Regierungsprogramm Kapitel "Österreich in Europa und in der Welt"

Wien – 1:0 für Türkis-Grün. Dürftige 3,5 A4-Seiten waren es, die Türkis-Blau vor gut zwei Jahren der Außenpolitik gewidmet hatte – 15 Seiten sind es diesmal geworden. Und: Da und dort sind die Themen aber doch recht anders formuliert. Europa, Entwicklungszusammenarbeit und idealistisch formulierte Vorhaben stehen im Zentrum der Pläne, um die sich Außenminister Alexander Schallenberg und die Staatssekretärin Karoline Edtstadler (ÖVP), im Bundeskanzleramt für Europa zuständig, kümmern sollen. Die genaue Aufteilung der Agenden wird dabei wohl noch für einige Diskussionen sorgen.

Im Kern der österreichischen Außenpolitik soll – erraten! – auch diesmal wieder die EU stehen. Anders als im türkis-blauen Programm von 2017 geht es diesmal aber weniger darum, skeptische Beobachterinnen und Beobachtern der anhaltenden Treue zur EU zu versichern – sondern um ein Gebiet, in dem sich beide Parteien in vielen Bereichen einig sind. Ins neue Programm hinübergeschafft hat es die Betonung des Subsidiaritätsprinzips, die der Kanzler in spe, Sebastian Kurz, in seinen beiden Wahlkämpfen öffentlichkeitswirksam vorgebracht hatte: Um das, was in Österreich beschlossen und durchgesetzt werden kann, braucht und soll sich die EU bitte nicht zu kümmern. Außerdem will man von der EU "Leuchtturmprojekte" sehen. Darunter, wenig überraschend: Migration und Klimaschutz.

Eine starke Union – und viele Sanktionen

Für die Grünen fiel im Text die Feststellung ab, dass es "eine starke Union" brauche, weil sich viele Probleme durch kleine Nationalstaaten allein nicht lösen ließen. Daher steht auch die Arbeit an einem "neuen Vertrag für Europa" im Programm. Die Union soll zudem nach Wiener Wünschen "Klimavorreiterin" werden. Österreich wird sich außerdem weiter für eine Verkleinerung der Kommission einsetzen.

Festgelegt ist ferner, dass sich Österreich in der EU für Sanktionen für jene einsetze, die sich "nicht an die Regeln halten". Das hilft beiden Partnern: der ÖVP dort, wo es etwa um Budgetregeln geht. Den Grünen etwa als Sicherheitspolster zur Haltung der Regierung in den Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn und Polen. Beides ist gesondert erwähnt.

Geblieben ist auch das Bekenntnis zur Erweiterung der EU um die verbleibenden Westbalkanstaaten, deren "klare Beitrittsperspektive erhalten" werden solle. Demnach wird sich Österreich weiter für Verhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien einsetzen und auch Serbien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina auf dem Weg in die EU behilflich sein. Im Fall des Kosovo will man sich für die Visaliberalisierung einsetzen.

Für beide Parteien ist das ohnehin Teil ihres Programms. In der Volkspartei wird freilich stärker die Bedeutung für die österreichische Wirtschaft hervorgehoben, bei den Grünen der ideelle Anspruch, den Staaten zu mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verhelfen. Im Programm findet sich nun beides – ebenso wie das Bekenntnis zum Beitrag Österreichs für die Grenzschutzagentur Frontex.

Für Jugendliche in Österreich soll "die EU erlebbar gemacht" werden: "Ziel ist es, dass alle 15- bis 20-Jährigen einmal in der Ausbildungszeit eine Woche nach Brüssel reisen und die EU-Institutionen kennenlernen."

Einsatz für Menschenrechte und gegen Rassismus

Insgesamt wird die Frage nach Österreichs Platz in der Welt im Programm eher unexakt behandelt. "Verlässlicher Partner im Multilateralismus" soll das Land sein, die Arbeit in internationalen Organisationen in Wien finden in dem Papier positiven Widerhall. Zudem bleibt das "klare Bekenntnis" zur österreichischen Neutralität erhalten – sie wird später sogar als "unumstößlich" bezeichnet. Österreich soll sich außerdem "im Sinne einer aktiven Friedensdiplomatie" als Vermittler betätigen.

Ein Herzstück der Kurz'schen Außenpolitik seit seinen früheren Zeiten als Außenminister darf erneut nicht fehlen: Österreichs Engagement für eine internationale Ächtung von Atomwaffen und ihr Verbot.

