Drei Wochen sind wir jetzt in den Staaten unterwegs, und umso mehr habe ich das Gefühl, dass die Suche nach Liebe in den USA eigentlich eine Suche nach Einsamkeit ist.

Im Süden von Utah wohnen heutzutage viele Rentner aus Kalifornien, weil die Immobilien in Kalifornien für Durchschnittsrenten zu teuer geworden und in Utah noch bezahlbar sind. Zudem ist das Wetter im Süden Utahs ungefähr so wie in Kalifornien.

Roos hat Rich auf Tinder gefunden. Roos war meine Freundin, aber kurz vor Beginn der Reise hatte ich sie verlassen, weil ich mich in eine andere Frau, verliebt hatte.
Foto: Roos van Ees

In der Stadt Washington im Bundesstaat Washington County in Utah lebt Rich. Er ist zwar noch kein Rentner, aber ein Erfinder, ungefähr vierzig Jahre alt, geschieden und in Geldnot. Er ist damit beschäftigt, ein Gerät auf den Markt zu bringen, das aus dem Penis auch einen Vibrator werden lässt. Ein vibrierender Penis sollte sich positiv auf das Sexualleben so mancher Leute auswirken und ihnen so zu einem glücklicheren Leben verhelfen.

Roos, mit der ich durch den Westen der USA ziehe, die auch die Fotos auf dieser Reise gemacht und diese auch geplant hat, hat Rich auf Tinder gefunden. Roos war meine Freundin, aber kurz vor Beginn dieser Tour durch Amerika hatte ich sie verlassen, weil ich mich zu heftig in eine andere Frau, die in mein Leben kam, verliebt hatte. Trotzdem wollten wir diese Reise, die schon geplant und vorbereitet war – was versteht man unter Liebe und Sex in Trumps USA – noch zusammen durchziehen. Dann stellte sich heraus, dass Roos schwanger war; das Leben weist oft Parallelen auf zu einem misslungenen Roman.

Begierde ist eine Medizin gegen Kummer

Um über mich hinwegzukommen – Begierde ist eine Medizin gegen Liebeskummer –, hat Roos sich auf Tinder gewagt und ist so auf Rich gestoßen. "Ich glaube", sagte sie, "dass du diesen Rich auch kennenlernen solltest, er ist wichtig für unsere Reise." So kommt es, dass wir jetzt in der Küche von Rich sitzen, in dessen Haus noch zwei junge Leute wohnen, da er sich das Haus nach seiner Scheidung alleine nicht mehr leisten kann. Roos hat für uns gekocht, Süßkartoffeln mit Sauerrahm und Salat.

Rich trägt ein kariertes Hemd und hat ein Bärtchen, seine Augen strahlen eine gewisse Wehmut aus. "Als meine Großmutter starb", erzählt Rich, "fanden wir bei ihr unheimlich viele Zeitschriften mit Artikeln über Kunstherzen. Und da dachte ich mir: ,Weshalb liegt die Zukunft denn noch in so weiter Ferne?‘" Er isst noch ein Stückchen Süßkartoffel und sagt dann zu Roos: "Du hast wirklich fantastisch gekocht." Dann fährt er fort: "Ich bin ein Transhumanist, ich glaube, dass die Technologie der Menschheit weiterhelfen kann. Dass Menschen dann zu halben Maschinen werden, betrachte ich nicht als Problem."

Ein vibrierender Penis

"Aber um nochmal auf den vibrierenden Penis zurückzukommen: Wie genau funktioniert der?", frage ich. "Wissenschafter können schon lange Orgasmen ohne Zutun der Geschlechtsorgane erzeugen – mit einem Orgasmatron, welches Signale an das Rückenmark abgibt. So können zum Beispiel Soldaten, die im Krieg ihre Genitalien verloren haben, doch noch einen Orgasmus bekommen. So soll auch der vibrierende Penis das Sexualleben der Menschen bereichern.

Das Problem ist nur, dass für diesen Eingriff keine medizinische Notwendigkeit vorliegt, weshalb die FDA (Food and Drug Administration) – die Organisation in Amerika, die für die Zulassung neuer Medikamente zuständig ist – diesen durch einen Arzt vorgenommenen Eingriff nicht gutheißen wird. Weshalb man mit diesem Anliegen in einen Tattoo-Shop ausweichen und sich dort das Gerät einbringen lassen sollte. Soll ich euch jetzt mein Labor in der Garage zeigen?"

Arno Grünberg: "Das Leben weist oft Parallelen auf zu einem misslungenen Roman."
Foto: Roos van Ees

Wir gehen in die Garage. "Was ist das?", frage ich und zeige auf ein Glas. "Das ist das Gehirn eines Pavians", sagt Rich. "Jeder verrückte Wissenschafter sollte irgendwo in seinem Labor ein Gehirn im Glas stehen haben." "Bist du eigentlich Vollzeiterfinder?", möchte ich noch wissen. "Tagsüber verdiene ich mein Geld mit der Möbeltischlerei", sagt Rich, "aber vielleicht bin ich ja bald der erste Mann mit einem vibrierenden Penis."

