Seit 25 Jahren an der Spitze der Ars Electronica: Gerfried Stocker

Foto: APA/VOG.PHOTO

Gerfried Stocker steht heuer 25 Jahre an der Spitze der Ars Electronica in Linz, am "besten Ort" – mit ungebrochener, "ja, steigender Begeisterung". Ein Festival im Regen, internationale Ausstellungen, den Museumsneubau und das Modell der Infotrainer beschrieb er im APA-Interview als Meilensteine, den kaufmännischen Direktor als Glücksfall und den neuen Festivalort Uni-Campus als "perfect match".

"Es hat eine enorme Bedeutung, allein durch die lange Lebenszeit, die man damit verbringt", sagt Gerfried Stocker zu seinem Jubiläum im kommenden Sommer. 1995 wurde die Ars Electronica neu organisiert, ein Leiter für das gerade entstehende Center gesucht, und der Medienkünstler begann seine Arbeit mit einem komplett neuen Team. "Wenn man sich anschaut, was wir aus dem Unternehmen gemacht haben, ist es wie ein Schnellzug, der vorbeirast", veranschaulicht der 55-Jährige das Vierteljahrhundert. Es sei Zufall und Luxus gewesen, dass man in ein Themengebiet startete, das sich in den 25 Jahren massiv verändert hat. Entscheidend sei gewesen, dass das Ars Electronica Center immer als edukatives Haus angelegt wurde, nicht für Nerds und Künstler sondern für die breite Bevölkerung. Dafür könne es auch nie genug Geld geben, denn Auswüchse wie Hatespeech in Social Media würden zeigten, wie die soziale Dimension der neuen Technologien Menschen überfordere und wie wichtig Kultur als Bildungsfaktor einer Gesellschaft sei.

Qualität

"Ich bin sehr froh, dass der Standort und die verschiedenen politischen Verantwortungsträger auch der Meinung waren, dass es sinnvoll ist, dass man mich da so lang werken lässt. Ich glaube, dass das schon eine unglaubliche Qualität hat", bezieht sich der gebürtige Steirer auf die Kontinuität. Angebote von anderen Stellen habe es freilich gegeben, doch er ist überzeugt, dass seine die beste Position ist, die man in dem Bereich haben kann. Er sei bei Null gestartet und habe durch seine Vorstellung, wie das Zusammenspiel von Technologie und Kunst für die Gesellschaft funktionieren kann, die Ars Electronica geformt. An einem spannenderen Ort und mit mehr Geld von vorne anzufangen habe nicht so viel Reiz wie in Linz weiterzumachen – wegen der Vernetzung mit der Stadt käme auch eine Abwanderung des Ars Electronica Festivals nicht infrage, ein Expandieren, wie mit vielen internationalen Ausstellungen seit 2004, hingegen sehr wohl.

Diesen "Export" sieht Stocker als Meilenstein der vergangenen 25 Jahre, wie auch den Neubau des Centers 2009, das Modell der Infotrainer und das verregnete Festival 2007 in der Marienstraße. "Jeder, der bei dem Festival war, erinnert sich, dass er jemanden im Kleidergeschäft getroffen hat, weil jeder sich warme Pullover und Jacken kaufen ging." Das zeige aber die Robustheit der Beziehung von Stadt, Verwaltung, Bürgern und Ars Electronica und das Vertrauensverhältnis – "ihr könnt Dinge ausprobieren, die auch mit großem Risiko verbunden sind. Nicht: ihr könnt machen, was ihr wollt, das war es nie", beschreibt es der Kulturmanager.

Trainer

Enorm wichtig seien die Infotrainer, die Vermittler im Ars Electronica Center und während des Festivals. Denn es gehe mehr um diese Dienstleistung als darum, ständig die neuesten technischen Gadgets zu zeigen, wozu man auch nicht die Mittel habe. "Als ich angefangen habe, war die Meinung, dass das AEC mit maximal drei, vier Mitarbeitern auskommt, weil da sind ja die Computer und die Touchscreens und die Leute können interaktiv alles selber lernen", schmunzelt Stocker. Dass es gelungen sei, die Stadt vom Gegenteil zu überzeugen, war ein entscheidender Punkt der Erfolgsgeschichte. Denn erst mit den vielen Infotrainern sei es möglich, auf Menschen zuzugehen und solche zu erreichen, die nicht schon technologieaffin sind. Es ermögliche überdies, komplizierte, sehr fragile Stücke und Prototypen in die Ausstellung zu nehmen, weil immer jemand aufpasst. So sei die Vermittlungskompetenz die tragende Säule geworden. Gute Besucherzahlen und vor allem viele junge Menschen seien "eine sehr gute Bestätigung, dass es Sinn macht".

