"Ich hoffe, dass die Konzepte zur Gegenfinanzierung bald nachgeliefert werden", sagt Schratzenstaller zum Regierungsprogramm.

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Am Donnerstag wurde das Programm für eine türkis-grüne Wirtschaftspolitik der Öffentlichkeit präsentiert. Bei der Senkung der Körperschaftssteuer und der Einkommensteuer werden die alten Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Regierung fortgeschrieben. Neu ist das Bekenntnis zu einer "ökosozialen Steuerreform". Die Ökonomin Margit Schratzenstaller begrüßt dieses Ziel, findet aber nur wenige konkrete Aussagen zu Ökosteuern im Koalitionspapier. Bei der aufgeschobenen CO2-Steuer fordert sie einen Preispfad und Konzepte zur Kompensation ärmerer Menschen. Auch die genderspezifischen Auswirkungen der Wirtschaftspolitik müssten stärker berücksichtigt werden, meint Schratzenstaller.

Die Wirtschaftswissenschafterin Margit Schratzenstaller analysiert im STANDARD-Gespräch die türkis-grünen Pläne zur Steuerreform.
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STANDARD: Sie fordern seit vielen Jahren eine Ökologisierung des Steuersystems in Österreich – was sagen Sie zum türkis-grünen Regierungsprogramm, in dem dieses Ziel auch ausgegeben wird?

Schratzenstaller: Bei den Zielen an sich stimmt die Richtung. Österreich soll schon bis 2040 klimaneutral werden, es werden Infrastrukturinvestitionen im Umweltbereich angedacht, das Steuer- und Abgabensystem soll bei umweltschädlichem Verhalten für mehr Kostenwahrheit sorgen. Und das alles bei einem ausgeglichenen Budget mit dem Ziel einer Reduktion der Staatsschuldenquote auf 60 Prozent entsprechend den Maastricht-Vorgaben der EU. Auf dieser Ebene ist der Plan zu begrüßen.

STANDARD: Aber?

Schratzenstaller: Zielsetzungen müssen auch konkretisiert werden, was die Mittel betrifft. Das fehlt allerdings im Programm über weite Strecken. Mit Ausnahme der Erhöhung der Flugticketabgabe auf zwölf Euro pro Ticket ist beim Thema Ökosteuern noch nichts spezifiziert. Es wird nur vage gesagt, in welchen Bereichen ökologisiert werden soll.

Die Grünen konnte viele Punkte in das Klimaprogramm einbringen, andere bleiben vage.
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STANDARD: Auch beim grünen Prestigeprojekt einer CO2-Bepreisung ist noch nichts fix. Es ist die Rede von einer Taskforce, die bis 2022 über die Ausgestaltung verhandeln soll.

Schratzenstaller: Das hat meines Erachtens zwei Gründe: Es wird erstens auf europäischer Ebene derzeit im Rahmen des Europäischen Green Deal eine Reform des Emissionshandels diskutiert. Das österreichische Modell sollte mit der EU-Lösung abgestimmt sein und sich mit dieser nicht überschneiden. Daher wird das ein komplexes Unterfangen, zumal im Regierungsprogramm eine aufkommensneutrale Ausgestaltung der CO2-Bepreisung mit Kompensationsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen angekündigt wird, die auch noch ausgearbeitet werden müssen. Zum anderen ist es wohl auf den Druck der ÖVP zurückzuführen, die stets angekündigt hat, dass sie keine neuen Steuern will. Es liegt durchaus im Interesse der ÖVP, hier unkonkret zu bleiben.

STANDARD: Was erwarten sie sich von der Umsetzung?

Schratzenstaller: Weil die Pläne so unkonkret sind, fällt eine Bewertung natürlich schwer. Was ich besonders vermisse, ist ein Zielpfad für die CO2-Preisentwicklung. Da hätte man sich an das deutsche Modell anlehnen können, bei dem es einen mittelfristigen spezifizierten Pfad gibt, mit einem Einstiegspreis von 25 Euro pro Tonne CO2-Emissionen, der bis 2025 auf 55 Euro ansteigt. So hätte man eine konkrete Vorgabe, der die Regelung ab 2022 genügen müsste.

