Bereits seit dem 11. November verhandeln ÖVP und Grüne über die Bildung einer neuen Regierungskoalition – nun ist sie fix und soll Anfang Jänner präsentiert werden. Nie zuvor haben Volks- und Umweltpartei gemeinsam eine Bundesregierung gebildet. Doch schon jetzt sind die Zweifel an der Stabilität eines solchen Bündnisses groß. Die inhaltlichen Unterschiede in den Bereichen Migrations- und Sozialpolitik seien kaum zu überwinden, noch dazu die Mehrheit im Nationalrat lediglich durch wenige Sitze abgesichert. Was weiß die Politikwissenschaft über Zusammenhalt und Bruch von Regierungen? Und welche Lehren lassen sich daraus für eine türkis-grüne Koalition ableiten?

Eigentlich stabiles Österreich

Im europäischen Vergleich sind österreichische Regierungen eher stabil. Wie die Abbildung unten zeigt, hielten Regierungen hierzulande zwischen 1990 und 2018 im Durchschnitt 73 Prozent der Tage zwischen Amtseintritt und der nächsten planmäßigen Nationalratswahl. Eher instabil sind dagegen die Regierungen zahlreicher osteuropäischer Länder (beispielsweise Polen, Litauen, Tschechien), aber auch Belgien und Griechenland neigen verstärkt zu vorzeitigen Amtsenthebungen, Rücktritten oder Neuwahlen. In Rumänien, das Schlusslicht der Statistik ist, erreichen Regierungen im Durchschnitt nicht einmal die Hälfte der ihnen zur Verfügung stehenden Zeit bis zur nächsten planmäßigen Parlamentswahl. Ein besonders hohes Durchhaltevermögen haben die Regierungen in Norwegen und Schweden sowie in Luxemburg und Deutschland.

Mittlere Regierungsdauer in Europa, 2000–2018 (anteilig zur real verfügbaren Amtszeit). Anmerkungen: Beinhaltet alle Regierungen, die nach 2000 ins Amt kamen und deren Amtszeit vor dem 31.12.2018 abgeschlossen war. Alle Abbildungen basieren auf Daten von Svenja Krauss (2018 in "West European Politics") sowie eigenen Erhebungen zusammen mit Svenja Krauss.
Grafik: eigene

Diese Unterschiede in der Regierungsstabilität zwischen Ländern können insbesondere mit verschiedenen Rechten von Parlament und Staatsoberhaupt erklärt werden. Nur in wenigen Ländern wie der Schweiz regiert eine einmal angelobte Regierung zwangsläufig bis zum Ende der Legislaturperiode, wenn sie nicht aus eigenen Stücken zurücktritt. Die meisten Verfassungen sehen die Möglichkeit vor, die Regierung ihres Amtes zu entheben oder das Parlament aufzulösen, wodurch indirekt wiederum das Ende der Regierung herbeigeführt wird. Allerdings variiert die Ausgestaltung dieser Mechanismen stark. So ist ein Misstrauensvotum des Parlaments, wie es jüngst die Regierung unter Kurz beendete, in Deutschland und Spanien nicht vorgesehen. Dort können die Parlamente die Regierungsoberhäupter nur des Amtes entheben, wenn gleichzeitig eine neue Person gewählt wird, wodurch ein außerplanmäßiges Regierungsende erschwert wird. In vielen anderen Ländern hat zudem das Staatsoberhaupt die Möglichkeit, das Parlament aufzulösen. In Italien machte Staatspräsident Sergio Mattarella 2017 von dieser Möglichkeit Gebrauch, ebenso sein lettischer Kollege Valdis Zatlers 2011. Im Gegensatz dazu kann der Bundespräsident den Nationalrat nur auf Vorschlag der Bundesregierung auflösen, wodurch eine höhere Hürde für vorzeitige Neuwahlen entsteht. Im europäischen Vergleich ist Österreich somit institutionell eher robust aufgestellt.

