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Die meisten unserer Vorsätze sind keine konkreten Ziele, sondern abstrakte Wünsche. Das ist der wichtigste Grund, warum wir sie nicht einhalten, sagt Psychologin Alexandra Freund. Mehr Sport zu machen ist ein Wunsch – jeden Montag nach der Abend laufen zu gehen ein konkretes Ziel. Außerdem zentral: Rückfälle einplanen. Sie sorgen häufig dafür, dass der Vorsatz aufgegeben wird. Ein Gespräch über Vorsätze und ethischeres Leben.

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Vorsätze einzuhalten erfordert nicht nur Disziplin – sondern auch einen guten Plan.
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STANDARD: Der klassische Vorsatz für das neue Jahr ist, mit dem Rauchen aufzuhören oder abzunehmen. Andere wollen weniger fliegen, bewusster einkaufen – ist das aus psychologischer Sicht ähnlich?

Freund: Ja. Wenn ich abnehmen möchte, gibt es positive Konsequenzen für mich. Etwa mehr Gesundheit oder Attraktivität. Das ist auch beim Fliegen so: Ich möchte ein guter Mensch sein. Es geht aber nicht nur um mich, sondern um die Allgemeinheit. Insofern hat es eine stärkere Signalwirkung nach außen. Ich signalisiere etwas über mich, wenn ich etwa vegan lebe. Damit bin ich in der Gemeinschaft, in der ökologische Anliegen einen Wert haben, auch attraktiver. Das ist meist eine unbewusste Verbindung, also nicht unbedingt strategisch eingesetzt. Das ist dasselbe, wie wenn ich schlank sein möchte. Es ist nur ein anderes Mittel, mich attraktiv zu machen. Ziele kommen nicht aus dem Nichts. Sie sind immer auch gesellschaftlich eingebettet.

STANDARD: Sie sind Vegetarierin?

Freund: Ich lebe seit 40 Jahren vegetarisch. Damals war das noch nicht hi,p. Wie oft habe ich den Vorwurf gehört, dass ich glaube, ein besserer Mensch zu sein. Die Signalwirkung wird wahrgenommen und bei manchen ist das verpönt. Ob und wie ein Signal wahrgenommen wird, hängt davon ab, in welchen Kreisen wir uns bewegen. Bei manchen kommt es gut an, Vegetarier zu sein, bei anderen stößt es auf Widerstand.

STANDARD: Dass Sie das trotz widriger Umstände machten, zeigt das nicht doch auch, dass man aus sich selbst heraus Ziele formen kann?

Freund: Es hat natürlich auch etwas, die Einzige zu sein. Das gibt einem einen besonderen Status. Beim Mittagessen mit den Eltern ist es vielleicht nicht einfach. Aber man spielt eine Vorreiterrolle. Ist Kämpfer für das Gute. Man ist interessanter, hat Gesprächsstoff und sticht heraus. Nicht, dass ich das als Kind bewusst eingesetzt habe. Solche Prozesse laufen oft ab, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

STANDARD: Zurück zu den Neujahrsvorsätzen: Warum fällt es vielen so schwer, sie einzuhalten?

Freund: Es gibt mehrere Gründe. Häufig sind sie sehr abstrakt, mehr Wünsche als Ziele. Zweitens sind sie oft zu radikal. Man nimmt sich zu viel vor. Wenn man etwas nicht in seinen Alltag einbauen kann, funktioniert es nicht. Drittens gibt es oft keine Pläne dafür, wenn die Situation schwierig wird. Beispielsweise wenn es regnet und ich mir vorgenommen habe, zu joggen – dann brauche ich einen Plan, wie ich stattdessen an dem Tag Sport machen kann. Viertens: Es muss zur Gewohnheit werden. Ethisch leben ist ein Wert, kein Ziel. Was will ich konkret?

STANDARD: Also etwa nicht abnehmen, sondern Laufen gehen.

Freund: Genau. Und nicht: "Ich muss mehr laufen", sondern: "Ich gehe montags und mittwochs nach der Arbeit laufen". Möglichst noch mit jemandem verabreden, um den Verpflichtungscharakter zu erhöhen. Beim Müllvermeiden nicht einfach sagen: "Ich nehme keine Plastiktüten mehr", sondern immer eine recyclte Tüte bei sich haben. Dann wird es zur Gewohnheit, und nur wenn es zur Gewohnheit wird, bringt es auch etwas. Mit dem Fliegen ist es dasselbe. Was mache ich, wenn ich einen Termin in Berlin habe und nur einen Tag dafür Zeit habe? Kann ich das vielleicht im Vorhinein anders planen? Per Skype? In Frankfurt per Bahn treffen?

