In Zeiten, in denen die neue Volkspartei einen Höhenflug erfährt, findet synchron ein Abgesang auf die Sozialdemokratie statt. Dies hat neben der Personalkultur und Personalentwicklung einen damit verbundenen inhaltlichen Grund. Die SPÖ hat keine polarisierenden Themen mehr, da es ihr anscheinend einerseits an Mut und andererseits an der notwendigen Kreativität mangelt. Die Anti-Ausländer- und Migrations-Orgel hat die Freiheitlichen bei der Nationalratswahl 2017 zu sagenhaften 26 Prozent geführt und der ÖVP gelang es mit einer leicht abgeänderten und gesellschaftlich verdaubareren Imitation dieses eindimensionalen und gerade deswegen emotional höchst aufgeladenen Themas den Kanzlersessel zu ergattern. Umgekehrt ist der SPÖ kein eigenes Thema, welches eine ähnlich wirkungsvolle Debatte auslöst, eingefallen.

Politik als Disruptor

Politik ist ein Wettkampf der besten Themen, aber auch Veränderung beispielsweise durch Disruption. Auf technologischer Ebene steht der Terminus für eine Innovation, die ein bestehendes Produkt sogar vollständig verdrängt. In jedem Fall handelt es sich um einen Umbruch beziehungsweise die Auflösung von Bestehendem. Dazu gehört neben innovativem Potenzial vor allem der Mut zu Visionen, egal ob diese auf dem ersten Blick vollständig praktikabel oder bis ins kleinste Detail durchdacht sind. Das Ziel ist es, gerade auf dem breiten Feld der Politik-Diskussionen und wenn notwendig Disruptionen in der Gesellschaft auszulösen, die zu positiven Konsequenzen für die Gemeinschaft führen. Der heiß diskutierte Themenkomplex des bedingungslosen Grundeinkommens wäre ein ebensolches.

Grundeinkommen als linkes Thema?
Foto:APA/zb/Monika Skolimowska

Assoziationstest für die Politik

Beim bedingungslosen Grundeinkommen treffen Welt- und Wertbilder, ähnlich wie bei der Migrationsthematik aufeinander. In einer Epoche der starken Disruptionen in der Arbeitswelt, in welcher Technologien, wie künstliche Intelligenz oder Automatisierung ganze Berufsfelder umkrempeln und die Zukunft der Arbeit für viele nicht linear vorhersagbar ist, stellt sich die Frage nach einer menschengerechten Zukunftsperspektive. Denn aktuell dominiert eher die Kybernetik des Geldflusses und weniger jene des Gedankenflusses in Richtung einer lebenswerten und sinnstiftenden Existenz für jene, die im darwinschen “Survival of the fittest“ nicht ganz vorne mitspielen. Hier wäre die Debatte um eine Art des Grundeinkommens, ob bedingungslos oder nicht, mehr als sinnvoll. Im konservativen bis rechten Lager stößt man mit dieser Thematik eher auf Ablehnung bis hin zur kompletten Abwehr. Doch sogar auf der sozialdemokratischen Seite sind die Stimmen, welche ein derartiges Gesellschaftsmodell der sozialen Absicherung befürworten, eher verhalten.

"Konviviale" Gesellschaft

Die Parteispitze der SPÖ ist, so wie es den Anschein erweckt, mehr mit dem politischen und strukturellen Überlebenskampf beschäftigt, als dass sie Zeit für wahrhaft visionäre Ideen hat. Der Philosoph und Theologe mit jesuitischem Bildungshintergrund Ivan Illich, welcher durchaus provokante Thesen wie jene, dass die Schule eine der mächtigsten Fesseln menschlicher Intelligenz und Freiheit sei, in den Raum stellte, prägte ebenso den Begriff der "Konvivialität". In seinem Konstrukt geht es um einen lebensgerechten Einsatz des technischen Fortschritts. Der Übergang der Produktivität zur “Konvivialität“ bedeutete für den Philosophen und römisch-katholischen Priester, einen ethischen Wert an die Stelle eines technischen Wertes zu setzen. Denkt man in diesem Sinne weiter, könnte man auf die Idee kommen, dass das bedingungslose Grundeinkommen eine mentale Basis schaffen kann, um sich ohne existenzielle Angst in Richtung der Anforderungsprofile der Zukunft hinzuentwickeln, bis der Einstieg in einen erfüllenden Beruf gelingt. Ob sich die SPÖ mit Illichs Thesen in letzter Zeit auseinandergesetzt hat, wissen wir nicht. Vielleicht findet in der Partei ein qualitativer Paradigmenwechsel statt – ein Sprengen der mentalen Ketten, weg von politischer Eindimensionalität und reinem Strukturdenken. (Daniel Witzeling, 6.1.2020)

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