Die Zeit der Abwicklungen beginnt nun endgültig. Die Saison 2029/30 ist die vorvorletzte nationale Profimeisterschaft der Fußballer in Österreich. Anderswo ging es schneller, da und dort wird man noch brauchen. Nach dem Prinzip des "pacta sunt servanda" läuft halt weiter, was in den Zwanzigerjahren längst sich schon erledigt hat.

Die einst so bedeutenden sportlichen Veranstaltungen – das alpine und nordische Skilaufen, das Auto- und Radrennfahren, das Tennisspielen, um nur einige zu nennen – haben sich schon in die Bedeutungslosigkeit bloßer Leibesertüchtigungen verabschiedet. Als theatralische Ereignisse von Rang haben sie sich überlebt. Nun folgt der theatralischste Schausport nach, der Fußball, der gut 150 Jahre lang die Rolle des alten Volkstheaters eingenommen hat. Endgültig bis zum Ende des Jahrzehnts, in dem sie dann sogar in den so schmucken, architektonisch interessanten Stadien Chinas und in weiterer Folge Innerarabiens aufhören werden, um den Ball zu laufen.

Reine Sportpoesie

Das erstaunlichste Phänomen des abgelaufenen Jahrzehnts war es ohne Zweifel, wie schnell sich selbst jene, die doch noch dabei gewesen sind, dieses Dabeigewesensein dann nicht mehr vorstellen konnten. Nicht mehr leibhaftig vorstellen konnten, dass jede Tageszeitung, die auf sich hielt, ein eigenes Sportressort unterhielt. Eigene Sportzeitschriften und -zeitungen gab es. Manche lernten sogar Italienisch, nur um die Poesie einer Gazzetta dello Sport verstehen zu können (Was dann zuweilen zu Missverständnissen geführt hatte, weil viele mehr die Poesie und weniger das Italienische verstanden).

Vorschläge für die Niessl-Jury, über die 2019 hellauf gelacht worden wäre: Baumbesatz-Stadien und ...
Foto: APA/WOLFGANG HUBER-LANG

Ja, es hat Menschen gegeben – heute leugnen sie das hartnäckig –, die sich privat ein Abonnement eines auf Sport spezialisierten Fernsehsenders zugelegt haben. Und das Allererstaunlichste: Man – eigentlich: die Männer – geriet sich nicht selten in die Haare, denn man zerriss sich unentwegt das Maul über sportliche Angelegenheiten. Rapid? Austria? Sturm? Das sind einmal Rufzeichen gewesen. Und heute? Schnee von gestern! Es ist, wie es mit der Telefonie gewesen ist. Kaum war das Handy da, konnte sich keiner mehr erinnern, wie es möglich gewesen war, einander zu treffen.

Schwer zu sagen, wann, warum und wie das Ende alles Schau-Sportlichen begonnen hat. Aber da selbst das Schleichen eine digitale Beschleunigung erfahren hat – das Zauberwort war "Echtzeit" –, ging auch das gewissermaßen in Echtzeit, sozusagen zack, zack, zack. Manche meinen, es fing im Dezember 2022 an. Da fand – wir haben das längst schon vergessen – in Katar eine Fußballweltmeisterschaft statt.

Schon da interessierte sich kein Schwein dafür. Selbst dem Papst, ansonsten ein wortgewaltiger Prediger adventistischer Einkehr, war’s wurscht. Er spendete seinen Urbi und Orbi wie alle Jahre. Aber der Papst wusste ja auch, wie einer mit dem Bedeutungsverlust würdevoll umgehen konnte.

Gianni Infantino, dem Fußballpapst aus der Schweiz, war diese Gnade nicht beschieden. Immer absurdere Terminsetzungen und Austragungsorte – erinnert sich wer ans Ozeanische Turnier 2026 unterm Motto "Kicking against sinking" – wollten das Interesse von Fernsehstationen und Sponsoren am Brennen halten.

... Lustwandel-Land-Art in Kitzbühel.
Foto: Robert Parigger / APA / pictured

Um Zuschauer ging es da schon längst nicht mehr. Der Olympier Thomas Bach fürs IOC, Fußball-Papst Infantino für die Fifa, Motorsport-Greis Bernie Ecclestone für die Fia und Skikaiser Peter Schröcksnadel für die Fis sind die Vorsitzenden des großen Potemkin’schen Rates gewesen, dessen Aufgabe es war, Zuschauerinteresse nicht nur zu stimulieren, sondern vor allem zu simulieren. Und über allem mussten, so noch vorhanden, reale Zuschauer so zugerichtet werden, dass sie gewissermaßen publikumsgerecht waren.

