Andris Nelsons ließ das Publikum beim Radetzkymarsch das übliche tun.

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Die neue Regierung ist mit ihrer Vollendung 2019 nicht ganz fertiggeworden. Eine Walzerbegrüßung durch die Philharmoniker drängte sich also nicht auf. Fraglich ist jedoch, ob Türkis-Grün es überhaupt zu akustischer Erwähnung gebracht hätte. Die Konkurrenz der – aus besonderem Anlass – potenziell zu Würdigenden schien überbordend.

Nicht einmal die Feier zu "25 Jahre Österreich in der EU" konnte sich qualifizieren, von Wladimir Putin gar nicht zu reden, der seit runden 20 Jahren Macht genießt. Ein Trauermarsch ob des Brexits wurde womöglich erwogen, wohl aber verworfen, da zu provokant für den britischen Premier Boris Johnson.

Die Geburtstagskinder

Gesiegt hat der Ort des alljährlichen Geschehens: Der Musikverein feiert den 150er und kam in den Genuss jener elegischen Leichtigkeit, die Dirigent Andris Nelsons mit philharmonischem Beistand aus der Eisblume-Polka herausdestillierte. Gratulation auch an die Salzburger Festspiele: Zu ihrem Hunderter schwebte seliger Klang einher.

Trotz markanter Kontraste jedoch hing der Liebesgrüße-Walzer von Josef Strauß etwas durch – wie schließlich auch der Donauwalzer: Dessen langsames Tempo beschwerte den Ausdruck mehr als die eine im Blech verrutschte Note.

Seine Akzente

Tadelloses beim dritten Gewürdigten: Beethovens 250. Geburtstag wurde zum Anlass für die prägnante Abbildung von Ausschnitten aus seinen zwölf Contretänzen. Elegant und unaufgeregt setzt Nelsons seine Akzente; es scheinen dem 41-jährigen Letten tendenziell die kurzen, pointierten Stücke besonders zu liegen.

Also: Eduard Strauß’ Polka Knall und Fall berückt durch virtuos zelebrierte Heiterkeit, Strauß’ Blumenfest-Polka wiederum wirkte wie das Porträt einer friedfertig die Straße entlangschlendernden Existenz. Delikates Detailmusizieren wurde hier zur Pointenquelle: Es ist ein Zugang, der bei Josef Strauß’ Cupido-Polka die Philharmoniker als unprätenziöse Spieldose erscheinen ließ. Noch eindringlicher bei der Gavotte von Hellmesberger d. J.: Selbige wurde zum Tongemälde der Intimität, was eigentlich besonders bei Walzern zu erwarten gewesen wäre.

Der Dreiviertelcharme ist allerdings eine ganz eigene Herausforderung. Seinen Charakter einzufangen heißt die Balance zwischen Loslassen und Eingreifen, zwischen Schwebenlassen und Vorwärtsdrängen zu wahren. Dazu hoffentlich ein Klang, der Ambivalenz einfängt und als flehende, melancholische Freude erscheint.

Die Struktur zerfällt etwas

Bei Nelsons wirkt das Ganze etwas durchwachsen: Seid umschlungen, Millionen! erweckt den Eindruck, als würde er in Details aufgehen. Zum einen wirken diese auch überzuckert, zum anderen scheint die Tektonik des Stücks aus dem Blick zu geraten. Die Struktur zerfällt dann etwas, die Emotionen wirken mehr simuliert als empfunden. Spannender der schöne Schwebezustand des Innehaltens bei Wo die Zitronen blüh’n. Und von genuiner Poesie Josef Strauß’ Dynamiden-Walzer, der ja auch in Richard Strauss’ Rosenkavalier einfloss.

Das war der magische Augenblick des Vormittags, dem eine dem Orchester quasi freundlich überlassene Tritsch-Tratsch-Polka in heiterer Ausgewogenheit vorauseilte, was über von Suppés Ouvertüre zu Leichte Kavallerie nicht gesagt werden konnte.

Da knallte es in Tuttipassagen, als ginge es darum, den ganzen Globus aufzuwecken. Immerhin trösteten Passagen, in denen die philharmonischen Streicher satte, dunkle Kantilenen zelebrierten.

Riccardo Muti kommt

In Summe also ein sehr passables Konzert, bei dem Nelsons (für Lumbyes Postillon-Galopp) kurz und konzentriert zur Trompete griff und den Radetzkymarsch in einer neuen philharmonischen Fassung dem Publikum als Klatschvorlage servierte. Sollte die neue Variante von der bisherigen (sie stammte von Leopold Weninger) grob abweichen, so ging diese Differenz im dezibelfreudigen Krachen der unzähligen entfesselten und den Takt bisweilen verfehlenden Hände unter.

Debütant Nelsons hat seine ersten Erfahrungen jedenfalls respektabel gemeistert. 2021 wird Routinier Riccardo Muti auf die vielen Erkenntnisse zurückgreifen können, die er bei seinen bisherigen fünf Neujahrskonzerten gesammelt hat. (Ljubiša Tošić, 1.1.2020)