Auch wenn ihm die Rede zum Ansuchen um Immunität unangenehm war – Israels Premier Benjamin Netanjahu tritt weiter betont kämpferisch auf.

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Zumindest beim Ziel ließ Benjamin Netanjahu keinen Zweifel: "Ich will Israel noch viele Jahre anführen, um historische Erfolge zu erzielen", sagte er unter etwas gezwungenem Gestus am Mittwochabend in einer TV-Ansprache. Es war eine Form kämpferischen Aufflackerns in einer sonst für den Regierungschef sichtlich unangenehmen Rede. Noch im Wahlkampf für den ersten von zwei Knesset-Urnengängen 2019 hatte der Premier zugesichert, er werde in der Frage der Korruptionsermittlungen nicht um parlamentarische Immunität ansuchen – nun hat er genau das getan. Das mögliche Strafverfahren gegen ihn ist damit aufgeschoben – von einem Image-Standpunkt gesehen ist sein Ansuchen aber heikel. Um Druck abzubauen, trat Netanjahu von seinen bisher kommissarisch ausgeübten vier Ministerämtern – Gesundheit, Soziales, Landwirtschaft und Diaspora – zurück.

Konkret geht es um drei verschiedene Fälle möglicher Bestechung, Betrugs und Untreue, in denen Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit nach Herumlavieren im November entschieden hat, Anklage zu erheben. Sie heißen, mediengerecht, "Fall 1000", "Fall 2000" und "Fall 4000" und handeln von Deals mit befreundeten Geschäftsleuten, in deren Rahmen Netanjahu teils Geschenke für sich und seine Familie angenommen haben, teils seinen politischen Einfluss für positive Berichterstattung in Medien verwendet haben soll.

Ärgerliche Proteste überall

Gemeinsam ist allen drei Fällen auch, dass der Premier eine Verstrickung in illegales Verhalten vehement zurückweist. Er sprach nach der Anklageerhebung im November von politisch motiviertem Handeln der Justiz. Bei einer Pressekonferenz unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung Mandelblits sprach er sogar von einem "versuchten Putsch" gegen ihn.

Anhaltspunkte gibt es abseits seines Wortes dafür wenige. Jene, die in der Justiz für die Ermittlungen zuständig sind, haben ihre Jobs großteils unter Mitwirkung Netanjahus erhalten, der immerhin seit 2009 ununterbrochen im Amt ist – seit dem Frühjahr 2019 allerdings nur kommissarisch. Damals wurde auf sein Betreiben hin eine neue Knesset gewählt, bei den folgenden Regierungsverhandlungen fand sich keine Mehrheit. Weil gleiches auch nach einem neuen Urnengang im September passierte, regiert Netanjahu weiter über den 2. März hinaus. Für diesen Tag ist die dritte Neuwahl binnen eines Jahres angesetzt.

Und genau dieses Faktum hilft dem Premier nun auch bei der Verzögerung des Verfahrens gegen ihn. Zwar haben sowohl die Opposition als auch die rechte Partei Unser Haus Israel des ehemaligen Netanjahu-Verbündeten Avigdor Lieberman angekündigt, gegen die Immunität stimmen zu wollen, allerdings können sie dies derzeit nicht tun, weil der zuständige Parlamentsausschuss seit der ersten der drei Wahlen im Frühjahr nicht mehr zusammengetreten ist. Zwar ist es theoretisch möglich, ihn vor der Neuwahl zu konstituieren– wahrscheinlich ist es aber nicht.

Nach der dritten Wahl: die vierte?

Weil bis dahin aber kein Verfahren eröffnet werden kann, sofern ein möglicher Angeklagter um Immunität ansucht, verschiebt sich der Prozessbeginn gegen Netanjahu. Auch danach kann der Premier noch den Rechtsweg ausschöpfen und zum Beispiel den Obersten Gerichtshof anrufen – bis dahin gibt es ebenfalls keinen Prozess.

Heftige Diskussionen sind allerdings darüber entbrannt, ob Präsident Reuven Rivlin Netanjahu im Fall eines Wahlsieges erneut mit der Regierungsbildung beauftragen sollte. Gesetzlich gibt es auch im Fall einer Anklage keine Hürden dafür. Politisch stünde dem aber doch einiges im Wege. Ob Rivlin überhaupt in diese Verlegenheit kommt, ist aber unsicher. Umfragen sehen das oppositionelle Bündnis Blau-Weiß von Benny Gantz derzeit in Führung. Allerdings sagen sie ihm so wie Netanjahu keine Regierungsmehrheit voraus. Es könnte also sein, dass sich Letzterer in die vierte Wahl in Folge rettet. (Manuel Escher, 2.1.2020)