STANDARD: Ist das Erreichen von Zielen auch eine Charakterfrage?

Freund: Ja. Diese Eigenschaft nennt man in der Psychologie Gewissenhaftigkeit. Die hängt damit zusammen, dass man Ziele disziplinierter verfolgt. Da geht es darum, jetzt gleich eine kleine Befriedigung zu bekommen versus später eine größere. Viele handeln sehr impulsiv – aber das lässt sich trainieren. Etwa, indem ich mir im Moment der Versuchung vorstelle: Wenn ich das jetzt mache, was heißt das für mein Ziel? Und man sollte immer bestimmte Ausnahmen mit einplanen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Freund: Wenn ich mir vornehme: Nie wieder Fleisch! Aber ich habe keinen Ekel davor, sondern im Gegenteil, ich mag es und den Geruch ... stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer Grillparty, und alle essen Fleisch. Das ist so unwahrscheinlich, dass man es dann schafft, darauf zu verzichten. Einfacher ist: Einmal die Woche oder einmal im Monat darf ich eine Ausnahme machen. Ich muss nicht, aber ich darf dann Fleisch essen. Dann ist das kein Rückfall, sondern eben eine Ausnahme. Rückfälle führen oft dazu, das man Vorsätze ganz bleiben lässt. Jetzt habe ich schon ein Stück Schokolade gegessen, dann kann ich gleich die ganze Tafel essen. Besser ist, zu sagen: Okay, das war eine Ausnahme. Ich bin kein schlechter Mensch, weil ich meinen Vorsatz heute nicht eingehalten habe. Sondern ich darf mir eine Ausnahme gönnen, und morgen esse ich wieder kein Fleisch. Wenn man sich das in die Ziele einbaut, hilft das enorm.

STANDARD: Sie beschäftigen sich wissenschaftlich damit, wie man sich sinnvoll Ziele setzt. Sind Neujahrsvorsätze sinnvoll?

Freund: Es ist natürlich willkürlich, dass man das zu Neujahr macht. Es ist nicht schlecht, in regelmäßigen Abständen zu resümieren und sich zu fragen: Was will ich eigentlich? Was für ein Mensch möchte ich sein, und wie komme ich da hin? Sich das aufzuschreiben ist nicht schlecht. Man muss allerdings wegkommen von den hochgesteckten, hehren Vorsätzen, die in der Luft hängen. Es sind oft nur Ideen: Es wäre schön, wenn mein Leben so wäre. Die Kunst besteht darin, sich nicht riesige Ziele vorzunehmen, sondern konkrete. Und nicht gleich das ganze Leben umkrempeln, das schafft man sowieso nicht. Sondern Schritt für Schritt Gewohnheiten zulegen. Keinen Plastikmüll anzusammeln oder vom Auto auf das Rad umzusteigen, das sind Gewohnheiten, die man sich aufbauen muss.

STANDARD: Wenn Ziele maßgeblich durch unser soziales Umfeld bestimmt werden – sind dann Plädoyers für Flugscham nicht sinnlos? Der Bobo sammelt Pluspunkte, okay. Unter Pensionisten bekommt man die mit der Kreuzfahrt.

Freund: Man kann Leute schon "in ein gewisses Verhalten schämen". Wie beim Rauchen. Als ich jung war, hat mein Vater im Auto bei geschlossenen Fenstern mit vier Kindern geraucht. Heute würde man ihn anschauen, als wäre er ein Kinderschänder. Da hat Scham natürlich einen Effekt. Dieses Gefühl: Wie kann die nur eine Plastiktüte verwenden? Das hat einen Effekt, weil man mit sozialer Missbilligung leben muss. Auch wenn ich die Überzeugung zunächst vielleicht gar nicht hatte, geht das irgendwann in Fleisch und Blut.

STANDARD: Bei manchen löst das aber das Gegenteil aus: Trotz.

Freund: In der Psychologie nennt man das Reaktanz. Also: Ich lasse mir meine Freiheit nicht von euch nehmen! Dazu braucht man aber auch eine Subgruppe, die das okay findet. Wenn alle sagen: Liebe Tante, hast du sie noch alle? Hast du dir mal die Ökobilanz deiner Kreuzfahrt angeschaut? Das ist ja das Allerletzte. Dann würde sie vielleicht auch sagen: Schluss damit. Je mehr mitmachen, desto verbreiteter wird das. Aber es wird immer einen Prozentsatz geben, der sagt: Jetzt erst recht. Wichtig ist aber auch, Alternativen zu schaffen. Die Leute werden nicht aufhören, zu reisen. Aber Scham funktioniert.

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