's obvious that our two cities have far more in common with each other than we commonly admit. Manchester has been quicker off the blocks in redeveloping itself and Liverpool is to a certain extent playing catch up. I wish them good luck - anything that breaks up the hegemony of power concentrated in London is a good thing", schreibt ein Bewohner Manchesters. 

Dieser Vorstoß gegen die Hauptstadt zeigt, wie beide Städte mit vereinten Kräften ein gemeinsames Ziel erreichen können. Nicht alles ist Fußball, nicht alles ist Verachtung. Geht man in die Tiefe, findet natürlich auch ein blindes Huhn einen Grund, seinen Nachbarn zu hassen. Geht das Huhn aber noch tiefer, erkennt es höchstwahrscheinlich, dass man Unmengen an Gemeinsamkeiten hat; unter anderem die fragwürdig ausgeprägte Esskultur. (Lukas Zeiler, 10.1.2020)

Lukas Zeiler ist Blogautor für TEDxVienna.

Links

Weitere Beiträge im Blog