Schleudersitzmechanismus für den grünen Co-Piloten: Sebastian Kurz und Werner Kogler bei der Präsentation des Regierungsprogramms.

Foto: Matthias Cremer

Die grünen Verhandler haben sich dazu entschlossen, trotz großer Zumutungen seitens der türkisen ÖVP dem Regierungspakt zuzustimmen. Man wollte nicht den "rot-schwarzen Stillstand" oder die "türkis-blaue Schreckensregierung" riskieren.

Verständlich. Aber die grüne Führung hat offensichtlich eines nicht bedacht. Im Regierungsabkommen gibt es eine von Türkis eingebaute Sprengfalle. Im Kapitel Migration ist ein eigener Abschnitt einem detaillierten Mechanismus gewidmet, was passiert, wenn es zu einer neuen Flüchtlingskrise kommt. Der Passus trägt die Überschrift "Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl". Hier ist der Absprung der Türkisen zu den Blauen bei gleichzeitiger grüner Hilflosigkeit eingebaut.

Türkise Sprengfalle

Wenn es zu einer neuen Flüchtlingskrise kommt und (nach Meinung von Türkis) einschneidende, vielleicht humanitär oder verfassungsrechtlich fragwürdige Maßnahmen gesetzt werden sollen, dann ist "bei Gesetzesinitiativen und Verordnungen grundsätzlich das Einvernehmen im Rahmen des koalitionären Koordinierungsausschusses herzustellen". Gibt es da kein Einvernehmen, ist zunächst der Koalitionsausschuss zu befassen. Als nächste Dringlichkeitsmaßnahme ein Gespräch Kanzler/Vizekanzler. Kommt auch dabei nichts heraus, sind die Abmachungen im Koalitionspakt plötzlich in diesem einen, speziellen Punkt hinfällig. Türkis ist frei, sich wen anderen zu suchen.

Wenn dieses Prozedere eingehalten wurde und ein Partner Notstandsmaßnahmen für notwendig hält, der andere jedoch nicht, "kann im Rahmen des weiteren parlamentarischen Prozesses dem Gesetzesvorhaben zugestimmt werden, auch wenn es ein unterschiedliches Abstimmungsverhalten der beiden Koalitionspartner gibt".

Übersetzung aus der türkisen Geheimsprache: Wenn sich die Grünen störrisch zeigen und irgendwelche dubiosen Maßnahmen zur "Bewältigung" einer neuen Flüchtlingswelle nicht mittragen wollen, können sich Kurz & Co eine andere parlamentarische Mehrheit dafür suchen, und das wird wohl unweigerlich die FPÖ sein.

Koalitionsfreier Raum

Umgekehrt können die Grünen mit diesem "koalitionsfreien Raum" nichts anfangen, weil es aus Grün, Rot und Neos keine Mehrheit gibt. Es bleibt ihnen dann nur übrig, entweder eine (weitere) autoritäre und populistische Maßnahme gegen Flüchtlinge mitzutragen oder die Koalition platzen zu lassen.

In diesem Fall wird die FPÖ mit Begeisterung in eine Koalition mit Sebastian Kurz einsteigen (oder vielleicht eine Minderheitsregierung unterstützen). Das könnte früher kommen, als man glaubt. Seit einiger Zeit landen wieder vermehrt Flüchtlinge aus der Türkei auf den griechischen Inseln. Der türkische Autokrat Tayyip Erdogan hat eine neue Flüchtlingswelle aus Syrien im Land und versucht sich Luft zu verschaffen.

Sebastian Kurz rechnet mit einer neuen, wenn auch nicht so großen Flüchtlingswelle und will im Fall des Falles keine humanitären Gefühlsdusler und Bedenkenträger an Bord haben. Deshalb der Schleudersitzmechanismus für den grünen Co-Piloten. Warum die grüne Führung ihrem eigenen Ausbootungsmechanismus zugestimmt hat, ist ein Rätsel. (Hans Rauscher, 3.1.2020)