Lothar Lockls politisches Engagement begann in der Hainburger Au und gipfelte in einem erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf.

Foto: Regine Hendrich

Lothar Lockl war und ist Kommunikationsprofi und Vordenker im Hintergrund der Grünen. Alexander Van der Bellen verhalf er als Wahlkampfmanager in die Hofburg. Jetzt ist die Partei, für die er jahrelang gearbeitet hat, auf dem Sprung in eine türkis-grüne Regierung. Im STANDARD-Interview erklärt Lockl deren Wandel, das grüne Bewusstsein und den "Charme", den das Regieren mit der ÖVP haben könnte.

STANDARD: Sie waren mit 16 Jahren in Hainburg bei den Au-Besetzern. Mit der Verhinderung dieses Großprojekts hat die grüne Idee – und letztlich die grüne Partei – ihren Anfang genommen. Was war Grün damals, und was ist es heute?

Lockl: Ich würde Zwentendorf nicht vergessen. Hier liegen die Wurzeln. Kritische Wissenschafter haben damals vor der Atomenergie gewarnt, und es ist zu einem ersten Schulterschluss mit der Zivilgesellschaft gekommen. In Hainburg hat sich dieser Grundkonflikt zugespitzt – wie achten wir auf die Umwelt, wie halten wir es mit der Bürgerbeteiligung, wird da einfach drübergefahren? Die Grünen haben danach gemeinsam mit NGOs den Kampf für Umweltschutz und gegen autoritäre Strukturen immer wieder auf die Agenda gesetzt. Wenn man den Bogen bis heute spannt, dann waren die Grünen echte Vorreiter im Hinblick darauf, Wirtschaftspolitik, Industriepolitik und Standortpolitik mit Umweltschutz und Klimapolitik zu verbinden. Klimaschutz ist ein Jahrhundertthema geworden. Das reicht von der Finanzwirtschaft bis zum Handel, von der Automobilindustrie bis zur Digitalisierung.

STANDARD: Die Grünen haben sich inhaltlich weitgehend durchgesetzt. Heute müssen sie es in der Regierung auch umsetzen. Das wird die schwerste Übung, oder?

Lockl: Ja und nein. Die Grünen waren anfangs eine sehr auf Widerstand ausgerichtete Bewegung, da ist es sehr viel ums Zuspitzen, ums Stoppsagen gegangen. Heute haben die Grünen in vielen Bundesländern und Regionen Regierungserfahrung. Zum Expertenwissen und zum Engagement sind pragmatische Erfahrungen und Gestaltungswille gekommen.

STANDARD: Was wären die drei wichtigsten Klimaprojekte einer türkis-grünen Regierung?

Lockl: Unabhängig davon, was ÖVP und Grüne nun konkret vorgelegt haben, wäre es gut, wenn ein nationaler Kraftakt gelänge, etwas, das für Aufbruchstimmung sorgt. Viele Menschen wollen etwas gegen die negativen Folgen der Klimakrise und die Erhitzung unserer Erde tun. Darunter auch viele Unternehmen, Bürgermeister, regionale Initiativen. Es gibt zahlreiche Weltmarktführer aus Österreich, die man in der breiten Öffentlichkeit gar nicht kennt. Dazu kommen tolle Klimamodellregionen, Schulen und Kindergärten, die mit erneuerbaren Energien versorgt werden, Tourismusbetriebe, die auf Nachhaltigkeit setzen, und vieles mehr. Der Wandel passiert schon, nur war die nationale Politik lange Zeit hintennach. Österreich war einmal Vorreiter, etwa bei Technologien zur Säuberung der Seen und Flüsse, aber wir haben uns dann ausgeruht, die internationale Entwicklung verschlafen. Erfolg macht träge, Trägheit kostet Erfolg.

STANDARD: War das der zu wenig beachtete Strukturwandel in Richtung grünes Bewusstsein?

Lockl: Ja, davon bin ich überzeugt. Nehmen Sie nur die Start-ups, viele davon sind heute erfolgreiche Klein- und Mittelbetriebe. Die hat die klassische Sozialpartnerschaft lange nicht vertreten, und heute ist bei Wirtschaftskammerwahlen dieser neue Wirtschaftssektor stark grün.

STANDARD: Bei der Präsidentschaftswahl, bei der Sie Alexander Van der Bellens Wahlkampfleiter waren, war doch ein großer Teil des Erfolgs auf zivilgesellschaftliche Initiativen zurückzuführen.

Lockl: Die Zeit der alten Parteimaschinerie-Wahlkämpfe, wo in erster Linie die eigenen Funktionäre angesprochen werden, ist vorbei. Wir haben den VdB-Wahlkampf bewusst als Andock- und Mitmachplattform konzipiert. Dieser Spirit, dass man sich mit jenen vernetzt, die aktiv sein wollen, dass man zuhört, dass man auf Augenhöhe kommuniziert, das ist Teil der damaligen Erfolgsgeschichte. Wenn ich mir heute Werner Kogler anschaue, dann erkenne ich viele Elemente dieses modernen Politikverständnisses.

STANDARD: Klingt wunderbar. Die Grünen werden aber noch immer als verkappte Kummerln, Verbotspartei, verbissene Feministinnen, Willkommensklatscher etc. denunziert. Wie soll man damit umgehen?

Lockl: Vorbehalte werden abgebaut, auch in der älteren Generation. Aber ja, es stimmt, Pionier zu sein ist nicht immer angenehm. Österreich ist ein großartiges Land, aber wir neigen oft dazu, zu sehr die Probleme zu sehen und nicht die Chancen. Ich glaube, im Großen und Ganzen ist das eine sehr professionelle Partei geworden, die sehr eng verzahnt ist mit der Zivilgesellschaft, mit vielen Unternehmen, mit der Wissenschaft, eine Partei, die international denkt und gleichzeitig bürgernäher geworden ist.

STANDARD: Sind die Grünen einer Partei der reinen Machttechnik wie den Türkisen gewachsen?

Lockl: (lange Nachdenkpause) Das ist eine gute Frage. Die Grünen stehen für einen anderen Stil. Ich weiß nicht, wie das in einer Regierung wird, aber das einmal auszuprobieren – wie kann man an Dinge anders herangehen usw. –, das hat schon Charme. Österreich kann eine Synthese von Umwelt-und Wirtschaftspolitik herstellen. Soll uns nichts Schlimmeres passieren, als dass Österreich da wieder eine Vorreiterrolle hat und grüne Technologien exportieren kann. Klar gibt es bei neuen Dingen immer Risiken, aber versuchen sollte man es. (Hans Rauscher, 4.1.2020)