Dass der Schlangenstern Ophiocoma wendtii in den warmen Gewässern der Karibik etwas Besonderes ist, haben Biologen schon vor über 30 Jahren erkannt: Der mit Seesternen verwandte Stachelhäuter mag kein helles Licht und wechselt zwischen Tag und Nach seine Farbe. Die spektakulärste Fähigkeit des etwa handgroßen Tieres haben Forscher aus Oxford und Berlin aber erst vor einigen Monaten entdeckt: Die gesamte Körperoberfläche von Ophiocoma wendtii ist offenbar von tausenden lichtempfindlichen Zellen bedeckt, die ihm räumliches Sehen ermöglichen.

Ophiocoma wendtii ist tagsüber rostrot, in der Nacht wird er beige.
Foto: Lauren Sumner-Rooney

Rätselhafter Mechanismus

Der genaue Mechanismus, wie diese Zellen gesteuert werden, blieb jedoch ein Rätsel, das nun von einem Team um Lauren Sumner-Rooney von der Universität Oxford und Esther Ullrich-Lüter vom Museum für Naturkunde Berlin zum Teil gelöst werden konnte. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass der Schlangenstern tatsächlich in der Lage ist, visuelle Reize zu erkennen, und dass seine charakteristische Farbänderung eine wichtige Rolle bei der Ermöglichung des Sehens spielen könnte.

Sumner-Rooney untersucht seit Jahren ungewöhnliche visuelle Systeme und arbeitet bezüglich Ophiocoma mit dem Museum für Naturkunde in Berlin zusammen. "Verhaltensexperimente lieferten uns nicht nur den ersten Beweis, dass diese Schlangensterne sehen können, sondern sind erst das zweite bekannte Beispiel für das Sehvermögen eines Tieres, dem Augen fehlen", sagt Sumner-Rooney. "Überraschend für uns war jedoch, dass die Reaktionen der Tiere die tagsüber erfolgreich getestet wurden, bei nächtlichen Tests keine positiven Ergebnisse zeigten. Die lichtempfindlichen Zellen schienen aber immer noch aktiv zu sein".

Tausende lichtempfindliche Zellen auf der Körperoberfläche machen Ophiocoma wendtii sehend.
Foto: Heather Stewart

Ohne Farbe kein Sehen

Das Forscherteam machte sich daran, die Ursache für diese dramatische Verhaltensänderung zu identifizieren und dabei mögliche Faktoren wie Motivationsverlust und zu geringe Lichtintensität, die das Sehen zu schwierig machen, auszuschließen. Unveränderbar war die charakteristische Farbveränderung von Ophiocoma wendtii, von einem tiefen Rot am Tag zu einem Beige in der Nacht. Zuvor hatte das Team gezeigt, dass ein eng verwandter Schlangenstern, Ophiocoma pumila, zwar ebenfalls Lichtsensoren hat, aber nicht die gleiche Farbveränderung aufweist. Seltsamerweise fiel diese blassere Art beim Sehtest durch.

Die Forschenden kombinierten Techniken und rekonstruierten digitale Modelle einzelner lichtempfindlicher Zellen der beiden Arten, mit und ohne die dunkle Tagespigmentierung von Ophiocoma wendtii. "Wir konnten nachweisen, dass das Pigment tagsüber das Licht, das die Sensoren erreicht, auf einen engeren Winkel beschränkt, der ihrer hypothetischen visuellen Auflösung entspricht", so Esther Ullrich-Lüter. "Ohne dieses Pigment – bei Ophiocoma pumila oder während der Nacht bei Ophiocoma wendtii – erreichte das Licht die Sensoren aus einem viel breiteren Winkel, was das räumliche Sehen unmöglich macht." (red, 5.1.2020)