Foto: Once

Ich bin seit dreieinhalb Jahren Single. In dieser Zeit habe ich mehr als einmal daran gedacht, mir aus Einsamkeit eine Katze zuzulegen. Nicht, dass ich wirklich einsam bin, aber kurzlebige Gspusis, sinnlose Sexdates und frustrierendes Ghosting entfachen irgendwann doch ein gewisses Verlangen nach der Stabilität einer Beziehung. Natürlich ist mir klar, dass die große Liebe nicht einfach so vor der Tür steht wie ein GIS-Kontrolleur. Deshalb (und damit meine Mama mich nicht mehr weiterfragen muss, wann ich endlich jemanden mit nach Hause bringe) habe ich versucht, bei vier Dating-Apps den Mann für zumindest ein wenig länger zu finden. Ein Selbstversuch, damit Sie es nicht machen müssen! Ich beginne mit Tinder, ob des Bekanntheitsgrads so etwas wie die Kim Kardashian unter den Kuppelplattformen. Dann weiter zu Once, wo man angeblich auf Qualität statt Quantität setzt. Bei Okcupid sollen Persönlichkeit und innere Werte statt Aussehen zählen. Und schließlich auf Grindr, der Dating-App für schwule Männer. Einen Monat lang war ich registriert, habe mich durch die Profile geswipt und die Angebote getestet. Aber lesen Sie selbst.

Tinder

In der App, die das Dating revolutioniert hat, blättert man durch Fotos, vermeintlich inspirierende Sprüche – und wischt potenzielle Partner weg wie den Dreck aus den Augen. Die meisten Profile sind austauschbar, Bergsteigen und Fitnessstudio sind Ersatz für Persönlichkeit geworden. Selbst wenn man matcht, kommt es selten zum echten Gespräch. Meist bleibt es auf der Basis "Hi", "Hey", "Wie geht’s?". Ich erzähle, was ich tagsüber gemacht habe, und frage zurück. Ein "Gut" als Antwort, das Gespräch ist beendet. Aha, okay. So geht es Match um Match, es macht müde, deprimiert. Bin ich nicht interessant genug? Zu anstrengend, zu zurückhaltend? Als ich 2014 meine ersten Matches hatte, war das noch anders: Mit fast allen kam ich ins Gespräch, manche wurden zu Gspusis oder Freunden. Heute will kaum jemand ein Treffen – die meisten verweisen auf Instagram, wo sie Follower sammeln wollen. Kurz vor dem Ende meines Experiments schaue ich noch einmal zurück und wische durch meine Matches des letzten Monats. Dann entdecke ich David. Er heißt eigentlich anders, ist WU-Student, blond und 25. Wir verabreden uns auf einen Spritzer, mein einziges Tinder-Match, das ich real treffe. Der Abend ist in Ordnung, wir diskutieren über Musik und sein Aufeinandertreffen mit einer Astrologin. Ich bin offen, laut, dominant – so, wie ich nicht wirklich bin. Man will sich ja keine Blöße geben, sondern eher überkompensieren. Es passiert nichts. Wir chatten noch Tage später und vereinbaren ein zweites Date, das bis heute nicht stattgefunden hat. Von beiden Seiten scheint es auch hier nicht wirklich dringend zu sein, einander wiederzusehen.

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USER: 57 Millionen weltweit

FUNKTIONALITÄT: Die App schlägt Profile vor. Wenn eines gefällt, Wisch nach rechts, wenn nicht, nach links. Die Suche lässt sich nach Alter, Distanz und Geschlecht eingrenzen. Platz für neun Bilder.

LIEBESFAKTOR: ***

SEXFAKTOR: ***

SERIOSITÄT: ***

Once

Die zweite App ist für die Menschen, die wahnsinnig viel Zeit und kein Problem damit haben, auch noch länger Zeit als Single zu verbringen (sorry, kein Shaming!). Aber mal von Beginn an: Once will laut eigenen Angaben dem Dating die "Qualität" zurückzugeben. Statt die Userinnen und User permanent mit neuen Single-Angeboten zu befeuern, wird deshalb nur ein Profil pro Tag vorgeschlagen. Vergibt man ein "Nein", dauert es also 24 Stunden, bis die Chance auf einen neuen Traumpartner aufpingt. Was Exklusivität und Auswahl suggerieren soll, ist vor allem: null anregend. Nach ein paar Tagen des Testens dräut eine sachte Ahnung: Once ist so etwas wie die Resteverwertung von Tinder! Hier findet man jene, die dort und bei vergleichbaren Apps über einen längeren Zeitraum erfolglos waren und nun hier ihre Endstation Sehnsucht verleben. Warum man gerade hier und mit dieser Methode einen Partner finden soll, bleibt mir ein Rätsel. Aber gut, dieser virtuelle Club der übrig gebliebenen Herzen ähnelt womöglich einem realen, wo auch gegen sechs Uhr Früh dann das zueinander findet, was noch restig über die Tanzfläche torkelt. Once ist bei meinem einmonatigen Test die App, die ich als Erstes gelöscht habe. Ich habe niemandem geschrieben, genauso wenig wurde ich kontaktiert. Bestimmt ist das alles gut gemeint, sicher gibt es hier nette Menschen. Mein Fazit fällt trotzdem negativ aus: Macht etwas Besseres aus eurer Lebenszeit. Geht spazieren. Starrt in die Sonne. Telefoniert mit eurer Mutter. Der Datingprozess ist masochistisch genug, da muss man seine Zeit nicht auch noch unnötig vertrödeln.

