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Wenn die Grünen von "schmerzhaften" Kompromissen im Regierungspakt sprechen, dann gehört die sogenannte Sicherungshaft definitiv dazu. Sie stellt den Grundsatz infrage, Menschen nur bei Verdacht auf konkret begangene Straftaten – wie die U-Haft, wenn Verdunkelungs-, Flucht- oder Wiederholungsgefahr besteht – oder bei einer Verurteilung einzusperren. Vielmehr zielt die Sicherungshaft auf Personen, die "gefährlich" sind. Das löst bei vielen Bürgerrechtlern Bedenken aus: Denn wer kann definieren, ob Menschen eine Gefahr sind – und wie können diese beweisen, dass sie es nicht sind? Diese Kritik äußerten vor den Regierungsverhandlungen auch Grünen-Chef Werner Kogler und die designierte grüne Justizministerin Alma Zadić.

Für die ÖVP dürfte die Sicherungshaft allerdings ein Muss gewesen sein. Im Regierungsprogramm wird darauf verwiesen, dass "15 europäische Länder" eine derartige Maßnahme eingeführt haben. Allerdings gibt es gravierende Unterschiede in der Handhabung der Sicherungshaft, sogar innerhalb Deutschlands. Dort verfügen alle Landespolizeibehörden über die Möglichkeit, ein sogenanntes Unterbindungsgewahrsam zu verhängen. In den meisten Bundesländern können Personen für die Dauer von wenigen Tagen eingesperrt werden, um "unmittelbar bevorstehende" Straftaten zu verhindern. Das zielt etwa auf Hooligans oder amtsbekannte Neonazis ab, die an Aufmärschen teilnehmen wollen. In Bayern existiert hingegen ein kontroverses Gesetz, das potenziell unendlich lange Haft für "Gefährder" vorsieht – dagegen gehen Bürgerrechtler momentan juristisch vor.

Die Präsentation des Regierungsprogramms im Video
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Spezialfall Asylwerber

Einen weiteren Sonderfall stellt die Sicherungshaft für Asylwerber dar. Sie wird vermutlich von der türkis-grünen Regierung gemeint, da sich die dazugehörigen Punkte im Asylkapitel finden. Hier könnte eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2013 als Vorlage dienen. Diese sieht vor, dass ausreisepflichtige Personen "aus Gründen der nationalen Sicherheit" in Haft genommen werden dürfen, wenn kein gelinderes Mittel vorhanden ist. Eine Person darf jedoch nie ausschließlich deshalb verhaftet werden, weil sie einen Asylantrag gestellt hat.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat dieses Regelung bereits bestätigt: Ein Asylwerber war gegen seine Verhaftung in den Niederlanden vorgegangen. Die dortigen Behörden hatten ihn bereits mehrfach negativ beschieden, außerdem hatte er mehrere Verbrechen begangen. Deshalb kam es zur Präventivhaft. Wenn diese "so kurz wie nötig" ist und vom Betroffenen eine "ernste Bedrohung für die Öffentlichkeit" ausgeht, sei diese Maßnahme EU-rechtlich in Ordnung, urteilte der EuGH im Februar 2016.

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Der türkis-grüne Regierungspakt betont, dass die Sicherungshaft verfassungs-, menschenrechts- und unionsrechtskonform sein soll. Als der damalige Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) die Idee ventilierte, war die Empörung ebenso groß wie die Skepsis von Verfassungsrechtlern. Auslöser des Vorstoßes war der mutmaßliche Mord an einen Beamten durch einen vorbestraften Asylwerber. Der Verfassungsexperte Heinz Mayer fragte sich damals, ob eine reine Beschränkung auf Asylwerber möglich wäre; Rupert Wolff, Präsident des Rechtsanwalt-Tages, nannte die Maßnahme "brandgefährlich". Die meisten Experten gingen damals davon aus, dass eine Verfassungsänderung – also eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat – nötig ist. Über die verfügt Türkis-Grün jedoch nicht – allerdings hat am Donnerstag prompt Kickl seine FPÖ als Mehrheitsbeschaffer angeboten. Für die Grünen heißt der im Regierungsprogramm beschrieben Passus allerdings, dass die Sicherungshaft ohne Verfassungsänderung funktionieren müsse – sonst käme sie nicht, stellte der künftige Abgeordnete und Verhandler Georg Bürstmayr klar.

Türkis-blaue Ausweichroute

Auch ein weiterer Teil des Asylkapitels sorgte am Donnerstag für helle Aufregung. So legten ÖVP und Grüne fest, dass sie sich unter bestimmten Bedingungen gegenseitig mit anderen Partnern überstimmen dürfen: Nämlich dann, wenn eine "Krise im Bereich Migration und Asyl" besteht und sich die beiden Koalitionsparteien trotz mehrfacher Gesprächsrunden nicht einigen können.

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Das ist ein Novum in Österreich, das jedoch hypothetisch bleiben dürfte.

Denn Grüne und ÖVP müssen sich einig sein, dass eine "Krise" besteht und sie keinen gemeinsamen Nenner finden. Die Grünen könnten sich dann enthalten, wenn FPÖ und ÖVP etwa einen Grenzzaun beschließen. Allerdings ist nicht vorstellbar, dass die Koalition bestehen bleibt, wenn Maßnahmen tatsächlich diametral zu grünen Grundsätzen stehen. Der Passus dürfte also vor allem eine Beruhigungspille für grün-skeptische ÖVP-Anhänger sein. (Fabian Schmid, 3.1.2019)