Kämpfer der irakisch-schiitischen Miliz Kataib Hisbollah paradieren am internationalen Al-Quds-Tag in Bagdad. Die Kataib und ihr Führer Abu Mahdi al-Muhandis sind der iranischen Führung loyal ergeben.

Foto: APA / AFP / Ahmad al-Rubayeh

Solange der "Islamische Staat" einen Teil des irakischen Territoriums kontrollierte, herrschte eine Art Burgfrieden zwischen den disparaten Kräften, die ihn bekämpften: Die US-Truppen waren im Sommer 2014 im Rahmen der Anti-IS-Operation "Inherent Resolve" in den Irak, aus dem sie 2011 abgezogen waren, zurückgekehrt. Und die Iraner hatten einen Teil der Milizen dirigiert, die für den Kampf gegen den IS als "Volksmobilisierungseinheiten" (PMU oder Hashd al-Shaab) zusammengefasst wurden.

Dieses seltsame Nebeneinander ist am Auslaufen: durch das territoriale Ende des IS, durch den Einzug der PMU ins irakische Parlament 2018 – und durch die Verschlechterung der US-iranischen Beziehungen seit dem von Präsident Donald Trump befohlenen Ausstieg aus dem Atomdeal.

Nach dem Tod eines US-Staatsbürgers, eines militärischen Subunternehmers, bei einem Milizenangriff auf einen US-Stützpunkt bei Kirkuk haben die USA am Sonntag erstmals eine Iran-treue Miliz offen und direkt angegriffen – und damit indirekt den Iran im Irak. Der Angriff war mit mehr als zwei Dutzend Toten so massiv, dass eine Antwort zu erwarten ist.

Die Kataib Hisbollah

Der US-Militärschlag galt den Kataib Hisbollah, den Hisbollah-Brigaden, einer der Iran-treuen schiitischen Milizen, die nach der Irak-Invasion der USA 2003 entstanden sind. Der Name Hisbollah, Partei Gottes, ist nicht nur der besser bekannten libanesischen Schiitenmiliz eigen, Hisbollahs gibt es auch in anderen Ländern. Die 2007 gegründeten Kataib Hisbollah, die damals die US-Präsenz im Irak bekämpften, haben zwar organisatorisch nichts mit der libanesischen Hisbollah zu tun. Aber allein die Ästhetik ihres Auftretens – ein Logo, das dem der iranischen Revolutionsgarden und der libanesischen Schwesterpartei nachempfunden ist, inklusive AK-47 – weist sie als ideologisch verwandt aus.

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Kämpfer der Kataib Hisbollah marschieren beim "Al-Quds-Tag" in Bagdad im Jahr 2014 über eine auf den Boden gepinselte israelische Flagge.
Foto: REUTERS/Thaier al-Sudani

Der Gründer der Gruppe, Abu Mahdi al-Muhandis, mit dem bürgerlichen Namen Jamal Jaafar Ibrahimi (66), der lange im Iran gelebt hat, bekennt seine Loyalität zum religiösen Führer Irans, Ali Khamenei, und bezeichnet sich als "stolzer Soldat" Ghassem Soleimanis. Dieser ist der Chef der Qods-Einheit, des Arms der iranischen Revolutionsgarden für Auslandseinsätze. Während des Kriegs gegen den IS wurden Kämpfer der Kataib auch von der libanesischen Hisbollah trainiert.

Mehr als nur ein Vergeltungsschlag

Aber die Verbindungen von al-Muhandis zu ihr sind viel älter: Er gilt als Drahtzieher der Attentate auf die amerikanische und die französische Botschaft in Kuwait 1983, die nur zwei Monate nach den Großangriffen auf die US-Armee in Beirut stattfanden. Muhandis ist deswegen in Kuwait zum Tode verurteilt und steht auf der US-Terrorliste, seit 2009 auch seine Kataib Hisbollah.

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Der Sarg eines Kämpfers der Kataib Hisbollah ist in Najaf in die Flagge der Miliz gehüllt.
Foto: REUTERS/Alaa Al-Marjani

Die USA haben die Kataib Hisbollah am Sonntag unter anderem auf beiden Seiten der irakisch-syrischen Grenze bei Al-Qaim / Albu Kamal angegriffen: Das zeigt, dass es sich um mehr als nur um einen Vergeltungsschlag handelte. Die iranische Verbindungsroute über den Irak und Syrien in den Libanon wurde damit ins Visier genommen. Die Kataib Hisbollah ist in Syrien seit Ausbruch des Bürgerkriegs auf der Seite des Assad-Regimes und Irans aktiv.