Als absoluten Glücksfall bezeichnete Stocker den kaufmännischen Direktor Diethard Schwarzmair, der seit 2009 die finanziellen Geschicke lenkt – "mit enormer Erfahrung, höchster Professionalität und totalem Commitment zur Idee von Ars Electronica". Schwarzmair sei es gelungen, der Erweiterung in den vergangenen zehn Jahren die organisatorische Struktur und Stabilität zu geben, die Brücke zwischen unternehmerischem Denken und Kulturbetrieb zu schlagen.

Mit einem Eigenfinanzierungsanteil von "ich glaube bei 65 Prozent heuer" stehe die Ars Electronica gut da. Das führt Stocker auf das Thema, das in den 25 Jahren immer wichtiger wurde, von Elektronik zu Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz sowie die Kontinuität zurück. "Man darf nie unterschätzen, dass uns eine Welle entgegengekommen ist", in der man nicht weggespült wurde, sondern sich profilieren konnte; etwa als Partner für Industrie und Wirtschaft mit dem Futurelab, der Entwicklungsabteilung der Ars Electronica. Viele jener, die 1996 die Ausstellung im neuen Center aufgebaut hatten, blieben – mitsamt ihrem Know-how. Das machte sich bezahlt, als im Jahr 2000 die Dotcom-Blase platzte. Als die Sponsoren wegbrachen und damit "dieses Schnorrertum begann, zu dem man als Kulturmanager so oft verdammt wird", seien die Kooperationen noch da gewesen, "wo Firmen zu uns kommen und fragen, ob wir ihnen helfen können". Auf lange Sicht sei dies ein wesentlich tragfähigeres Modell wie eine fast 20 Jahre lange Zusammenarbeit mit SAP zeige.

Bekenntnis

Die Kontinuität beginnt bei Stocker und dem – mittlerweile 40 Jahre langem – Bekenntnis der Stadt zu dem Kulturbetrieb. Etliche Mitarbeiter sind fast genauso lange an Bord wie Stocker, etwa Futurelab-Leiter Horst Hörtner, Prokuristin Elisabeth Kapeller, der technische Leiter des Museumsbetriebs, Gerold Hofstadler, und allen voran Festivalmitbegründer Hannes Leopoldseder sowie Co-Direktorin Christine Schöpf – seit 40 bzw. 39 Jahren involviert. Der Grund, warum viele Leute so lange bleiben, sei derselbe, warum er immer noch gerne da ist, glaubt Stocker: weil es jedes Jahr etwas Neues gibt, das Themengebiet so dynamisch ist. "Einer der auch sehr bald begonnen hat, 1997 oder 1998 als Infotrainer, ist Christopher Lindinger, der schnell ins Futurelab kam", so Stocker.

Vergangenen Oktober wechselte Lindinger als Vizerektor für Innovationen und ForscherInnen an die Johannes Kepler Universität (JKU) Linz – und das Festival wird ihm heuer im Herbst folgen. Die Verbindung zwischen Ars Electronica und JKU sieht Stocker als perfekte Ergänzung und als Präzisierung der Imagefrage, denn die JKU expandiere in neue Richtungen wie Künstliche Intelligenz. Man brauche Partner, um die sich bietenden Möglichkeiten zu nutzen und die Uni sei ein sehr attraktiver Ort, auch durch viele Neubauten wie die Keplerhall, das Somnium und das LIT (Linz Institute of Technology). "Ich hoffe ja, dass da im Herbst die Leute – ähnlich wie in der PostCity und 2010 in der Tabakfabrik – 'Campus schauen' kommen", wünscht sich Stocker, "und natürlich wie immer 'Zukunft schauen'". Seine eigene Zukunft wird wohl noch einige Jahre in der Ars Electronica in Linz stattfinden, "der beste Ort, wo man diese Ideen und diese Begeisterung umsetzen und ausleben kann". (APA, 2.1.2020)