Denkt man an historische Seuchenausbrüche, kommt einem automatisch der Schwarze Tod des 14. Jahrhunderts in den Sinn. Die von dem Bakterium Yersinia pestis ausgelöste Beulenpest gilt als eine der schlimmsten Pandemien der Geschichte: Geschätzte 25 Millionen Menschen wurden zwischen 1346 und 1353 von ihr dahingerafft – wahrscheinlich ein gutes Drittel der damaligen europäischen Bevölkerung.

Es war freilich nicht die erste große Seuchenwelle, die Europa getroffen hat. Schon im Neolithikum könnte die Pest gewütet haben. Und im zweiten Jahrhundert grassierte beinahe auf dem gesamten Gebiet des Römischen Reiches die sogenannte Antoninische Pest. Allerdings wird diese mittlerweile von vielen Wissenschaftern nicht mit Yersinia pestis in Zusammenhang gebracht. Vermutlich waren Pocken- oder Masernviren verantwortlich. Anders dagegen sieht es mit der Justinianischen Pest aus, die in der Spätantike und im Frühmittelalter zahllose Todesopfer forderte.

Während der Herrschaft von Justinian I. (um 480 – 565) brach im Mittelmeerraum die nach ihm benannte Pestpandemie aus.
Foto: Petar Milošević

Krankhafter Beitrag zum Ende der Antike?

Diese tatsächlich vom Pesterreger Yersinia pestis verursachte Pandemie begann im Jahr 541 in Ägypten, erreichte im Jahr darauf Konstantinopel und breitete sich schließlich im gesamten Byzantinischen Reich aus. Benannt ist sie nach dem damals regierenden Kaiser Justinian I. Die Krankheit suchte für nahezu 200 Jahre in mehreren Wellen Europa und den Mittelmeerraum heim und soll zwischen 30 und 50 Prozent der Bevölkerung des Oströmischen Reiches getötet haben. Lange Zeit vermutete man, dass sie womöglich auch indirekt zum Ende der Antike beigetragen hat.

Eine aktuelle Studie kommt nun allerdings zu ganz anderen Schlüssen. Ein Team unter der Leitung von Forschern der Universität Maryland fand bei der Analyse verschiedener Datensätze keine konkreten Hinweise auf die bisher beschriebenen verheerenden Auswirkungen der Justinianischen Pest. "Wenn diese Pest ein Schlüsselmoment in der Geschichte der Menschheit gewesen wäre, der in nur wenigen Jahren, wie oft behauptet wird, zwischen einem Drittel und der Hälfte der Bevölkerung im Mittelmeerraum das Leben gekostet hätte, wären wir auf Beweise dafür gestoßen. Aber unsere Datenerhebung ergab keine", sagt Hauptautor Lee Mordechai, der mittlerweile an der Hebrew University of Jerusalem arbeitet.

Geschichte aus der Umweltperspektive

Um zu diesem Ergebnis zu kommen, untersuchten die Wissenschafter zeitgenössische schriftliche Quellen, Inschriften, Münzen, Papyrusdokumente, Pollenproben, Pestgenome und archäologische Berichte. Die Forscher konzentrierten sich für ihre im Fachjournal "Pnas" erschienene Arbeit auf die als Spätantike bekannte Zeit zwischen 300 und 800 unserer Zeitrechnung. "Unsere Arbeit schreibt die Geschichte der Spätantike aus einer Umweltperspektive neu, bei der nicht angenommen wird, dass die Pest die Welt verändert hat", sagte Merle Eisenberg, Koautor der Arbeit von der Princeton University.

So ergab etwa die Analyse von Daten zur damaligen Landwirtschaft, dass sich Trends, die vor dem Ausbruch der Pest begannen, während der Pandemie unverändert fortsetzten. "Wir haben Pollenfunde verwendet, um die landwirtschaftliche Produktion zu schätzen, die keinen Rückgang im Zusammenhang mit der Peststerblichkeit zeigt", erklärt Adam Izdebski vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Wenn weniger Menschen auf dem Land arbeiten, hätte dies anhand von Pollen nachgewiesen werden müssen, aber bisher ist dies nicht gelungen."

Die Grafik zeigt die Eckpunkte der nun veröffentlichten Studie.
Illustr.: Elizabeth Herzfeldt-Kamprath, SESYNC

Keine Unterschiede bei den Bestattungen

Sogar einige der bekanntesten Auswirkungen großer Epidemien, wie beispielsweise Änderungen bei den Bestattungstraditionen, folgten während der Seuchenzeit bestehenden Gewohnheiten, die Jahrhunderte zuvor begannen. Das Team analysierte dazu Informationen zu menschlichen Bestattungen vor und nach dem Ausbruch der Pest. Signifikante Unterschiede kamen dabei nicht ans Tageslicht. Im Vergleich dazu veränderte der Schwarzen Tod des Mittelalters sehr wohl die Art und Weise, wie Menschen Leichen entsorgten.

Zwar erheben die Wissenschafter um Lee Mordechai nicht den Anspruch einer lückenlosen Gültigkeit ihrer Resultate für den ganzen Mittelmeerraum dieser Epoche – Pollen- und Genanlysen liegen beispielsweise nur für einige Regionen vor – , doch insgesamt weisen demnach alle erhobenen Daten stark darauf hin, dass die Justinianische Pest weitaus nicht so verheerend gewesen sein dürfte als bisher vielfach angenommen. (tberg, 2.1.2020)