Der vom Pfeil des Paris an der Ferse tödlich verwundete Achilles gehört zu den Highlights in der Troja-Ausstellung des British Museum in London. Geschaffen hat es Filippo Albacini im Jahre 1825.

Foto: Chatsworth House

Universelle Themen wie Krieg und Frieden, Heroismus und Gewalt, Liebe und Verlust, Hoffnung und Verzweiflung. Den Göttern nahestehende Menschen aus grauer Vorzeit, deren Taten und Emotionen doch klingen wie die von Messerstechern und Eifersuchtsmördern des 21. Jahrhunderts. Schließlich eine 2500 Jahre umspannende Rezeptionsgeschichte – es gibt wohl, abgesehen von der Bibel, keine größere, weltumspannendere Geschichte als die Fabel von Troja und dem Krieg, der die sagenhafte Stadt in Kleinasien ebenso in Schutt und Asche legte wie den Ruf ihrer Zerstörer.

Viele Fragen bleiben wohl auf Dauer unbeantwortet. Wo genau lag die Stadt? Wann geschah der Krieg? Viel grundsätzlicher: Gab es ihn überhaupt, oder wurden nicht Jahrhunderte nach den geschilderten Ereignissen mündlich überlieferte und ganz unterschiedliche Berichte verschriftlicht und zu einem vermeintlich einheitlichen Geschehen zusammengespannt?

Schliemanns Verdienste und Fehler

Da liegt der Ausweg nahe, den die Verantwortlichen im British Museum genommen haben: Ihre große Winterschau nennen sie Troja – Mythos und Realität. Nüchtern schildern sie die Fragen, die rund um den Ausgrabungsort nahe der Dardanellen in der Nordwesttürkei kreisen und gewiss weiterhin kreisen werden. Feinsinnig wird unterschieden zwischen der Realität einer Stadt Troja und dem keineswegs bewiesenen trojanischen Krieg. Detailliert werden Verdienste und Fehler des deutschen Geschäftsmanns und Archäologen Heinrich Schliemann dargestellt, der seine in den 1870er-Jahren ausgegrabenen Schätze einst dem British Museum anbot. Diese sind nun, 150 Jahre später, als Leihgabe der Staatlichen Museen zu Berlin in London zu sehen.

Viele Details, eine faire Balance. Das eröffnet Besuchern die Möglichkeit, den Streit der Wissenschafter von sich abzustreifen und einfach nur zu staunen: über die Grausamkeit der antiken Götter, die den zehnjährigen Krieg vom Zaun brachen; über die Klarheit, mit der eine gut 2600 Jahre alte Dichtung menschliche Motive wie Liebe, Eifersucht, Zorn und Freundschaft benennt.

Grauen des Krieges

Beinahe 300 Objekte haben die Macher zusammengetragen, von einem Terrakottatopf aus der Bronzezeit über die filigrane Darstellung des Odysseus und der Sirenen auf einer Vase aus dem fünften Jahrhundert vor Christus bis hin zur Verarbeitung des Mythos von viel späteren Künstlern. Wem liefe nicht ein Schauer über den Rücken bei Betrachtung des knapp 2000 Jahre alten silbernen Bechers: Er zeigt die berühmte Szene, in der Trojas alter König Priamos dem zornigen Danaer Achilles die Hand küsst, um die Herausgabe der geschundenen Leiche seines Sohnes Hector zu erlangen. Schlaglichtartig wird das Grauen des Krieges deutlich. Reihenweise hat Achilles im Blutrausch die Trojaner massakriert. "Gefangene werden nicht gemacht", hallt sein schauerlicher Schlachtruf durch die Kriegsgeschichte bis zu Kaiser Wilhelm II. Dem Priamos gegenüber aber findet der Massenmörder seine Menschlichkeit zurück, händigt die Leiche aus und beginnt die letzte Phase seines Lebens.

"Der Krieg kennt keine Gewinner"

"Zu zeigen, was ist", bezeichnet Hartwig Fischer, der Direktor des British Museum, als Aufgabe seines Hauses. Keinesfalls dürfe man die Vergangenheit in Dienst nehmen für die Gegenwart. Relevant sei jedoch die Frage: "Wie hängt die Vergangenheit mit der Gegenwart zusammen?" Auf Troja bezogen: Zu dessen Geschichte gehören Begriffe wie Konflikt, Gewalt und Krieg, Verlust und Trauer, aber auch die Folgen von Zerstörung und die Versuche, sie zu überwinden. "Der Krieg kennt keine Gewinner", sagt der 57-Jährige und benennt damit so etwas wie das Leitmotiv der Ausstellung.

Das ist eine gewagte Herangehensweise in einem Land, das gerne martialische Traditionen pflegt, ja feiert. Vielleicht schlägt sich deshalb die kriegskritische, beinahe pazifistische Ausrichtung der Ausstellung in den Rezensionen der Londoner Zeitungen kaum nieder. Allenfalls findet die inspirierte Zusammenarbeit der Kuratoren mit einer Interessenvertretung von Kriegsveteranen Erwähnung; diese erkennen sich und ihre posttraumatischen Erlebnisse wieder in den Heimreisequalen des Odysseus, interpretieren Skylla und Charybdis, die Sirenen und den Zyklopen als Albträume in der Gedankenwelt des Gemütskranken. (Sebastian Borger aus London, 3.1.2020)