Regierungsprogramm Kapitel "Medien".

Das Medienkapitel eröffnet ein grundlegendes Bekenntnis "zu einer Medienpolitik, die Grundwerte wie Pluralismus, Unabhängigkeit, Medien- und Pressefreiheit sowie Innovation sicherstellt". Im Regierungsübereinkommen 2017 von ÖVP und FPÖ fanden sich Medienfreiheit und Pressefreiheit nicht im Medienkapitel, "unabhängige Berichterstattung" wollten die damaligen Koalitionspartner mit "schärferen Transparenzbestimmungen" für den ORF "sichern".

GIS und Haushaltsabgabe

Von einer Budgetfinanzierung des ORF statt der GIS-Gebühr hat sich die ÖVP im Regierungsprogramm mit den Grünen fürs Erste verabschiedet. Die FPÖ drängte in der Koalition mit der ÖVP auf das Ende der GIS, die Volkspartei wirkte nicht abgeneigt. Nun steht im Regierungsprogramm ein "Bekenntnis zu einem unabhängig finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk".

Die Grünen plädierten vor der Wahl im STANDARD-Fragebogen zur Medienpolitik für eine Haushaltsabgabe, die neben dem ORF auch Förderungen für andere Medien finanzieren soll. Die ÖVP lehnte eine Haushaltsabgabe bisher stets als neue Steuer ab. Thema ist hier: Streamingnutzung auch von ORF-Inhalten unterliegt bisher nicht der GIS-Gebührenpflicht, wie der Verwaltungsgerichtshof 2015 festgestellt hat. Allerdings meldet der ORF gerade so viele Neuanmeldungen zur GIS wie schon seit vielen Jahren nicht mehr.

"Gemeinsamer ORF-Player"

Das Koalitionsabkommen nimmt das ÖVP-Thema auf, "die Kooperation von ORF und Privaten zu forcieren". Ein Feld mit weitem Interpretationsspielraum, wie sich bisher zeigte. Privatsender verstanden darunter Anspruch auf Rechte und Programme des ORF. Im Regierungsprogramm steht dazu nun genereller: "ORF-Archiv öffentlich und digital zugänglich machen" mit einer "Benutzerordnung" nach dem Bundesarchivgesetz.

Der ORF wiederum verhandelt seit langem über eine gemeinsame Online-Werbevermarktung mit privaten Medien ("Austria Marketplace"). Auch gemeinsame oder doch nur untereinander kompatible Streamingplattformen sind da Thema – der ORF plant einen ORF-Player, ProSiebenSat1Puls4 sieht ihre App Zappn beziehungsweise Joyn als gemeinsame Plattform.

Im Regierungsprogramm steht nun als Ziel ein "gemeinsamer ORF-Player zwischen ORF und Privaten mit öffentlich-rechtlich relevanten Inhalten", der später auch "weitere öffentliche Einrichtungen" einbeziehen soll.

Die neuen Regierungsparteien wollen "wirtschaftliche Kooperationen" ermöglichen – offenbar eine Lockerung des derzeit strengen Wettbewerbsrechts im Medienbereich.

Im Regierungsprogramm stehen auch Radio-Streamingplattformen "nach dem Vorbild der BBC" und Podcast-Portale für österreichische, auch öffentlich-rechtliche Radio/Audioangebote.

Produktion und Innovationen fördern

Denn: ÖVP und Grüne haben sich in ihrem Programm grundlegend vorgenommen, den österreichischen Medienstandort "neben Internetriesen" zu stärken und die E-Commerce-Richtlinie anzupassen. Sie wollen zudem "Förderungen weiterentwickeln".

Konkret nennt das Regierungsprogramm einen "Medienfonds" nach der AV-Richtline der EU, die Abgaben für auch internationale Streaminganbieter vorsieht, die nationale oder europäische Filme und Serien fördern.

"Verstärken" wollen ÖVP und Grüne die Förderung von Produktionen der österreichischen Filmwirtschaft und öffentlich-rechtlichen Mehrwert "stärken".

Ein "Ökosystem für Innovationen" aus Start-ups, Forschungseinrichtungen und öffentlich-rechtlichen wie privaten Medien soll Entwicklungen in Feldern wie Algorithmen, virtuelle Realität, künstliche Intelligenz, Personalisierung, Sprachsteuerung bis 5G Broadcast fördern.

Eine Digitalisierungsförderung soll projektbezogen den "Wandel" in der Medienwelt unterstützen, "nach festgelegten Kriterien".

Die Grünen forderten vor der Wahl noch eine grundlegende Reform der Medienförderungen und der öffentlichen Inserate, zu fördern seien journalistische Qualität und Innovation, Ausbildung, digitale Medien, zudem nichtkommerzielle Sender. Ihr Befund damals: "Ein System mit einer intransparenten Medienförderung, in dem ein Vielfaches an Mitteln über Inserate verteilt wird, ist einer entwickelten Demokratie unwürdig und ermöglicht es Regierungsparteien, Druck auszuüben und Berichterstattung zu steuern."