KAICIID reformieren – oder raus

Zum umstrittenen König-Abdullah-Zentrum für interreligiösen und interkulturellen Dialog (KAICIID) heißt es, man wolle sich "für eine umfassende Reform" desselben einsetzen. Nur wenn dies nicht gelinge, werde die Regierung "unter größtmöglicher Wahrung der Bedeutung des Dialogstandorts Österreich" den Ausstieg aus dem KAICIID (den das Parlament ja eigentlich schon veranlasst hat) durchführen.

Wie schon unter Türkis-Blau findet sich außerdem der Einsatz Wiens für eine internationale Ächtung und Abschaffung von Todesstrafe und Folter im Programm wieder – an den Grünen wäre ein solcher Passus wohl auch nicht gescheitert. Außerdem soll Österreich "internationaler Vorreiter beim Menschenrechtsschutz" werden und sich gegen Rassismus einsetzen.

Einsatz für "grüne Diplomatie"

Eine "grüne Diplomatie", soll aus der Taufe gehoben werden, deren Konzept sei aber "noch zu erarbeiten". Auch der Posten einer "Klimabotschafterin" wird eingerichtet. Wohl auf Wunsch der ÖVP heißt es, der "Einsatz der österreichischen Außenpolitik" solle "auch im Sinne der heimischen Wirtschaft" stattfinden.

Abseits des Westbalkans werden zwei weitere regionale Schwerpunkte gesetzt: zum einen Afrika, wo Österreich eine Initiative für einen "EU-Zukunftspakt" setzen will. Außerdem Israel, dem mehr als eine halbe Seite gewidmet wird. Dessen Existenzrecht dürfe nicht infrage gestellt werden, man bekenne sich weiterhin zu einer Zweistaatenlösung. Österreich werde auch seinen "weltweiten Einsatz im Kampf gegen den Antisemitismus und Antizionismus – auch auf europäischer Ebene (…) fortsetzen".

Mit den USA soll die "strategische Partnerschaft" ausgebaut werden, mit Russland will man die bilateralen Beziehungen stärken.

Weniger Platz für Südtiroler

Mit Spannung erwartet worden war auch, ob sich die erleichterte Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an Menschen mit deutscher und ladinischer Muttersprache wieder, wie unter Türkis-Blau, im Regierungsprogramm finden würde. Jene für Nachkommen von österreichischen Shoah-Überlebenden war ja im September im Nationalrat beschlossen worden und gilt als weitgehend unstrittig. Die für Südtiroler hingegen hatte für heftige Diskussionen gesorgt. Schwierigkeiten gab es bei der Umsetzbarkeit, aber auch Kritik an der Motivation: FPÖ und ÖVP war – auch von den Grünen – ja vorgeworfen worden, sich mit der Vergabe von Pass und Wahlrecht vor allem neue Wählerschichten erschließen zu wollen.

Im neuen Programm findet sich nun nichts mehr dazu, was in Südtirol wohl nur für wenig Ärger sorgen wird. Dort wurde das Thema von einem großen Teil der Bevölkerung ohnehin stets eher kritisch gesehen. Beruhigt wird man in Bozen und Umgebung aber hören: Österreich wird "weiter seine Schutzfunktion wahrnehmen".

Hilfe vor Ort – und Evaluierungen für die EZA

Ebenso gespannt hatten viele – nicht zuletzt aus dem Kreis heimischer Entwicklungs-NGOs – auf die Pläne der neuen Regierung in Sachen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) gewartet. Nun ist Folgendes im Programm nicht mehr zu lesen: das von der ÖVP forcierte Schlagwort der "effizienten" EZA. Durchaus vorhanden ist hingegen das Bekenntnis, die Beträge auf die als internationaler Standard geltende Marke von 0,7 Prozent des Bruttonationalprodukts anzuheben. Dies soll allerdings "schrittweise" stattfinden, einen konkreten Zeitrahmen gibt es nicht.

Ins Haus steht der EZA außerdem eine "fundierte Evaluierung der Wirksamkeit von EZA-Maßnahmen, so wie dies in allen Förderbereichen durchgeführt wird". Das Framing, wonach Hilfe und Kooperation vor allem als Mittel gegen zunehmende Migration gesehen werden, kommt im Programm erneut vor – teils aber positiver formuliert: Die Hilfe soll "Lebensperspektiven für Menschen in einem Umfeld sozialer und politischer Stabilität" ermöglichen. (Manuel Escher, 2.1.2020)