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Frankreich stellt sich nach der Neujahrsansprache von Macron auf weitere Streiktage ein. Und diese werden Geld kosten, weshalb bei Kundgebungen auch eine "Streikkassa" die Runde macht.

Foto: Reuters / Benoit Tessier

Siebzehn Minuten lang mühte sich Emmanuel Macron ab, um bei seinen Landsleuten vor den Fernsehern Optimismus zu versprühen. Gewiss liege in Frankreich vieles im Argen, räumte der Präsident in seiner Neujahrsansprache ein; gewiss habe es Terror gegeben, auch Umweltkatastrophen oder den Brand der Kathedrale Notre-Dame. Aber in Frankreich seien seit seiner Wahl 2017 auch eine halbe Million Jobs geschaffen worden, die Arbeitslosigkeit liege so niedrig wie nie in den letzten zehn Jahren.

"Wir haben nicht das Recht einzuhalten", meinte Macron mit Bezug auf sein Rentenprojekt, das wichtigste und umstrittenste seiner Amtszeit. Das neue Punktesystem zur Berechnung der Pensionen sei gerechter als das alte mit Sonderpensionen für Eisenbahner und Polizisten.

"Reform wird durchgezogen"

Macron betraute seinen Premier Édouard Philippe mit der Aufgabe, einen "raschen Kompromiss" mit den seit einem Monat Streikenden zu finden. Wie dieser aussehen könnte, vermochte er allerdings nicht zu sagen. Nur sehr unverbindlich meinte er, wer "schwere Arbeit" leiste, solle eine bessere Pension erhalten. Die Kernfrage der "Sonderpensionen" für viele Berufskategorien erwähnte er gar nicht.

Dafür schlug der Präsident einen Nagel ein: "Diese Reform wird bis zum Schluss durchgezogen!" Er werde "weder dem Pessimismus noch der Starre nachgeben". Vielmehr gehe es darum, in Frankreich eine "neue Gesellschaft" zu errichten.

Doch so viel Elan und guter Wille waren vielleicht etwas zu viel: Abgesehen von der Macron-Partei La République en Marche fiel das politische Echo am Neujahrstag vernichtend aus. Der neue Grünen-Chef Julien Bayou erklärte, Macron habe es geschafft, "in siebzehn Minuten kein konkretes Wort" zu sagen. Und die Rechtspopulistin Marine Le Pen twitterte bloß: "Einmal mehr: nichts." Linken-Chef Jean-Luc Mélenchon: "Ein Außerirdischer hat gesprochen." Die präsidialen Neujahrswünsche seien eine "Kriegserklärung".

Verhandlungsrunde am 7. Jänner

Philippe Martinez, Chef der Gewerkschaft CGT, warf den Fehdehandschuh hin und rief dazu auf, "überall Streiks" zu organisieren. Doch er zeigte sich auch bereit, am 7. Jänner an einer neuen Verhandlungsrunde mit Premier Philippe teilzunehmen. Vorsorglich organisiert er für zwei Tage später, ohne das Resultat abzuwarten, einen neuen Protesttag.

Die Zahl der Teilnehmer wird ein wichtiger Gradmesser dafür sein, ob der Widerstand gegen die Macron-Reform anhält oder er doch langsam bröckelt. Diese Woche verkehren in Frankreich etwas mehr Züge als vor Weihnachten. In einer neuen Umfrage lehnen noch 51 Prozent der Franzosen die Reform ab; vor zwei Wochen waren es noch 58 Prozent gewesen.

Martinez muss deshalb nächste Woche aufs Ganze gehen. Eine eindeutige Niederlage in diesem längsten Transportstreik Frankreichs der vergangenen 50 Jahre wäre für seine CGT so verheerend wie für die britischen Minenarbeiter 1985 gegen Margaret Thatcher.

Macron kann nicht zurück

Zum Jahreswechsel haben neu in ihren Job eintretende Eisenbahner bereits das Statut verloren, das bisher einen lebenslangen Kündigungsschutz garantierte. Ein weiterer Rückschlag träfe die ohnehin schwache, aber umso mehr politisierte Gewerkschaftsbewegung in ihrem Lebensnerv.

Aber auch Macron kann nicht mehr zurückkrebsen. Vor einem Jahr hat er in Verhandlungen mit den Gelbwesten relativ rasch eingelenkt und Milliarden für Steuerhilfen und Gehaltsaufbesserungen lockergemacht. Nach seiner demonstrativ-entschlossenen Neujahrsansprache ist das nun nicht mehr möglich.

Würde er doch noch einknicken, erhielte er bei den Kommunalwahlen im Frühling und bei der nächsten Präsidentenwahl 2022 zweifellos die Quittung.

Aus diesen Gründen scheint nur eine Lösung möglich, die es beiden Seiten erlaubt, das Gesicht zu wahren. Doch Macron hat bereits klargemacht, dass die volle Pension mit 64 (bisher 62) Jahren nicht verhandelbar sei. Und die Eisenbahner – bisher Speerspitze der Streikfront – wirken so entschlossen sie selten zuvor. Eine Kompromisslösung ist damit nicht in Sicht. Frankreich stellt sich auf weitere Streiktage ein. (Stefan Brändle aus Paris, 1.1.2020)