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Libra ist der Aufreger des Jahres in der Finanzwelt.

Foto: reuters/Ruvic

Während der Bitcoin seinen Zenit als Aufreger in der Finanzwelt bereits überschritten haben dürfte, ist Facebooks Libra heuer zum neuen Feindbild für Investoren, Nationalstaaten und Regulierer aufgestiegen. Besonders auf die Notenbanken macht das Projekt Druck, eigene Lösungen zu entwickeln – erste Pläne für digitale Währungen sind bereits in Arbeit. Experten und Volkswirte sind dagegen skeptisch.

"Jede Form einer digitalen Zentralbankwährung hat das Potenzial Bargeld, Bankeinlagen oder beides als Mittel zur Zahlung und zur Geldverwahrung zu verdrängen – mit weitreichenden Konsequenzen für Privatleben, Finanzstabilität und der Arbeitsteilung zwischen dem privaten und öffentlichen Sektor bei der Kreditallokation," schreiben die Ökonomen Paul Pichler, Martin Summer und Beat Weber der Oesterreichische Nationalbank (OeNB) in einer aktuellen Analyse.

Bargeld erfülle wichtige Funktionen in der herrschenden Geldwirtschaft und könne nicht einfach ohne Verlust seiner Vorteile digitalisiert werden. Viele Vorzüge basierten auf seiner Eigenschaft als physisch vorhandenes Zahlungsmittel – beispielsweise Anonymität bei der Zahlung, Unmittelbarkeit der Transaktion, Inklusion aller Gesellschaftsschichten (auch ärmerer und älterer Leute), Unabhängigkeit von technischen Geräten sowie Krisenfestigkeit.

Darüber hinaus benötige ein Zahlungsmittel immer auch Legitimität – sein Wert bestimmt sich auch darüber, ob die Menschen an den Wert des Geldes glauben und ihn anerkennen – um seine Funktionen überhaupt ausüben zu können. Für die OeNB-Ökonomen ist nicht zweifelsfrei gegeben, dass digitales Geld denselben Legitimitätsstatus genießen könne wie Bargeld heutzutage.

Geschwindigkeit und Effizienz

Die Vorteile einer digitalen Währung wären dagegen Geschwindigkeit und Effizienz bei den Zahlungstransaktionen. Ob der Verlust von Anonymität und Krisenfestigkeit aber durch Geschwindigkeit aufgewogen werden kann, sei fragwürdig. Die Entscheidung eines Staates oder einer Notenbank, eine digitale Währung einzuführen, sei letztlich eine politische und keine technische – wie es die aktuelle Diskussion dazu nahelege.

Aber in welcher Form auch immer digitales Geld von Notenbanken eingeführt werden würde, es würde laut den Experten das herrschende System des Geldumlaufs erschüttern und eine umfassende Reform des Zentralbank- und Geschäftsbankensystems notwendig machen. "Die Einführung einer digitalen Zentralbankwährung [...] wird das geldpolitische System radikal verändern – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für Finanzinstitute, Geldschöpfung, Kreditallokation, Geldpolitik und makroökonomischer Stabilität", schreiben die Ökonomen.

Die OeNB ist mit ihrer Skepsis bezüglich digitaler Währungen nicht alleine. Eine Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung unter Finanzexperten sagt Kryptowährungen keine goldene Zeit für das nächste Jahrzehnt voraus. Ohne strenge staatliche Aufsicht halten die meisten vom ZEW befragten Finanzmarktexperten Digitalgeld für eine Gefahr für die Finanzstabilität.

Druck

Dennoch herrscht bei den internationalen Notenbanken rege Aktivität rund um das Thema und ein gewisser Druck, Stellung zu beziehen. Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde hat kurz nach dem Antritt ihres Amtes kundgetan, dass sie einen stärkeren Fokus auf diese Thematik legen will und hat eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die bis Mitte 2020 erste Ergebnisse zu einem digitalen Euro vorlegen soll. Aber auch Lagarde hat auf die weitreichenden Folgen einer digitalen Währung für das geldpolitische System hingewiesen. In der US-Notenbank Fed wird das Thema ebenfalls diskutiert, und es wurden schon Rufe von Notenbankern laut, dass es keinen Weg mehr an einem digitalen Dollar vorbei gebe.

Offenbar ohne allzu große Bedenken schreitet dagegen China voran, wo bereits mit Beginn 2020 ein Gesetz für die eigens entwickelte Digitalwährung in Kraft treten wird. Die Chinesen arbeiten schon seit 2014 an der Entwicklung ihrer Kryptowährung. Zu Details über die genaue Funktionsweise der digitalen Währung oder mögliche notwendige Änderungen in der geldpolitischen Ordnung schwiegen sich die Behörden bisher eher aus. Die chinesische Nationalbank PBOC plant allerdings, sie unter anderem über Zahlungsplattformen des chinesischen Amazon-Rivalen Alibaba sowie des ebenfalls einheimischen Internetriesen Tencent zu verbreiten. Darüber hinaus sei die Währung laut PBOC ohne Internet-Verbindung nutzbar und sogar in Erdbebengebieten weiter einsetzbar, wenn alle sonstigen Kommunikationsverbindungen zusammengebrochen seien.

Markeintritt wird erschwert

Trotz der unterschiedlichen Herangehensweisen in den verschiedenen Regionen steht eines fest: Keine Notenbank will Facebooks Libra das Feld überlassen. Solange die Behörden selbst noch Überlegungen bezüglich digitaler Währungen anstellen, werden sie es potenziellen Konkurrenten wie Libra einen Markteintritt wohl so schwer wie möglich machen.

Wegen der potenziellen Zahl der Nutzer – bei Facebook sind etwa 2,4 Milliarden Menschen registriert – könnte die geplante Digitalwährung im internationalen Geldsystem langfristig eine wichtige Rolle spielen. Noch steht aber noch gar nicht fest, ob Libra überhaupt eingeführt wird. Bisher hatte Facebook schon viele Hürden zu überwinden. So sind bereits einige anfängliche Partner wie Mastercard, Visa und Paypal aus dem Projekt ausgestiegen und auch die Regulierungsbehörde in der Schweiz, wo Facebook sein Aufsichtsgremium für Libra angesiedelt hat, will es dem US-Konzern mit vielen Auflagen nicht leicht machen. (APA, 30.12.2019)