Jutta Kleinschmidt kommt nur noch selten dazu, selbst bei Rallyes im Sand zu wühlen – wie 2016 bei der Abu Dhabi Desert Challenge, wo sie in einem Buggy siegte.

Foto: Jutta Kleinschmidt

"Wenn die Rallye wirklich einen Wandel mitbewirken kann, dann wäre das positiv."

Foto: Jutta Kleinschmidt

Im Jahr 2001 gewann Jutta Kleinschmidt als erste und bisher einzige Frau mit einem Auto eine Gesamtwertung der Rallye Dakar. 2007 fuhr sie die härteste Rallye der Welt zum letzten Mal. Nun ist die Deutsche im Weltmotorsportverband Fia Präsidentin der Cross-Country-Rallye-Kommission und damit verantwortlich für deren Weltcups. Außerdem sitzt Kleinschmidt in der Fia-Kommission für Frauen im Motorsport.

STANDARD: Wie hat sich die Rallyewelt seit Ihrem Sieg verändert?

Kleinschmidt: Wir haben nicht mehr so viele Werksteams wie früher, die Sponsoren sind viel schwieriger zu bekommen. Auch weil viele Hersteller in Richtung umweltfreundliche Technologien unterwegs sind. Früher waren wir für sie interessant, weil sie bei unseren Veranstaltungen neue Technologien ausprobiert und entwickelt haben. Da wollen wir wieder hin. Man kann das ja an der Formel E sehen – da sind alle Hersteller involviert.

STANDARD: Angesichts der Reichweiten dürfte eine E-Marathonrallye relativ schwierig werden.

Kleinschmidt: Das stimmt nicht ganz. Batterieelektrisch wird es schwierig, man kann aber auch Brennstoffzellen elektrisch fahren: mit einem Elektromotor und einer Brennstoffzelle, die aus Wasserstoff elektrische Energie erzeugt. Das ist für unseren Sport perfekt, weil das Auto dann nicht so schwer werden muss – wenn wir unsere langen Distanzen mit einem rein batteriebetriebenen E-Auto fahren wollen, bräuchten wir heute circa fünf Tonnen Batterie. Aber mit etwa 20 Kilo Wasserstoff könnte man durchaus Cross-Country-Distanzen fahren. Es wäre auch sinnvoll, etwas mit Hybriden zu machen, vor allem in unserer Truck-Kategorie. Im Moment haben wir noch kein Reglement dafür, darüber werden wir uns heuer Gedanken machen.

STANDARD: Sehen Sie da im Cross-Country-Rallyesport einen Willen dafür? In der Formel 1 gibt es ja viele, die sagen: Niemals E!

Kleinschmidt: Ja, weil wir das Glück haben, nicht alles gleich machen zu müssen. Die Formel 1 hat einen Nachteil: Es gibt keine unterschiedlichen Kategorien. Wir haben sowieso schon Motorräder, Lkws, Side-by-Sides, Prototypen, homologierte Serienfahrzeuge – für uns ist es einfacher, eine Kategorie für umweltfreundliche Technologie zu addieren. Genau das wollen wir 2020 machen. Wir wollen eine Plattform bieten, um diese Technologien auszuprobieren – und zwar viel realitätsgetreuer als in vielen anderen Sportarten. In der Wüste kann ich keine Schnelllader aufstellen, die dann 50 Fahrzeuge aufladen. Aber Wasserstoff kann man schneller tanken als Strom, und er kann transportiert werden.

STANDARD: Das wird eine Vorlaufzeit brauchen.

Kleinschmidt: Absolut. Aber wir haben schon die ersten Teams, die Interesse haben, und ein Team, das ein wasserstoffelektrisches Auto bauen will. Das werden vielleicht nicht gleich die Hersteller sein – das war ja bei der Formel E auch so. Das waren am Anfang auch Privatteams, und dann sind alle Hersteller aufgesprungen. Aber wir müssen auch anfangen.

STANDARD: Wie ist die Rückkopplung zwischen den Dakar-Veranstaltern und dem Worldcup?

Kleinschmidt: Wir haben momentan einen Worldcup für Rallyes und einen für Bajas (Dreitagesrennen, Anm.). 2021 planen wir, aus dem Rallye-Worldcup eine Weltmeisterschaft zu machen. Die Dakar Rallye ist ein Kandidat für diese neue Meisterschaft. Deshalb fliege ich jetzt nach Saudi-Arabien, um mir das vor Ort anzuschauen: Dürfen Frauen da fahren, ohne Probleme zu kriegen? Können wir Frauen rumlaufen, ohne uns von oben bis unten einzuwickeln? Wenn wir dort internationalen Motorsport machen, dann wollen wir natürlich, dass sich jeder so bewegen kann wie bei anderen internationalen Rennen auch. Wenn die Rallye wirklich einen Wandel mitbewirken kann, dass auch Frauen mehr Rechte bekommen, dass Menschenrechte mehr geachtet werden, dann wäre das positiv. Das kann man erst einschätzen, wenn die Rallye läuft.