Trotzdem verfestigte sich in den letzten Jahren der Eindruck, dass das Ende der Regierung deutlich vor den planmäßigen Nationalratswahlen hierzulande zum Normalzustand wird. Die jüngste ÖVP-FPÖ-Regierung hielt lediglich 378 Tage, die große Koalition unter Kern 579 Tage und die zweite durch Faymann geführte 883 Tage. Es gab aber auch schon früher Phasen mit eher niedriger Regierungsstabilität. Die großen Koalitionen unter Raab, Gorbach und Klaus in den 1950er- und 1960er-Jahren waren allesamt von eher kurzer Dauer. Die höchste Regierungsstabilität erfuhr das Land dagegen in den 1970er- und 2000er-Jahren, als Kanzler, Ministerinnen und Minister durchschnittlich 80 Prozent der Zeit bis zur nächsten Wahl im Amt blieben.

Stabile Regierungen?

Solche Unterschiede innerhalb eines Landes erklärt die Politikwissenschaft vor allem mit den Eigenschaften der Regierung. Handelt es sich um eine Einparteien- oder Koalitionsregierung – und hat sie eine Mehrheit im Parlament? Minderheitsregierungen wie die erste Kreisky-Regierung, die über keine eigene Mehrheit im Parlament verfügen, sind anfällig für Amtsenthebungen durch das Parlament. Einparteien-Mehrheitsregierungen, also solche, die aus nur einer Partei hervorgehen, aber dennoch von einer Mehrheit der Abgeordneten unterstützt werden, gelten als besonders stabil. Sie sind durch das Parlament abgesichert, und das Konfliktpotential innerhalb der Regierung ist minimal. Die zweite Klaus-Regierung (1966–1970) ebenso wie Kreisky 2, 3 und 4 (1971–1983) erfüllen diese Kriterien und hielten alle über die gesamte Amtszeit. Wie in den meisten Ländern mit proportionalem Wahlsystem kann aber in Österreich die Unterstützung einer Parlamentsmehrheit zumeist nur durch die Bildung einer Regierungskoalition erreicht werden.

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Die türkis-grüne Regierung steht.
Foto: REUTERS/Lisi Niesner

Für den Zusammenhalt innerhalb einer Koalition ist die ideologische Distanz zwischen den beteiligten Akteuren entscheidend. Je weiter die Regierungsparteien auf der Links-rechts-Skala auseinanderliegen, desto wahrscheinlicher ist das Ausbrechen sachlicher oder ideologischer Konflikte zwischen den beteiligten Parteien und, falls diese nicht beigelegt werden können, das vorzeitige Regierungsende. Exemplarisch für dieses Problem ist die rot-blaue Koalition, die Vranitzky von Sinowatz übernahm, aus der sich die SPÖ nach der Wahl Jörg Haiders zum FPÖ-Vorsitzenden zurückzog. Auch eine mögliche türkis-grüne Regierung wird eine große ideologische Distanz überwinden müssen und somit anfällig für interne Konflikte sein. Allerdings kann ein ausführlicher Koalitionsvertrag eine stabilisierende Wirkung entfalten. Je detaillierter bereits vor der formellen Ernennung einer Regierung festgehalten wurde, welche politischen Probleme wie angegangen werden sollen, desto geringer die Gefahr des Auseinanderbrechens der Koalition. Sollte am Ende der aktuellen Verhandlungen ein differenziertes Übereinkommen stehen, erhöhen sich somit die Chancen der neuen Regierung, die volle Legislaturperiode im Amt zu bleiben.

Frauen als stabilisierender Faktor

Zudem können neben den Parteien die individuellen Regierungsmitglieder die Regierungsstabilität beeinflussen: Je mehr Frauen ein Amt als Ministerin erhalten, desto länger bleiben Regierungen im Amt. In der Abbildung unten ist der empirische Zusammenhang zwischen Frauenanteil in der Regierung und Regierungsdauer in Europa bildlich dargestellt. Die Länder, die in der ersten Abbildung schon durch besonders lange Regierungsdauer aufgefallen sind, ernennen tendenziell auch viele Frauen für Regierungsämter. Dagegen haben viele der Länder mit eher instabilen Regierungen auffällig geringe Frauenanteile in Ministerämtern.