Prüfung von Förderungen und öffentlichen Inseraten

Daraus wurde nun im Regierungsprogramm:

  • "Prüfung aller medienrelevanten Gesetze mit dem Ziel einer Harmonisierung und Vereinfachung"
  • "Überprüfung der derzeitigen Vergabe- und Förderkriterien"
  • "Überprüfung der Kriterien der Inseratenvergabe der öffentlichen Verwaltung und staatsnaher Unternehmen"
  • "Überprüfung des Medientransparenzgesetzes"
  • "Überprüfung der Dotierung des Nichtkommerziellen-Rundfunkfonds (NKRF) mit dem Ziel einer Erhöhung im Hinblick auf Entwicklung innovativer Medienformen."

Hass im Netz und Desinformation

Das Regierungsprogramm kündigt zudem im Medienkapitel einen "stärkeren Kampf gegen Hass im Netz und Schutz vor Desinformation" an, im Justizkapitel einen "stärkeren Schutz vor Gewalt und Hass im Netz". Die ÖVP schickte noch in der Koalition mit der FPÖ einen Entwurf in Begutachtung, der eine Identifizierungspflicht für die Teilnahme an Onlineforen vorsah. Die Grünen sprachen sich dagegen aus, Mediensprecherin Eva Blimlinger erklärte etwa bei den Medientagen im September 2019: "Klarnamen hindern niemanden daran, Hass zu posten."

Gegen Desinformation wollten die Grünen im STANDARD-Fragebogen Qualitätsjournalismus stärken und Fact-Checking-Organisationen unterstützen. Und: "Die wichtigste Maßnahme für niveauvolle oder zumindest hassfreie Diskussionen auf Social Media und in Foren ist die konsequente Moderation durch die Plattformen. Das bedeutet, dass Accounts, von denen Hetze ausgeht, blockiert und die entsprechenden Nachrichten gelöscht werden. Inwiefern ein entsprechendes Moderationssystem Bedingung für Presse- und Publizistikförderung sein kann, ist zu prüfen."

Eine ressortübergreifende "Task Force" soll sich nun dem Hass im Netz und anderer digitaler Kriminalität widmen. ÖVP und Grüne wollen eine spezielle Staatsanwaltschaft für Cyberkriminalität. Fällt Hasskriminalität unter die Privatanklagedelikte, sollen die Behörden zur Ermittlung verpflichtet werden, "weil die Ausforschung zeit- und kostenintensiv ist". Opfer von Hass im Netz will die Regierung unterstützen. "Effektive Instrumente" für Accountsperren werden als Ziel genannt. Auch internationale Plattformen sollen einen Zustellbevollmächtigten nennen müssen.

Das Regierungsprogramm nimmt sich im Justizkapitel auch höhere Strafen nach dem Mediengesetz vor, wenn Medien die Opfer von Straftaten kenntlich machen und oder sie bloßstellen.

Das Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen sieht im Medienkapitel zudem vor: "Reform der Verwertungsgesellschaften im Interesse der Künstlerinnen und Künstler sowie anderer Urheberinnen und Urheber."

Öffentlich-rechtlicher Auftrag im Kulturteil

Nähere Vorstellungen für den öffentlich-rechtlichen Auftrag des ORF finden sich im Kulturteil des Regierungsprogramms:

"Öffentlich-rechtlichen Auftrag im Bereich Kunst und Kultur stärken und klares Profil für ORF 3 als Kultur- und Kunstsender sowie für Ö1 und FM4 im Bereich des Radios."

"Abbilden der österreichischen Pop- und Jazzszene im öffentlich-rechtlichen Rundfunk."

Sport im Free TV

Der türkis-blaue Wunsch nach mehr Livesport im Free-TV findet sich auch im türkis-grünen Regierungsprogramm wieder: Das Fernseh-Exklusivrechtegesetz, das eine Liste frei empfangbarer Ereignisse vorschreibt, soll "überprüft und überarbeitet" werden.

Pflichtinserate in der "Wiener Zeitung"

Ein Medienthema im Wirtschaftskapitel: Die Pflichtinserate für Unternehmen in der republikseigenen "Wiener Zeitung" stehen auch im türkis-grünen Regierungsprogramm – im Gegensatz zum Pakt mit der FPÖ 2017 mit einem vielleicht markanten Unterschied: ÖVP und Grüne wollen nun die "Veröffentlichungspflicht in Papierform in der 'Wiener Zeitung' abschaffen". Die Pflichtinserate machen bisher gut zwei Drittel der Einnahmen der "Wiener Zeitung" aus – eine existenzielle Frage für das Organ der Republik Österreich.

Die Grünen sprachen sich vor der Wahl für die Erhaltung der "Wiener Zeitung" und gegen eine Streichung der Pflichtinserate aus: "Das ist nicht sinnvoll, da es ein wichtiges und nützliches Informationsangebot ist. Die 'Wiener Zeitung', eine der ältesten Zeitungen der Welt, soll keineswegs eingestellt werden."

Im Medienkapitel des Regierungsprogramms steht: "Neues Geschäftsmodell der 'Wiener Zeitung' mit dem Ziel des Erhalts der Marke – Serviceplattformen des Bundes bündeln".

Informationsfreiheit einklagbares Recht

Auch medienrelevant im Kapitel "Verfassung, Verwaltung und Transparenz": "Amtsgeheimnis abschaffen und Informationsfreiheit als einklagbares Recht einführen." (Harald Fidler, 2.1.2020)