Im Irak – wo die USA, anders als in Syrien, ja auf Einladung der Regierung sind – ist das der erste offene US-Angriff auf die Milizen. In den vergangenen Wochen hatte Washington gegen einzelne Milizenführer Sanktionen verhängt: Sie wurden für das brutale Vorgehen gegen die seit Oktober laufenden antiiranischen Demonstrationen verantwortlich gemacht. Das betrifft vor allem die Asaib Ahl al-Haq (Liga der Rechtschaffenen oder Khazali-Netzwerk), ebenfalls eine schon ältere Iran-treue Miliz.

Milizen-Dachverband

Al-Muhandis wird zwar den Kataib Hisbollah zugerechnet, er ist aber auch der Vizechef der gesamten PMU. Der Milizen-Dachverband wurde gegründet, als die höchste schiitische Autorität im Irak, Ayatollah Ali Sistani, angesichts des IS-Vormarsches im Juni 2014 die Iraker per Fatwa zur Verteidigung ihres Landes aufrief. Allerdings hatte Sistani stets das Primat des Staates im Sinn – das aber auch nach Ende des Kampfes gegen den IS nicht hergestellt werden konnte. Vergeblich bemühte sich bereits Premier Haidar al- Abadi (2014–2018) um eine Integration der Milizen in die irakischen Streitkräfte.

Aber nicht alle Milizen sind schiitisch, und nicht alle schiitischen sind Iran-hörig. Auch innerhalb der PMU-Führung gibt es Differenzen: PMU-Chef Faleh al-Fayyadh – dessen Vize Muhandis ist – pocht immer wieder vorsichtig auf die irakische Souveränität. Muhandis ist aber wohl der Stärkere. Im Parlament in Bagdad werden nun die Stimmen, die einen US-Abzug fordern, noch lauter werden. Den ersten diesbezüglichen Vorstoß gab es im Sommer, als sich Trump verplapperte: Die USA würden im Irak bleiben, "um den Iran zu beobachten" und von dort aus eventuell in Syrien einzugreifen, sagte er.

Auch auf den Straßen Bagdads machte sich am Dienstag eine neue anti-amerikanische Stimmung bemerkbar: Dort wurde das Ende der US-"Besatzung" gefordert. Tausende Demonstranten, die allerdings von Milizen mobilisiert wurden, zogen vor die US-Botschaft und forderten deren Schließung.

Politisches Chaos

Die Kataib Hisbollah hat keinen eigenen politischen Arm, aber der Chef der PMU-Liste im Parlament ist Hadi al-Amiri von den Badr-Milizen, aus deren Reihen Abu Mahdi al-Muhandis ursprünglich stammt. Diese Liste, Fath (Eroberung) genannt, bildete nach den Wahlen 2018 mit anderen Parteien, vor allem mit jener von Expremier Nuri al-Maliki, den Iran-freundlichen Binaa-Block. Dieser Block hat laut irakischer Verfassung als größter im Parlament ein Vorschlagsrecht für einen Kandidaten, der nach dem Rücktritt von Adel Abdel Mahdi eine Regierung bilden soll. Die Vorschläge nimmt der Staatspräsident entgegen, Barham Salih, ein Kurde (Patriotische Union Kurdistans).

Binaa hat bereits mehrere Kandidaten vorgeschlagen, keiner davon entsprach dem Profil, das die Demonstranten und Demonstrantinnen fordern: Sie wollen einen unabhängigen technokratischen Regierungschef, ein völlig neues Gesicht. Als Binaa zuletzt den Gouverneur der Provinz Basra, Assad al-Aidani, nominierte, schrieb Präsident Salih einen Brief ans Parlament: Er werde eher zurücktreten, als den umstrittenen al-Aidani – dessen Provinz in denkbar schlechtem Zustand ist – mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Auch in dieser Frage gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Iran bereit ist, seinen Einfluss aufzugeben. Seit Beginn der Regierungskrise war Ghassem Soleimani mehrmals in Bagdad.

Das Zusammenfallen der beiden Krisen macht die Eskalationsgefahr noch größer: Denn die Regierung, die sonst den Puffer zwischen iranischen und US-Interessen gebildet hat, ist nun zu schwach, um das zu leisten. (Gudrun Harrer, 30.12.2019)