Regierungsprogramm: Kapitel "Armut"

Die Grünen haben ein Paket zur Armutsbekämpfung als eines ihrer Herzensanliegen definiert. An erster Stelle steht unter diesem Titel im Programm auffälligerweise ein Teil der geplanten Steuerreform. Bei der Lohn- und Einkommenssteuer soll der Eingangssteuersatz von 25 auf 20 Prozent sinken, doch davon haben gerade die Menschen mit den niedrigsten Einkommen erst einmal nichts, da die Steuerpflicht erst ab einem Jahreseinkommen von 15.500 Euro brutto (Bemessungsgrundlage von 11.000 Euro) einsetzt. Ein Anreiz, um mehr zu arbeiten und damit mehr zu verdienen, ist dieser Schritt allerdings schon.

Der Ausbau des Familienbonus firmiert ebenfalls unter Armutsbekämpfung, doch auch hier gilt: Von der Kernleistung profitiert nur, wer genug verdient, um Steuern zu zahlen. Familien dürfen pro Kind und Jahr künftig bis zu 1750 statt wie bisher 1500 Euro von der Steuer absetzen, was im Fall eines Kindes Menschen mit Monatseinkommen von 1750 Euro brutto aufwärts nützt. Was Niedrigverdienern hilft: Der unabhängig vom Einkommen gezahlte Kindermehrbetrag wird von 250 auf 350 Euro pro Kind angehoben. Bislang galt dieser Teil des Bonus nur für Alleinverdiener und Alleinerzieher, künftig sollen laut Programm alle Erwerbstätigen profitieren, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohn- und Einkommenssteuern zahlen.

Weiters im Paket zur Armutsbekämpfung verbucht:

  • "Lückenschluss" im Unterhaltsrecht, damit Frauen und Kinder nach Trennungen verlässlicher zu dem ihnen zustehenden Geld kommen.
  • Ein Pilotprogramm, um 100 ausgewählten Brennpunktschulen mehr Geld für Unterstützungspersonal zukommen zu lassen.
  • Einführung eines bundesweiten Kältetelefons, wie es jetzt schon etwa die Caritas betreibt, damit Passanten rasch Obdachlosen auf der Straße helfen können.
  • Vollfinanzierung von Therapieplätzen im Bereich Psychotherapie.

Mit keinem Wort kommt hingegen ein Thema vor, das lange als eines der großen Stolpersteine auf dem Weg zur Koalition galt: Knapp vor Weihnachten hat der Verfassungsgerichtshof zentrale Verschärfungen der von der alten türkis-blauen Regierung beschlossenen Sozialhilfereform aufgehoben, konkret die sinkenden Zuschläge für Kinder und die Schlechterstellung von Ausländern ohne gute Deutschkenntnisse. ÖVP und Grüne haben offenbar keine Reparatur vor, aus dem Büro von ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger heißt es: Die Länder hätten das türkis-blaue Grundsatzgesetz zu vollziehen, nur eben unter Berücksichtigung des Urteils der Höchstrichter. Das hieße, dass zumindest eine nicht beanstandete Verschärfung – die Kürzung der Leistung für Paare – umgesetzt werden muss.

Garantieren wollen ÖVP und Grüne eine Art Mindestniveau für die Löhne. Wenn in Branchen Beträge gezahlt werden, die unter den niedrigsten Kollektivvertragslöhnen der gewerblichen Wirtschaft liegen, sollen die Sozialpartner ebenso für eine Anhebung sorgen wie in Fällen, in denen die Kollektivverträge seit Jahrzehnten nicht angehoben wurden. Einigen sich Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretung nicht, solle der Lückenschluss auf anderem Weg erfolgen, etwa durch das Bundeseinigungsamt. (Gerald John, 2.1.2020)