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6. Jänner 2014, Bischofshofen: Der goldene Adler, die Trophäe für den Gesamtsieg, spreizt seine Flügel. Thomas Diethart, der vielleicht sensationellste Sieger der Tournee-Historie, hat seine schon eingefahren.

Foto: AP Photo/Kerstin Joensson

Carl Perkins (Blue Suede Shoes, 1956), Ram Jam (Black Betty, 1977), Richard Sanderson (Reality, 1980), Opus (Live is life, 1984), Clowns & Helden (Ich liebe dich, 1986), 4 Non Blondes (What’s up, 1993), Los del Rio (Macarena, 1996), Natalie Imbruglia (Torn, 1997), Psy (Gangnam Style, 2012) und Thomas Diethart (Vierschanzentournee, 2013/14).

Diese Top 10 der One-Hit-Wonder, noch dazu chronologisch gereiht, sind natürlich subjektiv. Und, ja, Thomas Diethart tanzt etwas aus der Reihe. Doch zumindest im Sport hat man selten einen Stern gesehen, der so flott und überraschend aufgegangen und nur wenig später genauso jäh wieder erloschen ist. Etwas mehr als sechs Jahre ist es her, dass Diethart bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg für den angeschlagenen Thomas Morgenstern eingesprungen ist. Als Vierter und Sechster fiel er dem damaligen ÖSV-Cheftrainer Alexander Pointner auf und in den Schoß.

Der 21-jährige Diethart fuhr mit zur Tournee, belegte dort die Ränge drei, eins, fünf und eins. Der erste Gesamtsieg eines Niederösterreichers – vor Morgenstern und dem Schweizer Simon Ammann – war ein überlegener, gleichzeitig die vielleicht größte Sensation in der Geschichte der vier Schanzen. Vor der Tournee hatte Diethart nicht mehr als vier Weltcupbewerbe in den Beinen gehabt. Dann reiste sogar Landeshauptmann Erwin Pröll zum finalen Event nach Bischofshofen. Fotos mit Siegern kommen immer gut.

Raus aus dem Kofferraum

Christa und Gernot Diethart aus Michelhausen bei Tulln waren natürlich auch da. Die Mutter des ungläubig dreinblickenden Thomas hielt ein Plüschschweinderl, der Vater hatte sein Gesicht rotweißrot bemalt. Dieses Gesicht wurde zum Gesicht der Tournee, auch weil Papa Gernot sich so unbändig freute und erfrischende, fröhliche Interviews gab. Schließlich konnte er sich noch an unzählige stundenlange Autofahrten erinnern und an Übernachtungen, bei denen man lieber sparen wollte. "Wir sind aus dem Kofferraum gekrochen, und dann ist Thomas trainieren gegangen."

Es kommt einem vor, als müsste Dietharts Tourneetriumph, der sechste en suite für Österreich nach Wolfgang Loitzl, Andreas Kofler, Morgenstern und zweimal Gregor Schlierenzauer, viel länger zurückliegen. 2015 sollte Stefan Kraft noch einen siebenten hinzufügen, das war es dann bis heute. Zuletzt kam dreimal en suite kein ÖSV-Springer unter die ersten Drei der Gesamtwertung. Und doch will man nicht von Absturz reden angesichts dessen, was Diethart widerfahren ist.

Der Niederösterreicher hatte sich bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi noch über Mannschaftssilber freuen können. Auch da war wieder von seiner Unbeschwertheit und Leichtigkeit die Rede und Schreibe. Doch dann sprang Diethart eineinhalb Saisonen lang hinterher, und wie zuvor sein plötzlicher Aufstieg war nun seine Formlosigkeit kaum zu erklären.

Stürze

28. Februar 2016, ein Continentalcup in Brotterode in Thüringen. Diethart stürzt schwer, erleidet Gesichtsverletzungen sowie Prellungen an der Wirbelsäule, an der Lunge und an der Niere. Ein Trainingsunfall kurz darauf verläuft vergleichsweise glimpflich, doch am 29. November 2017 verliert Diethart beim Training in der Ramsau die Skikontrolle und prallt auf den Schanzenvorbau. Er kommt im Krankenhaus zu sich und denkt sofort: "Das war es, jetzt lass ich es."

Wenig später ließ er es wirklich. Heute hat er kein Problem damit, über seine Stürze zu reden. "Beim ersten Mal hatte ich wirklich Pech mit dem Wind, am zweiten und dritten Sturz war ich selbst schuld." Darüber kann er sich auch immer noch ärgern, schließlich kommt ihm schon ab und zu der Gedanke, dass vielleicht noch einiges möglich gewesen wäre. Doch es ist schon gut so, wie es ist. Schließlich sei "der dritte Sturz heute mehr präsent als der Tourneesieg", vor allem der gesundheitlichen Folgen wegen.

Nur anfänglich tat sich Diethart manchmal schwer damit, sich etwas zu merken. Von Dauer allerdings ist der Verlust des Geschmacks- und des Geruchssinns. Doch auch daran gewöhne man sich. "Ich weiß ja noch, wie mir etwas geschmeckt hat, das hab ich abgespeichert. Deshalb esse ich jetzt immer noch gerne, was ich vorher gerne gegessen habe." Einzig bei der Feststellung, ob Lebensmittel vielleicht schon verdorben sind, tut sich Diethart schwer, zur Not geht er auf Nummer sicher. Apropos Essen und apropos wegwerfen: "Was als Erstes aus der Wohnung geflogen ist, war die Waage."

Dem nun 27-jährigen Diethart, Spitzname Didl, schwebt eine Trainerlaufbahn vor. Nach seinem Rücktritt hatte ihn sein Ex-Coach Harald Haim kontaktiert und ihm geraten, sich in Absam zu melden, wo ein Betreuer gesucht wurde. Nun kümmert sich Diethart schon die zweite Saison um neun- bis zwölfjährige Talente beim HSV Absam und im Tiroler Landesverband. Die Ausbildung zum Skisprunginstruktor hat er hinter sich, der allgemeine Trainer und der Skisprungspezialtrainer könnten folgen. Tirol ist seit fünf Jahren sein Lebensmittelpunkt, zu Weihnachten war er aber schon bei den Eltern. Wobei er nicht nur alle heiligen Zeiten, sondern alle paar Wochen nach Michelhausen fährt.

Raus aus dem Flugzeug

Sprunghaft ist Thomas Diethart nur noch mit Fallschirm auf dem Rücken, fünfzig solcher Sprünge hat er hinter sich. Ab und zu geht er ins Kino, einmal hat er sich selbst gesehen, in der Sportdoku The Big Jump – Flieg mit uns in 3D. Da kommen Stefan Kraft, Daniel Andre Tande, Noriaki Kasai und andere zu Wort. Diethart gab, wie er sagt, "das Negativbeispiel" ab, damit hatte er kein Problem. "Es war ja so, wie es war. Und es war lässig, mich selbst auf der Leinwand zu sehen."

Die Tournee gibt sich Diethart daheim im Fernsehen. "Ich fiebere mit", sagt er und nennt die Ex-Kollegen "immer noch meine Partie". Ab und zu werde er in der Öffentlichkeit angesprochen auf früher, auf seinen sensationellen Tourneesieg. "Aber im Prinzip sind solche Erfolge bald einmal Geschichte." Womit wir wieder bei den 4 Non Blondes oder Los del Rio wären, die davon ebenfalls ein Lied singen können. (Fritz Neumann, 30.12.2019)