Genau so war es, als die Kampagne gegen Schmutz, Schund, Schand’ und Schaden im Sport gestartet wurde im Jahr 1925. Nicht dass es so extravagant unflätig zugegangen wäre in den Stadien, an den Skipisten und Rennstrecken der Welt. Aber die Welt ist sukzessive empfindlicher geworden gegenüber Unflätigkeiten. Diesen war, so der große Rat, Einhalt zu gebieten. Eifer und Geifer flossen nach und nach ineinander. Mit feiner Nase spürte man Rassismus und Homophobie und Misogynie auf. Unangebrachtheiten, gegen die mit Vehemenz vorgegangen wurde. Kein Fußballspiel wurde angepfiffen, ohne sich um die guten Manieren zu sorgen. Die Spieler wurden darauf vereidigt. Man wollte insgesamt "saubere Spiele". Ja, selbst die Tour de France warb hinreißend für sich als die "tour propre". Doping galt ja als beinahe so schlimm wie Tabakrauch oder, später dann, Alkohol.

Lähmendes Erlahmen

Aber es nutzte nichts. Das Interesse erlahmte in einem lähmenden Ausmaß. Selbst als Österreichs Langlaufteam nach einem neuerlichen Blutdoperl samt Cheftrainer und Sportdirektor in ein Umerziehungslager in der Nähe von Stams gesperrt wurde, wo es Tag für Tag Besserung zu geloben hatte. Den Leuten war es schlicht wurscht. In den Medien versuchte man noch verzweifelt, empört zu sein. Aber die Empörung hatte sich längst zurückgezogen in die Foren dieser Zeitungen, auf Twitter oder Facebook oder Instagram oder Virtual-Reality-TV. Aber selbst da war das edle "Indignez-vous" längst zu einer bloßen Marotte geworden, die nur darauf wartet, endlich von was anderem abgelöst zu werden.

Eines der traurigsten Dokumente jener Zeit, als ein Blutdoping-Skandal in Österreichs nordischem Lager kein Skandal mehr war, weil ein jeder mit einem herzhaften "Ja, eh" schulterzuckend wieder ans Tagwerk ging, stammt aus der Feder eines STANDARD-Redakteurs. Voll Engagement schrieb er am 2. März 2024: "Die Katze lässt das Mausen nicht." So rührend. Als hätte es damals noch Katzen gegeben und dazugehörige Mäuse.

Der Autor dieser Schlagzeile verbringt seinen Lebensabend in einem burgenländischen Altenwohn- und Pflegeheim. Er ist ansprechbar, an schönen Tagen sitzen er und sein Gehstock auf der Bank vorm Haus. Wer vorbeikommt und ihn nach den alten Zeiten befragt, wird nicht selten mit einem herzlichen "Jebatem ti sunce!" zum Sitzen aufgefordert.

Einfach vergessen

Fragt ihn wer nach dem Namen, sagt er, er sei "da Wei". Und der sei einst dafür bekannt gewesen, aus einem Missverständnis heraus viel zu spät in Pension gegangen zu sein, habe er doch das Seniorenticketantrittsalter, das von den Wiener Linien Jahr für Jahr um das entscheidende Jahr nach hinten verschoben wurde, mit dem Pensionsantrittsalter verwechselt. Da Wei habe also, sagt er, bis weit über den Siebziger hinaus Sportberichte verfasst und Tabellen erstellt und Mutmaßungen unter jene Leser gebracht, die es gar nicht mehr gegeben hat. Interessant, dass auch die Personalabteilung es verabsäumte, ihn zu verabschieden. Das ganze Sportressort ist einfach vergessen worden. Ein schönes Sinnbild. Denn so ging es dem Sport als Ganzes.

Der Sport, sagt da Wei, hat sich an sich selber überfressen. Die möglichen Fans konnten gar nicht so viel speiben, um da nachzukommen. Jeden Tag Fußball, jeden zweiten Skifahren, Autofahren, Wiederholungen vom Autofahren, vom Skifahren, vom Fußballspielen. Dann verlagerte sich der Sport ins Internet, Streamingdienste kauften sich die Rechte, von denen schon damals, als man sie erfunden hat, nicht klar war, was für Rechte das eigentlich wären. Jeder sah jederzeit Liverpool vs. Manchester United. Dann wurde der Videobeweis "demokratisiert". Jeder User hat seither das Recht, dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Eine Zeitlang war das sogar lustig.

Aber dann schwand das Interesse rapid. Man suchte sich anderweitig Zerstreuung. In der VR zum Beispiel. Die Menschen waren nicht mehr aktiv, sondern interaktiv, hatten aber diesbezüglich gegen das alte, nunmehr gerade dort gepflegte Rein-raus-Spiel keine Chance.

Die Aufgabe des anbrechenden Jahrzehnts wird es sein, Nutzungskonzepte für die alten Sportstätten zu entwickeln. Vorschläge gibt es zuhauf. Sogar für Innsbruck-Igls. Treuhand-Sport-Austria-Chef Hans Niessl hat schon eine Jury installiert, Bundespräsident Werner Kogler hat sie abgenickt, da Wei seinen Senf dazugegeben. Einen, der nichts weiter zur Sache tut. (Wolfgang Weisgram, 1.1.2020)