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Wer gibt künftig bei der britischen Labour den Ton ? Wird es Rebecca Long-Bailey sein, oder ....
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Braucht die schwer geschlagene britische Labour Party einen Neuanfang oder Kontinuität mit dem Kurs des bisherigen Vorsitzenden Jeremy Corbyn? Der parteiinterne Streit darüber tobt in aller Härte. Am Montag will der Parteivorstand die Regeln für den Kampf um den Chefposten festlegen; die Urwahl dürfte bis Mitte März abgeschlossen sein.

Schon vorab wird über das Verfahren gestritten. Dass 2015 nicht nur Gewerkschaftsmitglieder, sondern auch Sympathisanten gegen Zahlung einer eher symbolischen Summe mitstimmen durften, ebnete damals der Galionsfigur der Linken den Weg. Inzwischen hat Corbyn den Vorstand mit eigenen Leuten besetzt und Labour stark nach links gezogen.

"Diesmal geht es um die Seele der Partei", glaubt ein Insider, er fürchtet sich vor schmutzigen Tricks der Führung zugunsten eines Corbyn-Kandidaten.

Wer das aber werden soll? Corbyns Vertrauter Ian Lavery, ein früherer Bergarbeiter, hat sich diese Woche selbst ins Spiel gebracht. Viel höher wird aber die wirtschaftspolitische Sprecherin Rebecca Long-Bailey, politisches Ziehkind des Schattenfinanzministers John McDonnell, gehandelt. Im linksliberalen Guardian schrieb die im Parteijargon zu RLB abgekürzte Abgeordnete von "progressivem Patriotismus", mit dem sie davongelaufene Wählerschichten zurückgewinnen wolle.

Noch keine Entscheidung

Im Parteijargon stellt dies das Eingeständnis dar, dass Corbyn gerade bei Arbeitern und Angestellten als unpatriotischer Freund von Terroristen und Monarchie-Skeptikern gilt. Hingegen seien viele seiner teuren Politikideen gut angekommen.

Wie die meisten anderen hat sich auch Long-Bailey noch nicht eindeutig zu ihrer Kandidatur bekannt. In Labour-Kreisen wird der 40-jährigen Anwältin nachgesagt, sie sei sich ihrer Sache keineswegs sicher. Stets ist von einer Doppelkandidatur mit der populären Bildungsexpertin Angela Rayner die Rede; ob Rayner aber ihre politische Zukunft an ihre WG-Kollegin – die beiden teilen sich eine Wohnung in Parlamentsnähe – binden will, blieb bisher offen.

Eine gewisse Zögerlichkeit lässt sich leicht nachvollziehen: Auf die Neuen oder den Neuen wartet ein Scherbenhaufen. Im Norden und in der Mitte Englands haben die Tories unter Premierminister Boris Johnson die "rote Wand" durchbrochen. Hohen Symbolwert erhielt in der Wahlnacht der Bezirk Sedgefield in der Grafschaft Durham. 24 Jahre lang hatten die Bürger dort Tony Blair als ihren Abgeordneten nach London geschickt. Diesmal entsandten die zum EU-Austritt entschlossenen Sedgefielder zum ersten Mal seit 1931 einen Konservativen.

Kopfschütteln über Corbyn

Von 59 schottischen Wahlkreisen wird nur noch einer durch Labour vertreten; und aus Englands prosperierendem Süden außerhalb der Metropolen Bristol und London gehört lediglich ein halbes Dutzend Abgeordnete Labour an. Deren Gesamtzahl ist so niedrig wie seit der Wahl 1935 nicht mehr. Dass Corbyn in seiner Neujahrsbotschaft 2019 als "besonderes Jahr für unser Land und die Arbeiterbewegung" kennzeichnete, rief überwiegend Kopfschütteln hervor. Die Funktion seiner Partei beschrieb er so: "Wir stellen den Widerstand gegen Boris Johnson dar."

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... doch Keir Starmer?
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Eine Umfrage unter knapp 1000 Parteimitgliedern ergab aktuell eine klare Mehrheit für Brexit-Sprecher Keir Starmer. Der frühere Leiter der Staatsanwaltschaft will am Sonntag seine Kandidatur bekanntgeben. Die nötige formelle Unterstützung habe er bereits in der Tasche, heißt es im Umfeld des 57-Jährigen. Ausdrücklich bekennt sich der Nordlondoner Wahlkreisnachbar von Corbyn zum jüngsten Wahlprogramm; dieses sei lediglich "schlecht präsentiert" worden.

Ambitionen auf den Chefposten haben offiziell bisher nur die au ßenpolitische Sprecherin Emily Thornberry sowie der Ex-Soldat Clive Lewis angemeldet. Als Frau beziehungsweise als Angehöriger einer ethnischen Minderheit würden sie den Neuanfang darstellen, den viele fordern. Ihre Chancen gelten aber als ebenso gering wie die der Parteirechten Jessica Phillips. (Sebastian Borger aus London, 4.1.2020)