Barbara Blaha, die Leiterin des Momentum-Instituts, hat sich das türkis-grüne Regierungsprogramm angesehen. Im Gastkommentar zieht sie ein Fazit. In einem weiteren Gastkommentar sieht der Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner die türkis-grüne Einigung skeptisch. Und Europarechtsexperte Stefan Brocza fragt sich, warum Werner Kogler keinem großen Ressort vorsteht.

Wirtschaftspolitisch schreibt Türkis-Grün den Kurs von Türkis-Blau fort.
Foto: Matthias Cremer

Im internationalen Vergleich steht Österreich gerade in vielerlei Hinsicht gut da. Gleichzeitig gibt es für den öffentlichen Sektor große Herausforderungen. Wir brauchen mehr Investitionen in den Klimaschutz, in der Pflege, in der Kinderbetreuung und in der Armutsbekämpfung.

Wirtschaftspolitisch wird aber der Kurs von Türkis-Blau fortgeschrieben: Das Nulldefizit ist fix gesetzt. Neu hinzu kommen abermals Steuersenkungen für Unternehmen, indem die Körperschaftssteuer auf 21 Prozent gesenkt wird. Kosten: zwei Milliarden Euro, die wenig für die Konjunktur bringen, sondern als Geschenk an Unternehmer und Aktionäre zu sehen sind. Die Millionärssteuer läuft ersatzlos aus. Die Einkommensteuersenkung sorgt zumindest dafür, dass auch Arbeit entlastet wird, nutzt in ihrer Ausgestaltung aber vor allem hohen und mittleren Einkommen.

Das alles kostet eine Menge Geld. Erbschafts- und Vermögenssteuern kommen aber nicht. Zusammen mit dem Bekenntnis zu einer niedrigeren Steuerquote, also zu weniger Staat, schlägt man sich die Möglichkeiten aus der Hand, die man eigentlich dringend bräuchte. Zumindest beim türkisen Teil der Regierung könnte man dabei durchaus Absicht vermuten.

Ein Alzerl Geld für Pflege

Was ist mit den Pensionen, der Pflege, der Mindestsicherung? Das automatische Pensionssplitting von Eheleuten mit Kindern ist der ÖVP-Plan zur Verhinderung von Altersarmut: Der einkommensstärkere Ehepartner teilt seinen Pensionsanspruch mit (in über 90 Prozent der Fälle) seiner Partnerin. Das ist besser als nichts, aber es ändert nichts am eigentlichen Problem: Es ist nämlich oft genug wegen des miserablen Angebots an Kinderbetreuungsplätzen nicht möglich, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten gehen können. Dann bleiben in der Regel die Frauen zu Hause und nehmen dafür Armut im Alter in Kauf. Ein Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz findet sich aber gerade nicht im Programm.

Bei der Pflege ein ähnliches Bild: Pflegearbeit wird in erster Linie von Frauen unbezahlt geleistet. Das heißt, die Frauen zahlen. Und zwar mit Verdienstentgang und verlorenen Pensionszeiten. Auch hier ist klar, was helfen würde: ein entschlossener Ausbau der Pflegeinfrastruktur. Darin möchte man aber nicht investieren. Also gibt es ein Alzerl Geld für die 900.000 Betroffenen statt substanzieller Verbesserungen.

"Anreize" für Arbeitslose

Im Arbeitsrecht werden die Verschlechterungen der Regierung Kurz I nicht zurückgenommen, sondern fortgeschrieben. Kein Wort zum Zwölfstundentag, zu den verschlechterten Ruhezeitbestimmungen im Tourismus oder den Erschwerungen für Handelsangestellte. Trotz relativ guter Konjunkturdaten hatten wir 400.000 Arbeitslose. 400.000! Jetzt ist eine weitere Zunahme zu befürchten. Dazu findet sich wenig. Stattdessen soll das Arbeitslosengeld "weiterentwickelt" werden, um "Anreize" für arbeitslose Menschen zu schaffen, wieder ins Erwerbsleben zu kommen. Zu den ohnehin schwierigen finanziellen und sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit kommt dann also noch Angst vor zusätzlichen Sanktionen. Ein Indiz dafür, dass es genau darum geht, ist die angekündigte Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen.

Auch im Bereich Armutsbekämpfung ist wenig Substanz zu sehen: Nachdem der Verfassungsgerichtshof die gezielte Benachteiligung armer Familien durch FPÖ und ÖVP im Rahmen der Mindestsicherung aufgehoben hat, findet sich im Regierungsprogramm dazu: kein Wort. Derzeit sind 372.000 Kinder und Jugendliche armutsgefährdet. Ihnen werden die Maßnahmen der Regierung nicht helfen. Für mehr Verteilungsgerechtigkeit, für einen höheren Beitrag der Reichen zum Gemeinwohl, für weniger Armut werden das fünf Jahre, in denen sehr wenig passieren wird.

Ambitionierte Maßnahmen?

Im Klimabereich war Österreich nie arm an ambitionierten Zielen, aber an ernsthaften Maßnahmen. Diese sind durchaus vorhanden. Das Auslaufen von Öl-, Kohle- und langfristig Gasheizungen spart eine Menge CO2. Zwei Milliarden für den Öffi-Ausbau sind gute Nachrichten, auch wenn es wohl das Mehrfache bräuchte, bedenkt man, dass gerade der Verkehr der Bereich, bei dem die CO2-Emissionen aus dem Ruder laufen. Unpopuläre Maßnahmen wie niedrigere Tempolimits (abseits der Beendigung des Tempo-140-Irrsinns) finden sich genauso wenig wie verpflichtende Abbiegeassistenten für Lkws zur Verhinderung tödlicher Unfälle.

Dass gerade die ökosoziale Steuerreform als Kernthema des Wahlkampfs nun nicht festgezurrt wurde, sondern nach einem langen Tauziehen erst 2022 umgesetzt werden könnte, kann allerdings niemand zufriedenstellen: Erstens verlieren wir wertvolle Zeit, in der die Wirkungen eines CO2-Preises zu Investitionen in umweltfreundlichere Handlungen führen. Zweitens bleibt völlig unklar, wie hoch der CO2-Preis sein wird und wie im Gegenzug entlastende Maßnahmen gerade für Wenigverdiener aussehen könnten. Und drittens kann man befürchten, dass angesichts der kurzen Halbwertszeit von Regierungen mit Sebastian Kurz die Koalition schon beendet ist, bevor die dringend nötige Ökologisierung des Steuersystems in trockenen Tüchern ist. (Barbara Blaha, 3.1.2020)