Der Österreicher Alfred Weidinger wird im April das Landesmuseum in Linz übernehmen.

Foto: Ingo Pertramer

Ehemals Vizedirektor und Ausstellungsmacher im Wiener Belvedere und im 21er Haus, ist der Österreicher Alfred Weidinger seit 2017 Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig (MdbK). Er hat das Haus in der 600.000-Einwohner-Stadt aus dem Dornröschenschlaf geweckt und zu einem lebendigen Kunstort transformiert – und nebenbei auch noch die Besucherzahlen verdoppelt.

Das MdbK gehört mit Werken von Alten Meistern bis zu Leipziger Kunst zu den umfangreichsten Kunstsammlungen Deutschlands. Was den Neubau mit seinen mehr als 10.000 m2 Ausstellungsfläche auf mehreren Stockwerken besonders macht, sind sieben Hallen mit 16 Meter Höhe – eine Herausforderung, all dies zu bespielen. Das fiel Weidingers Vorgänger nicht leicht. "Es gab nur künstliches Licht, und es war wenig lebendig", erinnert sich Weidinger an seinen ersten Besuch im "Bildermuseum", wie das MdbK in der Stadt auch genannt wird.

Das Konzept war sofort klar: "Wir müssen das ganze Haus nutzen. Es muss Kunst in die Höfe. Wir haben die Türen aufgemacht, durchgelüftet, wenn man so will, und wir haben Licht in das Museum gelassen."

Dichtes Programm und viel Spontaneität: Alfred Weidinger brachte Leben in das Leipziger "Bildermuseum". Hier ein Blick in die Yoko-Ono-Ausstellung im letzten Frühjahr.
Foto: imago/Jens Schulze

DDR-Aufarbeitung

Programmatisch lag sein erster Fokus auf Fotografie, vor allem aus der ehemaligen DDR. Von da aus arbeitete er sich immer weiter in die Geschichte hinein: das geteilte Deutschland, die Wende 1989 und Leipzigs wichtige Rolle dabei. Ohne direkten Bezug nicht immer leicht zu durchblicken. "Ich bin ein politisch interessierter Mensch. Ich bin in einem Geschichtsbuch gelandet und schlage jeden Tag eine neue Doppelseite auf und lerne jeden Tag etwas vollkommen Neues dazu", so Weidinger.

Der DDR-Underground, u. a. mit Klaus Hähner-Springmühl, war beispielsweise außerhalb der Szene kaum bekannt und wurde seit der Wende auch nicht aufgearbeitet. Die Auseinandersetzung mündete in der Ausstellung Point of No Return im diesjährigen Jubiläumsjahr der Friedlichen Revolution. Eine der erfolgreichsten Ausstellungen mit positiver Resonanz bis in die USA.

Leipziger Kunst pushen

Natürlich plante er, auch weiterhin Teile der Sammlung, Impressionisten oder Caspar David Friedrich zu zeigen. Ebenso wichtig war ihm allerdings die Einbeziehung der lokalen Kunstszene über die bekannte Neue Leipziger Schule und den Maler Neo Rauch hinaus.

Die Galeristin Arne Linde, seit 15 Jahren mit der Galerie ASPN in der Kunstwelt verwurzelt, bestätigt das: "Was als Erstes spürbar war, waren die Neugier und die Offenheit für die hiesige Szene. Weidinger ist in alle Galerien gegangen, in Offspaces und Ateliers. Wo es früher wenige Ausstellungen, kaum Engagement für das gegenwärtige künstlerische Geschehen und quasi keine Ankäufe oder Ausstellungen für junge Kunst gab, öffnete sich der Elfenbeinturm plötzlich, und das Museum wurde wieder ein relevanter sozialer und diskursiver Raum."

Weidinger spürte das Wesen der Stadt und bestimmte dieses mit der Zeit durch eine hohe Dichte an Ausstellungen auch mit. Waren es vormals eine Handvoll pro Jahr, trifft man sich heute in kurzer Taktfolge zu Vernissagen von Einzel- und Gruppenausstellungen junger Künstler, wie derzeit Link in Bio mit viel Medienkunst, von Kooperationen mit der Kunsthochschule oder raumgreifenden Installationen wie dem zwölf Meter hohen begehbaren Kinski-Kopf KAPUTTNIK von Paule Hammer. Hinzu kommen Zugpferdausstellungen von Yoko Ono oder Udo Lindenberg. "Mir war wichtig, dass dieses Haus zu einer Location wird. Nicht im negativen Sinn, sondern dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass man ins Museum geht und immer wieder etwas Neues erlebt. Es ist für jeden etwas dabei, für jede Generation."

Die Galeristin Arne Linde dazu: "Vielleicht ging irgendwann die Frequenz der Ausstellungen auch ein bisschen auf Kosten der Nachhaltigkeit, da wurde es hier und da auch einmal etwas oberflächlich. Der frische Wind aber war das, was die Leipziger Kunstszene zu dieser Zeit unbedingt brauchte."

Dass dieses Tempo auch den Pulsschlag seines Teams erhöht, macht die Sache nicht immer ganz einfach. Weidinger fordert mit seinem dichten Programm und seiner Spontaneität viel Initiative. Ideen, die anfangs unmöglich scheinen, realisiert er dennoch, wenn z. B. ein überdimensionaler, blutspuckender Styropordinosaurier der Künstlerin Edith Karlson nach Estland oder ein spezielles Boot für Yoko Ono von der Ostsee ins Museum transportiert werden muss. Dafür setzt sich der Direktor auch mal selbst gerne in den Lastwagen.

Über die Sparten

Diese Ära ist Ende März nun vorzeitig vorbei, wenn er die Leitung des Oberösterreichischen Landesmuseums übernimmt. Ein Verlust für Leipzig. Das war so nicht geplant, aber diese Gelegenheit konnte Weidinger sich offenbar nicht entgehen lassen.

Eine Herausforderung wird es allemal, vereint das Museum doch mit knapp 400 Mitarbeitern an einer Vielzahl an Standorten im ganzen Bundesland Natur, Kultur- und Kunstgeschichte. "Das ist ein internationales Institut mit 22 unterschiedlichen Sammlungen, mit einer großen naturwissenschaftlichen Abteilung. Jetzt geht es darum, dem Haus zu dem Image zu verhelfen, für das ohnedies die Grundlagen schon da sind. Das muss jetzt kanalisiert und für die Öffentlichkeit in entsprechender Form aufbereitet werden."

Weidinger möchte stark interdisziplinär arbeiten, die Wissenschaften mit der Kunst koppeln. "Abgesehen von diversen Sanierungen, die notwendig sind, wird es in nächster Zeit einen Fokus auf die Naturwissenschaften geben. In Verbindung mit allen anderen Sparten."

Weidingers Ziel ist, offener zu werden, Demokratie im Museum zu ermöglichen. "Wir sind viel zu wenig tolerant. Das ist etwas, was ich mir vorstelle."

In Leipzig hat er das jedenfalls schon geschafft. (Eva Grumeth aus Leipzig, 3.1.2020)