Foto: Once

USER: 6 Millionen weltweit

FUNKTIONALITÄT: Alle 24 Stunden wird ein einziges (!) Profil vorgeschlagen. Zusätzlich kann man Profile bewerten, damit der Algorithmus besser lernt, wen und was man attraktiv findet.

LIEBESFAKTOR: *

SEXFAKTOR:

SERIOSITÄT: *

Okcupid

OkCupid entpuppt sich im Test als die betrunkene Tante unter den Dating-Apps – also vergleichbar mit jener Person, die man eher ungern zu Familienfeiern einlädt. Anfangs macht es Spaß, sich mit ihr zu unterhalten, aber irgendwann wird es anstrengend (zumal sie einem unangenehme Wahrheiten an den Kopf wirft). Zur Erklärung: Okcupid funktioniert ein wenig anders als die anderen Apps. Jede Userin und jeder User muss bei der Anmeldung zig Fragen beantworten. "Sind Sie offen für eine offene Beziehung?", "Darf Ihr Partner Rosinen mögen?". Anhand dieser offenbar tiefenpsychologisch aufschlussreichen Antworten berechnet Okcupid, mit wem man harmoniert. Mir wurden mehrere Männer mit einer Übereinstimmung von über 90 Prozent vorgeschlagen. Bloß hat mich keiner davon interessiert. Warum? Auch wenn es oberflächlich klingt: Da kann man menschlich zu 100 Prozent harmonieren, wenn das Gegenüber wie ein Erdapfel aussieht, dann wird es nix. Dazu sagt der Übereinstimmungswert tatsächlich nichts darüber aus, ob die Chemie stimmen kann. Es gibt eher einen Anstoß fürs erste Gespräch. Mit einem Match hab ich mich zwei Nachrichten lang über Games unterhalten, dann war es vorbei. So viel dazu, dass Gemeinsamkeiten verbinden. Trotzdem gibt es einen Pluspunkt: Der Fragebogen hält dir einen Spiegel vor. Weil man darüber nachdenkt, was man will. Oder was nicht. Ich will nicht, dass mein Partner Drogen nimmt. Mir ist egal, ob er morgens oder abends duscht – und ja, vielleicht will ich eine Familie gründen. Allein deswegen zahlt es sich schon aus, der Plattform eine Chance zu geben.

Foto: Okcupid

USER: 6 Millionen weltweit

FUNKTIONALITÄT: Im Gegensatz zu den anderen Dating-Apps muss hier zuerst ein Test ausgefüllt werden. Aufgrund dieses "Psychogramms" werden dann Partner mit hoher Übereinstimmung vorgeschlagen.

LIEBESFAKTOR: ****

SEXFAKTOR: **

SERIOSITÄT: ****

Grindr

Über Grindr heißt es, dass man hier am schnellsten ein Sexdate findet. Und Tatsache: Ich konnte hier die meisten Rendezvous verbuchen (bitte verurteilt mich nicht!). Auf der App, auf der man schneller ein Dickpic erhält, als man "Hi, wie geht’s?" tippen kann, werden Nutzer angezeigt, die sich in der Nähe aufhalten. So weiß man, dass der nächste Schwule 130 Meter entfernt ist, und 469 Meter weiter vermutlich eine Orgie stattfindet. Grindr treibt die Oberflächlichkeit von Tinder auf die Spitze: Jedes zweite Profilfoto zeigt einen nackten Torso ohne Kopf. Hier zählen Werte wie die Bauchmuskulatur und die Größe (nicht Körper). Ein Chat wird oft mit dem Wort "Fun" oder "Lust" initiiert. Satzzeichen? Überflüssig! Grindr ist schnell, sehr direkt, manchmal grindig, aber erfolgreich. Du willst Sex? Du wirst jemand finden. Harmloser Smalltalk mündet in Gesprächen über Fetische (die unzensurierte Version). Ein Date mit einem 21-jährigen Studenten zeigt mir, dass auch Grindr-Nutzer am Ende Nähe suchen – diese aber nur in Sexdates finden. Dass sich niemand mehr emotional auf den anderen einlässt, ist eines der Probleme unserer Generation. Was mir von Grindr außer schneller Befriedigung bleibt? Ein Typ, mit dem ich nun regelmäßig online schnapse. Zuerst fand ich sein Anliegen seltsam, aber ich wurde hier schon sonderbarere Sachen gefragt. Das erste Bummerl ging an mich, seither verliere ich jede Partie. Wir schreiben einander ab und an, ein Schnapsduell im echten Leben ist ausgemacht. Ob es wirklich so weit kommt, ist nicht so sicher. Bis dahin vergehen noch hunderte zugeschickte Dickpics.

Foto: APA/AFP/Chris Delmas

USER: 27 Millionen weltweit

FUNKTIONALITÄT: Zeigt alle aktiven Nutzer in einem gewissen Radius an. In der Basic-Version sind das 100 Profile. Lästige Nutzer lassen sich blockieren. Im Profil kann man sexuelle Vorlieben und HIV-Status angeben.

LIEBESFAKTOR: **

SEXFAKTOR: *****

SERIOSITÄT: **

(Kevin Recher, 4.1.2020)

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