Was die EU im Jahr 2020 zu feiern hat, wird sich weisen.

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Drei Neujahrsansprachen, drei Welten, drei Perspektiven: Unterschiedlicher hätten die Appelle von Emmanuel Macron, Angela Merkel und Boris Johnson an ihre Bürger zu Silvester kaum ausfallen können. Es sind zwar nationale Sorgen, Wünsche und Hoffnungen, die zum Ausdruck kommen, aber was die Regierungschefs der drei größten, mächtigsten und mit Abstand finanzkräftigsten EU-Mitgliedsländer an Ein- und Aussichten vorgeben, ist für den Rest der Gemeinschaft in der Regel entscheidend. Da soll man sich keinen Illusionen hingeben.

Die EU-Kommission hat Ideen, macht Vorschläge. Die wesentlichen Entscheidungen jedoch fallen im Ministerrat. Oder sie scheitern dort. Das gilt, obwohl es große Fortschritte in der EU-Integration, mit dem Euro im Zentrum, gegeben hat. Und es gilt, gerade weil die Zahl der EU-Mitglieder in den vergangenen zwei Jahrzehnten rasch – manche meinen: allzu rasch – auf 28 angewachsen ist.

Umbruchzeiten

So kompliziert es ist: Was letztlich zwischen Berlin, Paris und London gedealt wird, prägt die Richtung aller am Projekt Beteiligten, ob sie wollen oder nicht. Das gilt in Umbruchzeiten auch für Österreich und seine neue konservativ-grüne Regierung, so ambitioniert sie auch sein mag.

2020 jedoch ist diesbezüglich ein ganz besonderes Jahr: Die Machtbalance der "großen drei" zerbricht. Die Briten treten aus. Zu den Verwerfungen des alten Jahres – Konjunkturschwäche, globaler Streit Europas mit den USA, Russland und China, Klimawandel – kommt die Bewältigung der Sondersituation des Brexits dazu. Es verspricht ein extraschwieriges Krisenjahr zu werden, in dem dazu der langfristige EU-Budgetrahmen beschlossen werden soll.

Der Austritt der Briten, die für ein Sechstel der Wertschöpfung der EU stehen, ist so, wie wenn die Steiermark die Republik Österreich verlassen würde und die restlichen acht Bundesländer allein weitermachen müssten. Das birgt Sprengpotenzial. Die EU schrumpft erstmals auch politisch. Es muss nach dem Brexit einen substanziellen Umbau der EU-27 und ihrer Entscheidungsstrukturen geben.

Ein Jahrzehnt der Blüte

Was waren nun die Botschaften von Élysée, Bundeskanzleramt und Downing Street 10? Welches Bild ergibt sich? Macrons Rede zeigte, dass der französische Präsident ganz von landesinternen Problemen – Pensionsreform, Streiks – umgetrieben wird. Umso mehr wird er in Europa auf die Pauke hauen, für Frankreich mehr Einfluss fordern. Das verheißt insofern wenig Gutes, als Johnson seinen Landsleuten "ein Jahrzehnt der Blüte" versprach, nicht mit, sondern ohne EU – bzw. gegen sie. Die Brexit-Unruhe ist nicht zu Ende. Sie geht mit den Verhandlungen um die künftigen EU-Beziehungen erst richtig los.

Bleibt Merkel. Sie rief unverdrossen zu "Mut und Zuversicht" auf, nannte den Klimawandel "bedrohlich", dessen Bewältigung eine "Menschheitsherausforderung". Es klang fast wie im August 2015 vor der großen Migrationskrise: "Überraschen wir uns damit, was wir können." Was folgte, hat Europa fast zerrissen. 2020 muss besser gelingen. (2.1.2020)