Über die Erklärungen für diese positive Beziehung ist man sich in der Politikwissenschaft aktuell noch uneinig. Einerseits wird argumentiert, Ministerinnen erzielten bessere politische Ergebnisse und könnten somit die langfristige Unterstützung von Regierungsparteien und Bevölkerung besser sichern. Andererseits könnten geschlechterspezifische Unterschiede im Politikstil vorliegen. Während Politiker häufiger Konflikte suchen, um die eigenen Interessen durchzusetzen, neigen Politikerinnen zur Kompromissorientierung. Wenn inhaltliche Konflikte den Zusammenhalt einer Regierung gefährden, kann ein höherer Anteil an Ministerinnen folglich die Chancen für eine erfolgreiche Konsenssuche steigern. In der türkis-blauen Koalition unter Kurz waren 36 Prozent der Ernannten weiblich. Durch eine Steigerung des Frauenanteils könnten somit die Bedingungen für den Zusammenhalt der türkis-grünen Regierung verbessert werden.

Mittlere Regierungsdauer in Europa in Abhängigkeit vom Anteil der Ministerinnen, 2000–2018 (anteilig zur real verfügbaren Amtszeit). Anmerkungen: Beinhaltet alle Regierungen, die nach 2000 ins Amt kamen und deren Amtszeit vor dem 31.12.2018 abgeschlossen war. Alle Abbildungen basieren auf Daten von Svenja Krauss (2018 in "West European Politics") sowie eigenen Erhebungen zusammen mit Svenja Krauss.
Grafik: eigene

Die Kanzlerfrage

Nicht zuletzt ist das Fortbestehen einer Regierung von der dauerhaften Unterstützung der Kanzlerpartei für ihren Vorsitz abhängig, da Parteiobfrau beziehungsweise -mann in der Regel die Regierung führt. Wahlniederlagen, auch bei Bundespräsidentenwahlen und auf der Länderebene, oder mangelnde inhaltliche Durchsetzung der eigenen politischen Inhalte, können parteiinternen Diskussionen über den Führungsanspruch verursachen und einen Austausch der Kanzlerin beziehungsweise des Kanzlers herbeiführen. Derartige Querelen innerhalb der SPÖ waren letztlich ausschlaggebend für den Rücktritt Faymanns 2016. Nach dem Erfolg der ÖVP bei der Nationalratswahl kann sich Sebastian Kurz aktuell auf einen breiten Rückhalt in seiner Partei verlassen, doch der Fortbestand dieser Unterstützung ist insbesondere von der inhaltlichen Arbeit der neuen Regierung abhängig.

Als Koalition zwischen zwei Parteien, die ideologisch relativ weit auseinanderliegen, wären die Bedingungen für Türkis-Grün somit zunächst ungünstig. Die nötigen inhaltlichen Zugeständnisse können zu Konflikten zwischen und innerhalb der Parteien führen, wodurch der Zusammenhalt der Regierung gefährdet wird. Die Parteiführungen von ÖVP und Grünen müssen dies allerdings nicht einfach hinnehmen, sondern können die Chancen der Koalition, bis zur nächsten Nationalratswahl im Amt zu bleiben, durch gezielte Maßnahmen erhöhen. Ein nuancierter Koalitionsvertrag sowie eine geschickte Zusammensetzung der Regierungsmitglieder sind zwei entscheidende Instrumente, die ihnen zur Verfügung stehen, um interne Konflikte abzumindern. Aber selbst bei guten Bedingungen bleiben unerwartete Ereignisse wie die Ibiza-Affäre ein unkalkulierbares Risiko für den Zusammenhalt einer jeden Regierung. Zumindest politischen Skandalen können die Parteien jedoch ebenfalls vorbeugen, indem sie sich selbst an die Spielregeln halten und ihre Koalitionspartner auch nach diesem Kriterium wählen. (Corinna Kröber, 30.12.2019)