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Recep Tayyip Erdoğan ließ sich seine Pläne zum Machtausbau im östlichen Mittelmeer absegnen.
Foto: AP / Turkish Presidency

Die Eskalation zwischen der Türkei auf der einen und einer Allianz aus Griechenland, Israel und Zypern auf der anderen Seite hat eine neue Stufe erreicht: Das türkische Parlament stimmte am Donnerstagabend für eine Truppenentsendung nach Libyen – just zum selben Zeitpunkt, als in Athen die drei Regierungs- und Staatschefs Kyriakos Mitso takis, Benjamin Netanjahu und Nicos Anastasiades feierlich den Bau einer Gas-Pipeline (East-Med) durchs östliche Mittelmeer besiegelten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte auf den Termin gedrängt, um dem Trio klarzumachen, dass die Türkei "nicht tatenlos" zusehen werde, wie sie bei der Ausbeutung der Gasvorkommen im Mittelmeer "übergangen wird".

Entsprechend verurteilten die drei Chefs in Athen den Beschluss zur Truppenentsendung nach Libyen "aufs Schärfste". Im östlichen Mittelmeer konzentriert man sich nun auf den 7. und 8. Jänner, wenn der Gaspoker einen neuen Höhepunkt erreichen wird.

Trump und Putin

Zuerst, am kommenden Dienstag, trifft der griechische Regierungschef Mitsotakis in Washington US-Präsident Donald Trump, und am Mittwoch wird der russische Präsident Wladimir Putin in Ankara erwartet. Während Trump klar die Allianz von Griechenland, Israel und Zypern unterstützt – wobei unklar ist, wie weit sein Engagement im Konfliktfall gehen würde –, stehen Erdoğan und Putin in Libyen auf unterschiedlichen Seiten der Konfliktparteien.

Dabei ist Libyen für Erdoğan vor allem eine neue Trumpfkarte im Gaspoker, wenn auch die türkische Regierung schon länger die Regierung von Fayez al-Serraj in Tripolis und die islamischen Milizen aus Misrata, die Serraj an der Macht halten, unterstützt. Wichtig ist Serraj für Erdoğan als Vertragspartner für ein Seerechtsabkommen zwischen beiden Ländern, das Ende November abgeschlossen wurde und der Türkei und Libyen eine exklusive Wirtschaftszone einmal quer über das Mittelmeer sichern soll.

Diese Wirtschaftszone durchkreuzt die Ansprüche von Griechenland, Israel und Zypern und würde die Verlegung der geplanten East-Med-Pipeline von Zypern nach Kreta unmöglich machen.

Sorge auch in Griechenland

Zwar ist die Rechtsgrundlage für dieses Abkommen denkbar umstritten – es beruft sich auf einen jeweils weitreichenden Festlandsockel der Türkei und Libyens und ignoriert die Ansprüche von Kreta und Zypern –, würde aber immerhin langwierige Verhandlungen vor internationalen Gerichten erzwingen, bevor Griechenland, Israel und Zypern ihre Gaspipeline bauen könnten. Im Extremfall, den die griechische Presse bereits seit Tagen beschwört, könnte die Durchsetzung der Interessen im Mittelmeer sogar zu einem bewaffneten Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland führen.

Serraj ist allerdings für Erdoğan ein denkbar schwacher Partner. Sein Gegner, General Khalifa Haftar, hat mit seinen Truppen Tripolis eingekreist und versucht die Hauptstadt zu erobern. Um Serraj im Amt zu halten, erhöht Erdoğan nun den Einsatz.

Russische Interessen

Ob die Türkei nun tatsächlich Truppen nach Libyen schickt, hängt wiederum entscheidend von Putin ab. Denn der russische Präsident stützt bisher Haftar, und Er doğan kann und will sich keinen offenen Schlagabtausch mit Moskau leisten. Bisher sind es nur russische Söldner, die in Libyen an der Seite Haftars kämpfen. Türkische Militärexperten gehen davon aus, dass rund 2000 türkische Elitesoldaten ausreichen würden, um Haftar zurückzuschlagen.

Würde dann Putin auch seinen Einsatz erhöhen? Putin will Gas an die Türkei und an Europa verkaufen; deshalb hat er weder ein Inter esse daran, dass die Türkei selbst Gas fördert, noch will er die East-Med nach Europa. Da die Türkei aber im Moment das schlechtere Blatt im Gaspoker hat, könnte Putin geneigt sein, sich mit Erdoğan auf einen Kompromiss in Libyen zu einigen, der den Konflikt in der Schwebe hält, Erdoğan aber so weit stärkt, dass er den griechisch-israelischen Ambitionen weiter Paroli bieten kann.

Wie schon in Syrien hängt wieder einmal die weitere Entwicklung in einem auch für Europa entscheidenden Konflikt viel mehr von Putin als von der EU oder den USA ab. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 3.1.2020)