Regierungsprogramm: Kapitel "Behinderung und Inklusion".

Unter dem Punkt "Menschen mit Behinderung/Inklusion" im neuen Regierungsprogramm ist die grüne Handschrift recht deutlich herauszulesen. Hatte Türkis-Blau 2017 noch einen Ausbau der Sonderschulen beschlossen, findet man dieses Wort im vorliegenden Programm gar nicht mehr. Die neue Regierung bekennt sich vielmehr klar zur UN-Behindertenrechtskonvention, die Österreich eigentlich schon 2008 ratifiziert hat, deren Umsetzung aber nur schleppend erfolgt.

"Die nächsten Jahre sind nun der intensiven Umsetzung zu widmen", heißt es in dem Papier. Jeder Politikbereich trage im Sinne der Inklusion Verantwortung dafür, auf die Bedürfnisse und Interessen von Menschen mit Behinderung einzugehen. Barrierefreiheit sei demnach nicht nur physisch, sondern auch als elementarer Bestandteils des Zugangs zu Information, Leistungen, Beratung sowie Betreuung zu verstehen.

Schulinklusion mit nötigen Mitteln forcieren

Konkreter wird die türkis-grüne Regierung beim Thema Bildung. Dort soll Menschen mit Behinderung ein "freier Zugang zu allen Bildungsformen", auch dem tertiären Bereich, ermöglicht werden. Die dazu nötige Ausstattung sowie Fachpersonal müssen den Bildungseinrichtungen "laufend" zur Verfügung gestellt werden. So sieht es auch die UN-Konvention vor. Zudem soll weiterhin "qualitativ hochwertige (Sonder-)Pädagogik" sichergestellt werden, "wo immer sie nötig ist".

Kritisch sieht Experte Volker Schönwiese von der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, der auch regelmäßig im STANDARD zum Thema Behindertenpolitik schriebt, jedoch, dass im Regierungsprogramm gerade beim Thema Schulinklusion stets der Begriff "bestmöglich" verwendet wird: "Das heißt, die Grenze liegt weiterhin dort, wo man Inklusion für nicht möglich erachtet." Das deute darauf hin, dass die Sonderschulen trotz des Bekenntnisses zum inklusiven Unterricht weiterbestehen bleiben sollen. "Die Formulierungen eröffnen aber immerhin einen Möglichkeitsraum, den man nutzen könnte", so Schönwiese.

Lohn statt Taschengeld und persönliche Assistenz

Beim Thema Inklusion am Arbeitsmarkt greift die neue Regierung eine alte Forderung der Selbstvertretungsverbände auf. Unter dem Titel "Lohn statt Taschengeld" wird angekündigt, zusammen mit den Bundesländern die nötigen Schritte dafür zu setzen, dass Menschen mit Behinderung für ihre Arbeit in Einrichtungen wie Werkstätten künftig regulären Lohn und damit auch die ihnen zustehende sozialversicherungsrechtliche Absicherung erhalten.

Auch beim Thema persönliche Assistenz kündigt Türkis-Grün einen lange geforderten Schritt an: die Erarbeitung bundeseinheitlicher Rahmenbedingungen zur "persönlichen Assistenz" in allen Lebensbereichen unabhängig von der Art der Behinderung. Bei der Umsetzung soll ein eigener Inklusionsfonds helfen. Die Schaffung desselben werde geprüft.

Insgesamt unterscheidet sich die türkis-grüne Rhetorik beim Thema Behinderung deutlich von jener der Vorgängerregierung, wie Schönwiese sagt: "Es ist nicht mehr so knallhart im Retrotonfall formuliert." Entscheidend werde allerdings sein, ob es bei Absichtserklärungen bleibt oder diese Vorhaben auch wirklich umgesetzt werden.

Vage Formulierungen und Worthülsen

Auch Martin Ladstätter vom Behindertenberatungszentrum Bizeps ist nach Lektüre des Regierungsprogramms nur verhalten optimistisch: "Es fällt positiv auf, dass Behindertenpolitik in dem Programm als Querschnittsmaterie gesehen wird." So werde das Thema, anders als bisher, in verschiedenen Kapiteln angesprochen. "Allerdings – und dies sind die Schattenseiten des nun vorliegenden Programms – gibt es eine Reihe von Passagen, die sehr vage und mutlos formuliert sind, sodass erst die Zukunft zeigen wird, ob es substanzielle Fortschritte gibt", sagt Ladstätter.

Dass die Schaffung eines Inklusionsfonds etwa erst geprüft werden soll, obwohl dessen Notwendigkeit unbestritten sei, stößt dem Bizeps-Obmann ebenso sauer auf wie das Fehlen konkreter Schritte zur menschenrechtskonformen Umsetzung inklusiver Bildung. Das Koalitionspapier verliere sich bei dem Thema vielmehr in Worthülsen wie "Weiterentwicklung", "Überarbeitung" oder "Stärkung".

Zwar sei das vorliegende Regierungsprogramm im Vergleich zum ÖVP-FPÖ-Programm 2017 sowie dem Programm von SPÖ und ÖVP 2013 ein "inhaltlicher Fortschritt", doch insgesamt sieht Ladstätter in vielen Bereichen noch deutlich Luft nach oben: "Erst die nächsten Jahre und die dafür notwendigen Gesetzesänderungen werden zeigen können, ob aus Worthülsen interessante Punkte werden." (Steffen Arora, 2.1.2020)