"Österreich ist ein wunderbares Land" – so beginnt die Präambel zum Koalitionsvertrag der neuen Regierung.

Frank Robert

Bevor sich ein altes Jahr in den Abgrund verzieht, zeigt es die alte Fratze und schubst Menschen in sozial komplexe Situationen aller Art. Man umarmt Kollegen, die man nicht umarmen will, schreibt Gruß-E-Mails an Verwandte, deren Namen man erst googeln muss. Mindestens zwei Absätze sollen es werden, und am Ende steht da nur: Frohe Weihnachten, gutes Jahr. Andere schwitzen über Regierungsprogrammen. Als sich die türkis-grünen Verhandler nach dem letzten Kapitel endlich schlafen legen wollten, da hieß es: Hiergeblieben, Präambel.

Woran sich niemand erinnern soll

Die Präambel eines Regierungsübereinkommens ist seit jeher ein Text gewordenes Mauerblümchen. Sollte sich zwei Tage später jemand entsinnen, was drinsteht, dann ist etwas schiefgelaufen. Sie ist eine Geste der Gemeinsamkeit, mehr nicht. Im Fall von Türkis und Grün ist es eine opulente Geste. Vielleicht war es der verhandlungsbedingte Schlafmangel, manche werden davon aufgekratzt und präambeln sich in Ekstase. Das Ergebnis sind dann Sätze wie: Österreich ist ein wunderbares Land. Geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit. Abgesehen davon, dass Österreichs Landschaft eher von brutaler Bodenversiegelung geprägt ist, worunter Natur und Schönheit gleichermaßen stöhnen, kann man davon ausgehen, dass die Vielfalt Frucht grüner Willenskraft war. Die Türkisen haben damit aber auch kein Problem, zumal sich die Diversität hier nicht auf Menschen bezieht, sondern aufs Landschaftliche: dort ein Stausee, da ein Maisfeld, kann man lassen. Das ist das Schöne am Semantischen, es ist semantisch. Und immer auch erratisch.

Gelegen im Herzen Europas sei Österreich, heißt es weiter. Auch das ist dankbar, weil es die Europa-Fans ebenso versöhnt wie die Grenzzaun-Verliebten, denn wenn Wien im Herzen liegt, dann ist Brüssel die Schulter und die tut allen einmal weh. Man stellt sie dann ruhig, das Herz schlägt ja munter weiter.

Kleinster gemeinsamer Nenner

Dass sich der Präambeltext eher wie eine noch schwülstigere Schwester der Bundeshymne liest, mag daran liegen, dass man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt hat: Wir regieren ein Land, und dieses heißt Österreich. In den Setzkasten der gemainstreamten Vorstellungskraft können dann beide Partner ihre liebsten Wachsfigürchen stellen. Dann lobt die ÖVP Fleiß und Engagement der Bürger und wenn im selben Satz auch noch die demokratische Kultur gepriesen wird, dann lacht das grüne Gewissen, ohne dass zugleich das türkise Gesicht verlorengeht, zumal das Dollfuß-Bild eh schon einen anderen Ehrenplatz bekommen hat. Schließlich seien es die großen Herausforderungen der Geschichte, die neue Koalitionen schmieden, das sei schon seit 1945 so. Als wären es nicht ausländische Armeen gewesen, die uns befreiten, und als wäre es ein historischer Zufall gewesen, der die alte Koalition sprengte, und nicht ein besoffener Ex-Vizekanzler vor versteckten Kameras.

Apropos. Der Titel des alten türkis-blauen Koalitionspapiers lautete Zusammen. Denselben Fehler wollte man nicht zweimal machen. Jetzt heißt es: Aus Verantwortung. Und die kann man sich ja bekanntlich mit wechselnden Partnern teilen. (Maria Sterkl, 4.1.2020)