Jetzt nur nicht hudeln. Auf den letzten Metern, das Ziel bereits in Sicht, ist die Gefahr des Strauchelns am größten. Alles andere als eine Einigung zwischen ÖVP und Grünen wäre eine Riesenblamage – und zwar für beide Parteien, da könnten Sebastian Kurz und Werner Kogler die Schuld hin- und herschieben, wie sie wollen. Die beiden sind gewissermaßen zur Zusammenarbeit verdammt, auch wenn ein paar wesentliche Hindernisse inhaltlicher Natur noch nicht aus dem Weg geräumt sind.

Aufgabe von Kurz und Kogler im Verhandlungsfinale ist es eben, Lösungen für jene Widersprüche zu finden, die bei einer Zusammenarbeit von ÖVP und Grünen aufgrund der Natur der beiden systemimmanent sein müssen. Dass zwei so unterschiedliche Parteien zusammenfinden können, ist ein Kunststück, bei dem sich beide bewegen müssen, ein Stückchen mehr, als ihnen gerade noch recht sein kann. Am Ende der Verhandlungen muss es aber zwei Gewinner geben. Im Idealfall müsste das ganze Land dann davon profitieren, nicht nur die beiden Parteichefs.

ÖVP-Chef Sebastian Kurz.
Foto: Robert Newald

Der Druck, endlich fertig zu werden und die Koalition zu verkünden, ist enorm, auch wenn noch gar nicht so lange verhandelt wurde. Viele Zeitungen haben schon mehrfach das Ende der Verhandlungen und die fixierte Lösung hinaustrompetet. Die mediale Erwartungshaltung ist enorm.

Druck zum raschen Fertigwerden

Den meisten Bürgern hingegen ist die türkis-grüne Koalition über die Feiertage nicht wirklich abgegangen. Zu Weihnachten von der Politik nicht belästigt zu werden, sich den Lieben und zwangsläufig auch den weniger Lieben widmen zu können, sich dem Essen, den Geschenken und den Krisen, die sich gerade in der sogenannten stillen Zeit so wundervoll zuspitzen können, hingeben zu können ist den meisten mehr wert als ein neuer Kanzler, der sich in die Feiertage drängt und um Aufmerksamkeit heischt. Das ist wohl auch ÖVP-Chef Kurz bewusst: Der will auch nicht im Geschenkeberg untergehen, der will sich, seinen neuen Partner und die gemeinsame Regierung ordentlich präsentieren – und zwar dann, wenn alle wieder einen Kopf dafür haben und sich von den freien Tagen und dem damit verbundenen Entspannungsstress erholt haben – und es inhaltlich eine Einigung gibt.

Hört man in die Verhandlungsrunden hinein, kam und kommt der Druck zum raschen Fertigwerden eher vonseiten der ÖVP als von den Grünen. Der ÖVP kann man dabei ruhig schlechte Absichten unterstellen: Indem sie die Grünen drängt, jetzt doch bitte Schluss zu machen und sich mit einem Kompromiss oder offenen Fragen abzufinden, erwartet sie sich ein Entgegenkommen im Sinne von: Stellts euch doch nicht so an.

Gerade die Grünen sind aber gut beraten, möglichst viele Details auch in nicht so wichtigen Kapiteln genau zu verhandeln und niederzuschreiben, um den Interpretationsspielraum der ÖVP für die Zeit des Regierens einzuschränken. Erfahrungsgemäß setzt sich bei offenen Fragen in einer Beziehung immer der Stärkere durch, und das ist – gemessen an Wählerstimmen – die ÖVP. Je genauer das gemeinsame Regierungsprogramm aufgedröselt ist, desto geringer ist die Gefahr von Konflikten, die bei offenen und unerwarteten Fragen auftreten können. Das mag zwar die kreative Lösungsfindung einschränken, kann den Bestand der Koalition aber ganz entscheidend verlängern. Und wir wollen ganz sicher nicht in zwei Jahren wieder wählen. (Michael Völker, 27.12.2019)