Drei Wochen sind wir jetzt unterwegs, und umso mehr habe ich das Gefühl, dass die Suche nach Liebe in den USA eine Suche nach Einsamkeit ist. Vielleicht birgt die Liebe im Prinzip eine gar nicht so grausame Wahrheit in sich: Wenn man die Einsamkeit des anderen teilt, minimiert sich automatisch die eigene.

Am Meer eine Pizza

Im Auto sagt Roos: "Du könntest aus deinem Penis auch einen Vibrator machen lassen. Das würde ich an deiner Stelle tun, denn dann kann ich dich in einer verbesserten Version an deine neue Freundin weiterreichen."

Unser nächster Stopp ist San Diego, Kalifornien. Wir sind hierhergekommen, um etwas über Illegalität und Liebe zu schreiben. Wir wollen den Friendship Park an der Grenze zu Mexiko besuchen, wo sich Menschen, auch Liebespaare, die durch die Grenze voneinander getrennt sind, treffen können. Diese Treffen finden jedoch allem Anschein nach nur am Wochenende statt.

Wir übernachten in einem ziemlich opulenten Hotel auf der Halbinsel Coronado, in der Nähe von San Diego, auch um die vielen interessanten, aber traurigen Motels zu vergessen. Im Hotel bekommt Roos ernste Bauchkrämpfe, sie steht gekrümmt am Bett und jammert wie ein verletztes Tier. Ich lege ihr die Hand auf den Kopf und frage: "Was kann ich für dich tun?", obwohl ich weiß, dass ich eigentlich nichts tun kann, besser gesagt, dass das Einzige, was ich tun kann, genau das ist, was ich nicht tun möchte, nämlich sie nicht verlassen. Bleiben.

Am späten Abend, als sich die Krämpfe gelindert hatten, haben wir am Meer eine Pizza gegessen. Ein paar Kilometer weiter südlich beginnt die Grenze, die einen an die Berliner Mauer vor 1989 erinnert. Obwohl es die Mauer zwischen Mexiko und den USA noch gar nicht gibt, jedenfalls nicht überall.

Während des Essens sagt Roos: "Lass die Leute ihr Vergnügen an dir haben. Hänge dir doch ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: ‚Ich gehöre allen und keinem.‘ Weil du jedem und keinem gehörst. Ich habe lang geglaubt, du wärst mein, aber jetzt weiß ich, dass dies ein Irrtum ist. Ich gönne dir jede Woche eine neue Inspiration, jede Woche eine neue Verliebtheit."

"Lass uns aufs Zimmer gehen, es wird langsam kalt", antworte ich. Im Bett sagt Roos: "Ich fürchte, ich werde das Kind verlieren." Ich sage: "Aber du wolltest doch unter diesen Umständen sowieso eine Abtreibung." Sie sagt: "Nein, du wolltest eine Abtreibung, ich hatte mich noch gar nicht dazu entschlossen."

Vielleicht ist es herzlos, jetzt über eine Abtreibung zu sprechen, aber ich berufe mich auf das Recht des Begehrens, auf die Worte des Schriftstellers J. M. Coetzee, der in seinem Roman Schande schrieb: "Meine Argumentation stützt sich auf das Recht zu begehren (...) auf den Gott, der selbst die kleinen Vögel erzittern lässt."

Jeder weint für sich

Ab jetzt führt uns die Reise nur noch in Richtung Norden, zur kanadischen Grenze. Im Hotel Ocean View, Santa Monica, Los Angeles, verliert Roos das Kind. An diesem Tag herrscht in Santa Monica dichter Nebel. Wir weinen zusammen, und dennoch fühlen wir, dass jeder für sich weint. Ich glaube an keinen Gott, der uns noch retten könnte; ich glaube, dass dies nur der Literatur gelingen kann.

Dem Vorhaben, in jedem Staat, den wir besuchen, Paartherapie zu machen, bleiben wir treu. In Palo Alto, in der Nähe von San Francisco, besuchen wir Pete und Ellyn, die gemeinsam eine Therapie machen. Sie sind Mitte fünfzig und verheiratet. "Es hört sich dramatisch an", sage ich, "aber es fühlte sich an, als müsse man sich für den Tod oder das Leben entscheiden. Wenn ich bei Roos bleiben würde, würde ich mich für den Tod entscheiden, was jedoch nicht nur an Roos liegt."

Vieles im Leben ist dramatisch, vor allem in Amerika; der wirkliche Tod und der Tod als Metapher liegen hier nahe beieinander. Dann geht es weiter nach Sacramento. "Dort werden wir Liebe finden", sage ich. (Arnon Grünberg, ALBUM, 5.1.2020)