STANDARD: Von der neuen Koalition heißt es, dass die Steuerreform "ökosozial" sein soll. Ohne Kompensationsmaßnahmen werden ärmere Menschen durch ökologische Verbrauchssteuern ja überproportional belastet. Sehen Sie im Programm Anzeichen dafür, dass dieser Effekt sozial abgefedert wird?

Schratzenstaller: Präzise Maßnahmen kann ich in diesem Bereich nicht herauslesen. Die angestrebte Senkung der Einkommensteuer in den ersten drei Tarifstufen nützt vor allem dem Mittelstand, denn Menschen mit niedrigen Einkommen zahlen ohnehin keine Einkommensteuer. Beim Familienbonus hat man allerdings durch die Anhebung des Kindermehrbetrags von 250 auf 350 Euro auch einen Vorteil für Geringverdiener paktiert. Wenn es zu einer CO2-Bepreisung kommt, werden allerdings zusätzliche soziale Kompensationsmaßnahmen nötig sein. Zum Beispiel Transfers für ärmere Haushalte für Wärmedämmung und andere Energiesparmaßnahmen.

STANDARD: Während die Ökologisierung noch Fragen offen lässt, ist das türkis-grüne Papier bei der Steuerreduktion für Unternehmen präzise. Die Körperschaftsteuer soll etwa von 25 auf 21 Prozent gesenkt werden. Wie bewerten Sie das?

Schratzenstaller: Aus politökonomischer Sicht ist nachvollziehbar, dass Parteien die Interessen aller sozialen Gruppen bedienen wollen, die ihnen wichtig sind. Die Senkung der Einkommensteuer entlastet die unselbständig Beschäftigten, die KÖSt-Senkung eben die als Kapitalgesellschaften organisierten Unternehmen. Sachlich erscheint mir diese doch beträchtliche KÖSt-Entlastung allerdings nicht vordringlich. Im Vergleich mit den alten EU-Ländern liegt Österreich aktuell mit 25 Prozent im Mittelfeld, wir sind also aus Standortgründen hier nicht unter Zugzwang. Wenn man den Standort stärken will, wären Investitionen in Forschung und Entwicklung oder auch eine Senkung der Lohnnebenkosten zielführender.

Noch bleiben viele Fragen der Finanzierung im Regierungsprogramm offen, sagt Schratzenstaller.
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STANDARD: Die Regierung in spe verschreibt sich einem ausgeglichenen Budget. Die geplanten Steuersenkungen bei Arbeitnehmern und Unternehmen kosten den Staat mindestens 5,7 Milliarden im Jahr. Auch für das günstige Öffi-Ticket und die Verkehrsmilliarde braucht es Geld. Wie wird sich das ausgehen?

Schratzenstaller: Die Antwort auf diese Frage fehlt auch mir im Regierungspapier. Es gibt leider kein Finanztableau mit den budgetären Auswirkungen aller geplanten Maßnahmen. Ich hoffe, dass die Konzepte zur Gegenfinanzierung bald nachgeliefert werden. Vermutlich haben sich die Parteien in diesem Punkt noch nicht geeinigt und es daher offen gelassen. Zwar besteht ein gewisser Budgetspielraum, weil für die kommenden Jahre Überschüsse prognostiziert werden. Um die Regierungsprojekte jedoch im Vollausbau zu finanzieren, wird man an einer soliden Gegenfinanzierung nicht vorbeikommen.

STANDARD: Sie sind eine Verfechterin von "Gender Budgeting". Was halten Sie von der avisierten Umsatzsteuersenkung für Damenhygieneartikel?

Schratzenstaller: Das liegt gerade im Trend, auch in Deutschland wurde zu Jahresbeginn die sogenannte Tamponsteuer gesenkt. Ich halte das aber nur für einen symbolischen Akt und ökonomisch für wenig notwendig. Es gibt wichtigere Bereiche, um etwas an der Benachteiligung von Frauen im Steuersystem zu ändern. Zum Beispiel die steuerliche Begünstigung von Überstunden, die vorwiegend Männern zu Gute kommt und eine ungleiche Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit unterstützt. Auch die Abgabenentlastung niedriger Einkommen würde Frauen helfen. An einer umfassenden Berücksichtigung der genderspezifischen Effekte von Steuer- und Wirtschaftspolitik mangelt es jedoch im Programm. (Theo Anders, 4.1. 2020)