STANDARD: Die wenigsten Menschen wissen, dass es außer der Dakar den Worldcup mit fünf solcher Rennen gibt. Wie wollen Sie das ändern?

Kleinschmidt: Indem wir ab 2021 einen Promoter haben. Jetzt haben wir niemanden, der diese Sportart vermarktet. Die Dakar vermarktet sich selbst sehr gut, die anderen leider nicht so professionell. Deshalb braucht es einen Promoter, der das in die Hand nimmt. Wir brauchen eine gemeinsame Website, eine einheitliche Plattform für Social Media, mehr Möglichkeiten, uns live zu verfolgen. Manchmal dauert es Tage, bis man Ergebnisse kriegt.

STANDARD: Die Dakar hat als Zugpferd für den Sport an Bedeutung verloren. Warum?

Kleinschmidt: Geld spielt hierbei eine entscheidende Rolle, und daher werden die Länder bevorzugt, die am meisten bezahlen können. Südamerika ist ein toller Kontinent, keine Frage – aber es war von der Zeit her schwierig, das in Europa zu verfolgen. Die Nenngelder sind sehr hoch, Teilnehmer haben Probleme, die nötigen Sponsoren zu finden, um solche Beträge bezahlen zu können. Also ist das Interesse gesunken, und es gab immer weniger Teilnehmer. Die Dakar Rallye hatte früher circa 1000 Teilnehmer, jetzt sind es vielleicht noch 30 Prozent davon. Außerdem sind weniger Werksteams am Start – die bringen viele Journalisten und PR.

STANDARD: Es gibt zwar Frauen, die mitfahren, aber Siegkandidatin ist heuer keine dabei.

Kleinschmidt: Ja, das sieht im Moment so aus. Wir hoffen, dass sich das irgendwann ändert.

STANDARD: Ist es schwieriger geworden, als Frau Erfolg zu haben?

Kleinschmidt: Ich glaube, dass es im Moment sogar einfacher ist, weil man nicht so viel Konkurrenz hat wie früher. Wenn man das Budget findet, kann man sich in ein gutes Team einkaufen. Das Geld zu finden ist allerdings sehr schwer – für Mann wie Frau. Da wir statistisch schon weniger Frauen haben, bleibt am Ende eben keine Frau übrig, die in einem Top-Fahrzeug sitzt und auch eine Top-Fahrerin ist.

STANDARD: Was kostet es etwa, sich in ein Team einzukaufen?

Kleinschmidt: Es kommt darauf an. Wenn ich in einem Top-Auto sitzen will, mit dem ich gewinnen kann, sind das zwischen 600.000 und einer Million Euro. Das ist sehr viel Geld für ein Rennen, das elf Tage geht. Die Dakar ist wesentlich kürzer geworden als früher, aber der Preis ist gleich geblieben. Man kann aber auch sagen: Ich mache das in einem kleinen Side-by-Side, dann kann ich die Kategorie gewinnen – aber dann brauche ich immer noch 200.000 bis 300.000 Euro.

STANDARD: Sie haben das Thema Menschenrechte vorweggenommen. Die Rallye führte früher auch durch Länder, in denen keine perfekte Demokratie geherrscht hat. Haben sich die Fahrer und Fahrerinnen da Gedanken gemacht?

Kleinschmidt: Ja natürlich, aber als Teilnehmer hat man viel Vertrauen in den Organisator, dass die einen nirgendwo hinschicken, wo es wirklich schlimm werden würde. Okay, es gab Überfälle von Rebellen, die Leute wurden mal beklaut, und die Rallye wurde auch mal aus Sicherheitsgründen von einem Standort zum nächsten geflogen, aber der Veranstalter versucht, es so sicher wie möglich zu machen. Früher führte die Dakar durch mehrere Länder, wenn dann so ein politisch "schwieriges" Land dabei war, ist das nicht so schwer ins Gewicht gefallen. Jetzt findet die ganze Rallye nur in Saudi-Arabien statt, das ist schon ein Unterschied. Dass die Dakar Rallye wieder in mehreren Ländern stattfindet, ist ein Punkt, den die Fia haben möchte, wenn die Dakar zur Fia-Weltmeisterschaft kommt. Das möchte der Veranstalter A.S.O. aber auch.

STANDARD: Wenn Saudi-Arabien weiter Menschen hinrichtet, macht es da einen Unterschied, wenn das Ziel der Rallye im Oman ist?

Kleinschmidt: Wenn die Dakar nichts bewegen kann, muss sich die Fia überlegen, ob man sie in die Weltmeisterschaft aufnimmt. Es ist immer schwierig, Politik mit Sport zu mischen, aber man kann es auch nicht ganz ausklammern. (Martin Schauhuber, 4.1.2020)